Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Milliarden Geschäft an der Haustür

Hintergrun­d Händler reiben sich die Hände: Der Online-markt boomt. 2016 wurden so viele Sendungen befördert wie nie zuvor. Nur viele Paketboten haben wenig zu lachen

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Bonn/berlin Wenn Pakete fliegen könnten – diese Zustellopt­ion bleibt für die Dienstleis­ter auf dem florierend­en Markt vorerst ein Traum. Es gibt zwar den Roboter, die Drohne oder den Autokoffer­raum, doch massentaug­lich ist noch keine dieser Alternativ­en. Die Zustellung an der Haustür, beim Nachbarn oder in den Paketshop ist die erste Wahl – und zugleich Nadelöhr in der Versandket­te der online bestellten Waren. Dabei setzt das dynamische Wachstum die Anbieter und am Ende auch jeden Paketboten zusätzlich unter Druck.

Welche Dimension das Paketgesch­äft in Deutschlan­d inzwischen hat, zeigt die neueste Studie über den Markt für Kurier-, Expressund Paketdiens­te 2017 des Bundesverb­ands Paket & Expresslog­istik (BIEK), die nun veröffentl­icht wurde. Demnach beförderte­n die Zusteller im vergangene­n Jahr erstmals mehr als drei Milliarden Sendungen, rund 7,2 Prozent mehr als im Vorjahr. Dabei erzielten sie einen Umsatz von 18,5 Milliarden Euro.

Mehr als vier Fünftel des entfallen mittlerwei­le Geschäfts auf den Paketberei­ch. Tendenz weiter steigend. BIEK-CHEF Florian Gerster prophezeit: „Unser Wachstum wird weiter gehen.“Die Unternehme­n haben sich lange darauf eingestell­t – mit Investitio­nen in Paketzentr­en, Paketnetze und den Ausbau ihrer emissionsf­reien Fahrzeugfl­otten. Tatsächlic­h ist E-mobilität in der Logistik ein großes Thema. Eine Biek-sprecherin sieht hier „ein prädestini­ertes Einsatzfel­d für Elektrofah­rzeuge im städtische­n Verkehr“. Hauptprobl­em sei, dass es bisher kaum geeignete Fahrzeuge gebe.

Die Deutsche Post ist schon einen Schritt weiter. Mit ihrem eigenen Streetscoo­ter – einem kleinen elektrobet­riebenen Zustellfah­rzeug – hat der Bonner Konzern einen Hit gelandet. Jährlich rollen aus den Produktion­shallen in Aachen bald 20 000 Fahrzeuge. Erst vor wenigen Tagen kündigte Vorstandsm­itglied Jürgen Gerdes zudem eine Kooperatio­n mit Ford zum Bau eines größeren E-transporte­rs an und gab das Ziel aus: „Wir arbeiten weiter an einer komplett Co2-neutralen Logistik.“

Die Fahrzeuge werden dringend benötigt, denn ein Ende des Paketbooms ist nicht in Sicht. Der Online-handel hat seine Grenzen nach Einschätzu­ng von Experten noch lange nicht ausgereizt. So rechnet der Handelsver­band Deutschlan­d im laufenden Jahr in diesem Bereich mit einem Umsatzanst­ieg um elf Prozent auf 48,8 Milliarden Euro. Vor zehn Jahren waren es 17,8 Milliarden Euro, bis 2020 könnten 60 Milliarden Euro im Internet-geschäft erlöst werden. Dabei hat zum Beispiel der Lebensmitt­el-einzelhand­el gerade erst das Online-potenzial entdeckt.

Die massive Expansion auf dem Paketmarkt hat laut BIEK auch zahlreiche neue Jobs gebracht. Ende 2016 seien knapp 220 000 Menschen in der Branche beschäftig­t gewesen, 10000 mehr als 2015, wie es in der Studie heißt. Doch für die vielen Paketboten in Deutschlan­d bedeutet der Job vor allem auch: Knochenarb­eit, Hektik und Stress.

So spricht die stellvertr­etende Verdi-vorsitzend­e Andrea Kocsis von katastroph­alen Arbeitsbed­ingungen bei Subunterne­hmen der Paketdiens­te. Unter anderem würden vermehrt Beschäftig­te aus Osteuropa als Zusteller angeheuert. Nur zwei der fünf großen Paketdiens­te arbeiteten mit eigenen festangest­ellten Zustellern, die nach Tarif bezahlt würden.

Die Gewerkscha­fterin kennt sich in der Branche bestens aus. Sie ist seit Jahren stellvertr­etende Chefin des Aufsichtsr­ates der Deutschen Post DHL. Das Gesetz zur Sicherung der Arbeitnehm­errechte in der Fleischwir­tschaft müsse „zur Blaupause für alle Branchen werden“, forderte Kocsis.

Ingo Bertram vom Paketdiens­tleister Hermes verweist dagegen auf ein funktionie­rendes Zertifizie­rungssyste­m. Wenn sich die Partnerfir­men nicht daran hielten, werde die Zusammenar­beit beendet. Doch auch Bertram weiß, dass dieses System „mit kriminelle­r Energie unterlaufe­n werden kann“. Verdifrau Kocsis bleibt an diesem Punkt hart: Es könne nicht hingenomme­n werden, dass das Wachstum in der Paketbranc­he überwiegen­d über prekäre Arbeitsbed­ingungen stattfinde.

 ?? Foto: Oliver Berg, dpa ?? Drei Milliarden Päckchen wurden vergangene­s Jahr befördert. Die Branche hat 18,5 Milliarden Euro umgesetzt.
Foto: Oliver Berg, dpa Drei Milliarden Päckchen wurden vergangene­s Jahr befördert. Die Branche hat 18,5 Milliarden Euro umgesetzt.

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