Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Die Glühwürmchen sind los
Natur Wo die leuchtenden Käfer Augsburger Gärten, Parks und Wälder in eine Zauberwelt verwandeln. Ein Fachmann erklärt, wie die Tiere ihr Licht erzeugen
Heidi Matthiessen geht jetzt immer nachts in den Garten. Genau um 22.10 Uhr setzt sie sich in den idyllisch bepflanzten Innenhof ihres Altstadthauses und hält Ausschau nach Glühwürmchen. Und dann kommen sie schon im Dunkeln angeschwirrt. Erst eins, dann zwei, dann immer mehr. Blink. Blink. Blink.
„Meine Glühwürmchen sind immer pünktlich“, sagt die Augsburgerin lachend. Aber sie kommen jedes Jahr nur wenige Tage zu ihr. Und immer nur in warmen Nächten. „Erst sind es viele, und dann werden es immer weniger“, hat sie beobachtet. Und Matthiessen schaut genau hin. Denn dieses stille magische Glühen will sie sich nicht entgehen lassen. „Ich fühle mich dann in meine Kindheit zurückversetzt“, sagt sie. Schon immer fand sie dieses Naturschauspiel faszinierend.
In Augsburg ist jetzt für einige Wochen Glühwürmchen-saison. In der Zeit um Johannis sind sie am häufigsten zu sehen. Das erklärt Eberhard Pfeuffer vom Naturwissenschaftlichen Verein für Schwaben. Auch er ist ein großer Glühwürmchen-fan. Als Naturforscher betont er aber, dass die Glühwürmchen eigentlich keine Würmer sind, sondern nachaktive Leuchtkäfer. Und die sind in der Paarungszeit im nächtlichen Liebestaumel.
Wer genau hinschaut, kann die Glühwürmchen an vielen Stellen in Augsburg entdecken. Sie schwirren im Freiluftkino „Lechflimmern“am Rand der nächtlichen Filmkulisse in der Schwimmschulstraße herum. Sie beginnen zu leuchten, wenn es im Wittelsbacher Park und im Stadtwald dunkel wird. Auch in den Auen an Lech und Wertach sind jetzt die winzigen taumelnden Irrlichter zu sehen. „Der gewohnte Wald hat sich in einen Zauberwald verwandelt“, findet Eberhard Pfeuffer. Menschen sehen vor allem die Poesie des Naturschauspiels. Für die Glühwürmchen geht es aber einfach nur darum, mit einem tollen Trick ihre Fortpflanzung sicherzustellen. Und das geht so: Die Männchen, die weniger intensiv leuchten, fliegen von der Dämmerung an und in der Nacht umher und suchen nach den Weibchen. Diese sitzen flugunfähig am Boden und machen durch Leuchten auf sich aufmerksam. Die Männchen haben die Gestalt eines Käfers, die Weibchen gleichen eher einer Käferlarve, auch wenn man das im Dunkeln nicht so genau sehen kann.
Spektakulär ist, wie die Glühwürmchen ihr Licht erzeugen. Es ist ein komplizierter chemischer Prozess, wie Pfeuffer erläutert. Der Vorgang heißt in der Fachsprache Biolumineszenz. Das Licht der Glühwürmchen ist kalt, denn sie erzeugen nur Licht und so gut wie keine Wärme, und zwar effizienter als die besten vom Menschen hergestellten Leuchtmittel. Die Käfer produzieren das Licht in speziellen Leuchtzellen am hinteren Bauchende. Die Leuchtzellen geben es durch durchsichtige Felder am Hinterleib ab. „Das Leuchten dient der Kommunikation zwischen den Geschlechtern“, sagt Pfeuffer. Man kann auch sagen, es dient dem Liebeswerben.
Für den Naturforscher ist eines erfreulich: Anders als viele andere Tierarten haben sie in den vergangenen Jahren in der Augsburger Natur nicht erkennbar abgenommen. Das liegt aus Sicht von Fachleuten daran, dass Glühwürmchen nicht auf einen speziellen Lebensraum festgelegt sind. Damit sich Glühwürmchen wohlfühlen, brauchen sie lichtes Buschwerk, lichte Wälder oder naturnahe Gärten. Das Nahrungsangebot für die Käfer ist in der Regel üppig. Die Käferlarven und wahrscheinlich auch die fertig entwickelten Weibchen ernähren sich von Nackt- und Gehäuseschnecken. Die Leuchtkäfer töten die Schnecken durch einen giftigen Biss, und das, obwohl ihre Opfer bis zu 15-mal schwerer sind als sie selbst.
Von diesem Kampf in der Natur bekommen Menschen allerdings eher nichts mit. Glühwürmchen sind vielmehr sehr beliebte Tiere. Über sie gibt es Gedichte, Lieder und Kindergeschichten. Und auch Naturforscher Eberhard Pfeuffer geht jetzt jeden Abend hinaus in den Wald, um das stille Leuchten zu sehen. Nur sein Dackel, den er auf die Spaziergänge mitnimmt, ist von den Glühwürmern irritiert. „Er bellt“, sagt Pfeuffer.