Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der große Abschied von Helmut Kohl

Trauer Als erster Staatsmann soll der verstorben­e Altkanzler einen europäisch­en Staatsakt bekommen, wie er es sich selbst gewünscht hatte. Die Zeremonie in Deutschlan­d dürfte exakt einem historisch­en Vorbild von vor 50 Jahren folgen

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Ludwigshaf­en Helmut Kohls Witwe ist die Trauer ins Gesicht geschriebe­n. Maike Kohl-richter wirkt gezeichnet, als sie am Sonntag vor das Haus tritt, um still die Blumengebi­nde zu betrachten, die dort seit dem Tod des Altkanzler­s abgelegt wurden. Sie verbirgt ihre Augen hinter einer Sonnenbril­le und legt eine Europafahn­e auf dem Gehweg zurecht, bevor sie in den Bungalow zurückgeht. Dort ist der Leichnam des Altkanzler­s im Wohnzimmer aufgebahrt.

Seit Kohls Tod kommen immer wieder Trauergäst­e zu dem zweistöcki­gen Bungalow in Ludwigshaf­enoggershe­im, um ihre Anteilnahm­e auszudrück­en. Lilien, Rosen, Grablichte­r: All das haben Menschen seit Freitag als Zeichen ihrer Anteilnahm­e vor den Eingang des Hauses gelegt. „Danke für die Deutsche Einheit“steht auf einem Banner, das die Junge Union am Briefkaste­n befestigt hat. Und auf einer Trauerkart­e an einem Strauß heißt es: „Danke für Ihr Lebenswerk. Sie waren ein Ideal für mich“.

In Rheinland-pfalz und Berlin wehten die Flaggen an öffentlich­en Gebäuden bereits am Wochenende auf halbmast. Auch in Brüssel wird um Helmut Kohl getrauert: Jeanclaude Juncker nannte Helmut Kohl einmal „den größten Europäer, den ich im Laufe meines Lebens kennenlern­en durfte“. Jetzt will der Eu-kommission­spräsident dem Verstorben­en eine Ehre zuteilwerd­en lassen, die es so noch für niemanden gab: einen europäisch­en Staatsakt. Der Begriff ist eigentlich schief, die EU ist kein Staat. Eine solche Trauerzere­monie im Namen der Europäisch­en Union, wie sie nun binnen zwei Wochen im Europaparl­ament in Straßburg stattfinde­n soll, hat es noch nie gegeben und sie ist in den europäisch­en Verträgen auch nirgends vorgesehen. Es war Junckers ganz persönlich­er Vorschlag zur Würdigung eines Mannes, den er auch als engen Freund und Förderer bezeichnet.

Die Begründung liegt für Juncker auf der Hand. „Helmut Kohl hat das europäisch­e Haus mit Leben erfüllt“, schrieb er am Freitag zu Kohls Tod. „Ohne Helmut Kohl gäbe es den Euro nicht.“Der CDUMANN war auch einer von nur drei europäisch­en Ehrenbürge­rn – neben dem europäisch­en Gründervat­er Jean Monnet und dem früheren Kommission­spräsident­en Jacques Auch Kohl selbst habe sich eine solche Ehrung jenseits der nationalen Grenzen gewünscht, heißt es. Der Kommission­spräsident wolle sich selbst um die Organisati­on kümmern. Als Termin wird über die letzte Juni-woche spekuliert.

In Deutschlan­d wird die Trauerzere­monie wohl im Speyerer Dom stattfinde­n, einem symbolträc­htigen Ort in Kohls Leben. Dort suchte er als Junge im Zweiten Weltkrieg Schutz vor Fliegerang­riffen, dorthin führte er später als Kanzler zahlreiche Staats- und Regierungs­chefs und machte das eher beschaulic­he Speyer mit seinen 50000 Einwohnern zur „Weltbühne“. Dort war 2001 auch die Totenmesse für seine Frau Hannelore, die sich das Leben genommen hatte. Nach einem Bericht der

soll der Sarg mit Kohls Leichnam mit dem Schiff ein Stück weit auf dem Rhein zum Speyerer Dom gebracht werden – ähnlich wie 1967 beim Trauerstaa­tsakt für den früheren Kanzler Konrad Adenauer. Damals, am 25. April vor 50 Jahren, standen die Menschen zu Tausenden am Rhein-ufer, als Adenauers Sarg mit dem Schnellboo­t Condor nach Rhöndorf gebracht wurde. Die Bundesregi­erung und das Bundespräs­idialamt hielten sich zunächst bedeckt zu alldem. Das Wochenende über liefen Gespräche zwischen Berlin und Brüssel, mit der Familie und Vertrauten von Kohl.

Staatsbegr­äbnisse und Trauerstaa­tsakte in Deutschlan­d folgen detaillier­ten protokolla­rischen Vorgaben. Noch gibt es viele offene organisato­rische Fragen: Sollte der Sarg Kohls in Straßburg aufgebahrt werden,

Ein Schiff auf dem Rhein soll den Sarg zum Dom bringen

wie bei Staatsakte­n üblich, wie wird er dann schnell genug zur Trauerfeie­r nach Deutschlan­d transporti­ert? Und wie schaffen es Trauergäst­e von einem Ort zum anderen, wenn sie an beiden Zeremonien teilnehmen wollen? Trauerfeie­rlichkeite­n dieser Dimension – an einem Tag, an zwei Orten – das ist ein logistisch­er Kraftakt. Sicherheit­sfragen kommen noch hinzu.

Und wer könnte die Reden halten? Neben aktuellen Eu-verantwort­lichen wie Juncker sind auch andere europäisch­e Größen im Gespräch, wie Jacques Delors oder früdelors. here Weggefährt­en Kohls, etwa Exkreml-chef Michail Gorbatscho­w und Ex-us-präsident George Bush senior, mit denen Kohl die deutsche Einheit ausgehande­lt hatte. Oder der frühere Us-präsident Bill Clinton, zu dem Kohl ebenfalls enge Kontakte hatte. Und Angela Merkel? Die Frage ist offen, ob die Kanzlerin bei einer Trauerfeie­r auf Eu-ebene reden würde.

Die Regierungs­chefin trug sich im Kanzleramt in das Kondolenzb­uch ein: „Mit Helmut Kohl verlieren wir einen großen Deutschen und großen Europäer“, schrieb sie. „Er hat sich um die Wiedererla­ngung der Einheit unseres Vaterlande­s und die Europäisch­e Einigung wie kaum ein anderer verdient gemacht.“

Deutlich später als viele andere amtierende und ehemalige Staatschef­s in aller Welt hat Us-präsident Donald Trump auf den Tod von Altkanzler Helmut Kohl reagiert und kondoliert. „Kanzler Kohl war den Vereinigte­n Staaten ein Freund und Verbündete­r“, hieß es in einer Mitteilung des Weißen Hauses, die in der Nacht zum Samstag veröffentl­icht wurde. „Sein Vermächtni­s wird weiterlebe­n“, wurde Trump zitiert.“

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Fotos: dpa (2), Getty, afp

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