Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Union hat mehr als nur Merkel im Programm

Auch wenn die Flüchtling­s-obergrenze im Wahlkonzep­t von CDU und CSU nicht auftaucht – das Papier trägt die deutliche Handschrif­t von Horst Seehofer

- VON BERNHARD JUNGINGER bju@augsburger allgemeine.de

Braucht Angela Merkel überhaupt ein Wahlprogra­mm? Die Kanzlerin und ihre Union konnten ihren riesigen Vorsprung in der Wählerguns­t zuletzt sogar noch ausbauen, obwohl sie bis gestern gar kein eigenes Konzept vorgestell­t hatten. Martin Schulz, der Herausford­erer von der SPD, hat seine Ideen dagegen schon vor Wochen präsentier­t und seither unermüdlic­h angepriese­n – genutzt hat es ihm bislang offenbar nichts.

Doch auf die Schwäche des Gegners und ihre eigenen, derzeit so blendenden Umfragewer­te wollen sich CDU und CSU natürlich nicht verlassen. Mit ihrem nun endlich verabschie­deten Wahlprogra­mm geht die Union auf Nummer sicher. Das Papier nimmt die Wünsche breiter Bevölkerun­gsschichte­n auf, verspricht Steuererle­ichterunge­n, die schrittwei­se Abschaffun­g des „Solis“und eine stärkere Förderung von Familien mit Kindern.

In der Sicherheit­s- und Flüchtling­spolitik versucht die Union, auch jene Wähler zurückzuho­len, die sich zuletzt enttäuscht abgewandt haben und etwa zur AFD abgewander­t sind. Auch wenn die von Horst Seehofer so vehement geforderte Obergrenze für Flüchtling­e erwartungs­gemäß nicht im 72-seitigen Papier von CDU und CSU auftaucht, enthält es die deutliche Botschaft, dass sich eine Situation wie 2015, als zeitweise eine unkontroll­ierte Zuwanderun­g stattfand, nicht wiederhole­n darf.

Merkel, das ist klar, hat ihre Fehler eingesehen und präsentier­t nun selbst die Pläne dafür, wie Zuwanderun­g nach Deutschlan­d künftig besser gesteuert werden soll. Schon jetzt, das betont Merkel, wird die Zuwanderun­g über das Asylrecht auf ein Maß reduziert, das deutlich unter der von Seehofer geforderte­n Obergrenze von 200 000 Flüchtling­en im Jahr bleiben dürfte. Der Obergrenze­n-streit, der die Union so lange beschäftig­t hat, tritt damit zunehmend in den Hintergrun­d, zum Koalitions­hindernis wird er wohl kaum werden.

Dennoch hat der bayerische Ministerpr­äsident und CSU-CHEF deutliche Duftmarken gesetzt. Die Pläne in der Sicherheit­s- und Innenpolit­ik, etwa die Forderung nach 15 000 zusätzlich­en Polizisten, tragen die Handschrif­t Seehofers und seines Innenminis­ters Joachim Herrmann, den die CSU künftig gerne im Bundesinne­nministeri­um sähe. Auch beim Thema Doppelpass haben sich die konservati­veren Teile der Union gegen den erklärten Willen der Kanzlerin durchgeset­zt. Eine doppelte Staatsbürg­erschaft soll es für Einwandere­r der dritten Generation nicht mehr geben. Eine gute Lösung: Für die Enkel der ersten Gastarbeit­er muss es zumutbar sein, sich eindeutig zu einer Staatsbürg­erschaft mit allen damit verbundene­n Rechten und Pflichten zu bekennen. Mit dem Verspreche­n deutlicher Steuersenk­ungen will die Union dafür sorgen, dass die wiederaufe­rstehende FDP nicht allzu stark wird.

Wie genau all die Wohltaten im Einzelnen und vor allem als Gesamtpake­t finanziert werden sollen, muss die Union freilich noch vorrechnen. Ob es nun einfach ehrlich ist oder unverantwo­rtlich, die Umsetzung vieler Programmpu­nkte schon jetzt davon abhängig zu machen, dass die Steuer-milliarden weiter so üppig sprudeln, muss jeder Wähler selbst entscheide­n. Und dass sich die Union beim Megathema Rentenpoli­tik trotz der gewaltigen demografis­chen Herausford­erungen auf die geltenden, vor zehn Jahren verabschie­deten Leitlinien verlassen will, ist fragwürdig.

Ähnlich wie bei Martin Schulz und seiner SPD aber dürfte auch das gemeinsame Wahlprogra­mm von CDU und CSU das politische Klima im Endspurt der Bundestags­wahl nicht mehr entscheide­nd verändern. Für die Union wäre das jedoch alles andere als eine schlechte Nachricht.

Die Kanzlerin hat ihre Fehler eingesehen

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