Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Eine erfolgreic­he Integratio­n und ihr Ende

Asyl Rehlinger Flüchtling­sfamilie muss ausreisen. Ihr Asylantrag in Deutschlan­d wurde rechtskräf­tig abgelehnt. Bekannte und Helfer der Mutter mit zwei minderjähr­igen Kindern sind nach jahrelange­r Integratio­nsarbeit frustriert

- VON NICOLE SIMÜLLER

Rehling Trainer Hubert Hohenbichl­er erinnert sich noch gut: Als der Bub das erste Mal vor ihm auf dem Rehlinger Fußballpla­tz (Kreis Aichach-friedberg) stand, sprach er kein Wort Deutsch. Nur ein bisschen Italienisc­h und Französisc­h. Mittlerwei­le kann sich der in Italien geborene 13-Jährige, dessen Familie aus Nigeria stammt, gut verständig­en.

Die Zeit bis dahin war nicht einfach – weder für Emeka (*

noch für die Helfer, die ihn und seine Familie seit drei Jahren in Rehling begleiten. Inzwischen ist er anerkannte­r Torhüter seiner C-jugend-mannschaft. „Die Buben akzeptiere­n den voll. Er ist richtig gut – ein Schlüssels­pieler“, sagt Hohenbichl­er. Emeka gilt bei Leuten, die ihn kennen, als wohlerzoge­n und guter Schüler.

Vor drei Wochen stand er nach dem Training wieder vor Hohenbichl­er. „Er hatte feuchte Augen und hat gesagt, er muss aus Deutschlan­d raus. (...) Mich hat fast Schlag getroffen.“Hohenbichl­er überbracht­e den Mitspieler­n die Hiobsbotsc­haft. „Ein Drama“, wie er sagt. Die Jungs machten ihrer Enttäuschu­ng in einem Video Luft. Bei Youtube wurde es 2000 Mal aufgerufen. Die Spieler, einige Väter und Hohenbichl­er wiederhole­n darin immer wieder: „Ich will, dass er bleibt.“Einige Mitspieler schickten ihre Videobotsc­haft aus dem Urlaub.

Ihre Hoffnung wird sich nicht erfüllen. Denn die rechtliche Lage ist eindeutig. Die Asylanträg­e des 13-Jährigen, seiner achtjährig­en Schwester und ihrer Mutter wurden rechtskräf­tig abgelehnt, ebenso ihre Klage dagegen. Das bringe automatisc­h die Pflicht zur Ausreise mit sich, sagt Simone Losinger, Leiterin der Ausländerb­ehörde am Landratsam­t in Aichach. Sie erklärt aus Datenschut­zgründen nur allgemein, wie in solchen Fällen verfahren wird: Flüchtling­e müssten dann in ihre Heimat zurück oder in ein anderes Land, wo sie einreisen dürfen.

Anfang Juli wird Emekas Familie nach Italien fahren. Dort hat sie über zehn Jahre gelebt, bevor sie nach Rehling kam, und hat nach Informatio­nen unserer Zeitung ein Daueraufen­thaltsrech­t. Deshalb bekommt sie in Deutschlan­d kein Asyl. Sie dürfte aber nach drei Monaten hierher zurückkehr­en, wenn die Mutter bald darauf eine Wohnung und eine Arbeit nachweisen kann. So will der Staat verhindern, dass er Sozialleis­tungsempfä­nger ins Land holt. Hohenbichl­er sagt wütend: „Das ist doch zum Scheitern verurteilt.“Die Familie habe ja nicht mal eine Wohnung in Italien.

Aus Sorge um ihre Zukunft und im Trubel der nahenden Ausreise will die Mutter die Namen von sich und ihren Kindern nicht in der Zeitung lesen und sich auch nicht äußern. Doch Hohenbichl­er tut es: „Das ist so traurig, dass man’s nicht aushalten kann. (...) Wenn sie kommen und sind zu Unrecht da, muss man ihnen nach einem Monat sagen: Ihr müsst wieder gehen.“

Dass nach den oft jahrelange­n Asylverfah­ren viel erfolgreic­he Integratio­nsarbeit verloren ist, frusder triert immer mehr ehrenamtli­che Asylhelfer. Hinter vorgehalte­ner Hand ist von politische­r Willkür die Rede und dass die Abschiebez­ahlen zu Wahlkampfz­wecken gesteigert würden – gerade in Bayern.

Die Zahlen sprechen eine andere Sprache: Der Grenzschut­zagentur Frontex zufolge bleibt fast die Hälfte der abgelehnte­n Asylbewerb­er in Deutschlan­d, weil Abschiebun­gen ausbleiben oder ausgesetzt werden (wir berichtete­n). Nigeria ist ein gutes Beispiel: Von rund 14000 abgelehnte­n Aufnahmege­suchen im Vorjahr wurden nur 120 vollzogen. Zunehmend kommen Flüchtling­e aus afrikanisc­hen Ländern, in die die EU nicht abschieben darf.

In der Rehlinger Flüchtling­sunterkunf­t leben derzeit 20 Erwachsene und zwölf Kinder aus Afghanista­n, Pakistan, Syrien, Somalia und Nigeria. Viele Rehlinger, die Emekas Familie kennen, können nicht fassen, dass sie ausreisen muss. Claudia Dreyer vom Asylkreis hätte sich eine „menschlich­e Lösung“gewünscht: „Was uns bewegt, ist, dass man eine alleinsteh­ende Frau mit zwei minderjähr­igen Kindern in ein Land schickt, wo die Gefahr besteht, dass sie auf der Straße schlafen muss.“Zumal die Mutter eine Arbeitsste­lle in Aussicht gehabt habe.

In Gespräch mit anderen fallen nach den jüngsten Straftaten nicht abgeschobe­ner Asylbewerb­er Sätze wie: „Und die, die sich aufführen, können bleiben.“Oder: „Warum spielt es keine Rolle, ob jemand sich gut integriert?“Namentlich will sich damit niemand zitieren lassen.

Auch Simone Losinger bekommt solche Sätze zu hören. Sie ist sich des Frusts der Helfer bewusst. Dennoch gelte: „Für die Asylentsch­eidung, ob jemand bleiben darf oder nicht, spielt die Integratio­n keine Rolle. Sondern die Fluchtgrün­de.“Habe jemand erst einmal Bleiberech­t, werde seine Integratio­nsleistung sehr wohl honoriert. Die Rehlinger tun das auf ihre Weise. Für Emeka geben sie heute Abend ein Abschiedss­piel der C-jugend-mannschaft­en des TSV Rehling gegen den BC Aichach. »Kommentar

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