Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die kleine Fugger Sensation

Geschichte Vor Kenia entdecken Forscher ein 500 Jahre altes Schiffswra­ck, beladen mit Kupfer, geprägt mit dem Siegel der Augsburger Kaufleute. Für Fugger-experten ist der Fund ein Sechser im Lotto. Weil er zeigt, wie die Familie Handel getrieben hat – und

- VON NICOLE PRESTLE

Augsburg Vielleicht war es eine stürmische Nacht, vielleicht war die Crew unaufmerks­am: Für das portugiesi­sche Handelssch­iff endet die Fahrt von Europa nach Indien vor der Küste Kenias. Es sinkt, voll beladen mit Töpferware­n, Elfenbein, Blei und Kupfer. Sehr viel Kupfer. Der Indische Ozean verschluck­t an diesem Tag Besatzung, Ladung, viele Hoffnungen – und ein Stück Augsburger Geschichte.

Ein halbes Jahrtausen­d später, im Jahr 2008, stoßen Fischer auf das Schiffswra­ck. Es liegt im nur fünf Meter tiefen Wasser vor dem Dorf Ngomeni, 130 Kilometer nördlich der Hauptstadt Mombasa. Die Fischer informiere­n Caesar Bita. Der Unterwasse­rarchäolog­e ist zunächst nicht überrascht, liegt der Fund doch an historisch­er Stelle: Seit dem achten Jahrhunder­t war die Küste Ostafrikas Anlaufstel­le für arabische und chinesisch­e Handelssch­iffe, ab 1498 auch für die Portugiese­n. Doch nach einem Tauchgang ahnt Bita:

Die Fugger verschiebe­n Geld wie auf einem Spielbrett

Die Maße der Fundstelle deuten mit 20 mal 40 Metern auf ein größeres Schiff hin. Diese Entdeckung, vermutet er, könnte besonders sein.

Heute, neun Jahre und etliche Untersuchu­ngen später, weiß Bita: Er hatte recht. Das Wrack, das vorerst den Namen „Ngomeni-schiffswra­ck“erhielt, ist das älteste Kenias – und vielleicht auch eines der größeren. Die nahezu vollständi­g erhaltene Ladung ist für die Kenianer interessan­t, aber nicht spektakulä­r. Bei dem Augsburger Fugger-experten Martin Kluger dagegen schlägt die Nachricht ein wie eine Bombe: An Bord des Wracks lagert halbkugelf­örmig gegossenes Kupfer, der wichtigste Exportarti­kel der Portugiese­n im Handel mit Indien. Schwach, sehr schwach, ist auf diesen kupfernen Halbgossen­kugeln das Handelszei­chen der Fuggerfirm­a zu sehen, ein Dreizack.

„Für die Fugger-forschung ist das wie ein Sechser im Lotto“, sagt der Historiker und Fugger-experte Peter Geffcken. Denn der Fund beweist, was bislang nur durch Schriftque­llen überliefer­t war: Die Metalle aus den Montanzent­ren der Fugger wurden an den Küsten Ostafrikas und Indiens gehandelt. Der Erlös war einer der Gründe für den Reichtum der Familie – und für ihren Einfluss, der nicht einmal vor dem Hof des Kaisers Halt machte.

Wer in Augsburg, der Heimat der Kaufleute, durch die Gassen der Fuggerei geht, weiß unter Umständen wenig über das Imperium Jakob Fuggers des Reichen und seiner Nachfolger. Der Handel mit Baumwolle, Barchent und anderen Textilien war eines ihrer Standbeine, das ist bekannt. Doch hätte dies allein den Fuggern zu ihrem Ruhm verholfen? Wohl kaum.

Was die Familie zu ihrer Zeit zum dominieren­den Handelskon­zern macht, ist eine europaweit agierende und perfekt vernetzte Firma mit Außenstell­en in Antwerpen, Venedig, Nürnberg und einem Dutzend weiterer Faktoreien zwischen Madrid und Budapest, Danzig und Neapel. Ab den 1480er Jahren beteiligen sich die Fugger am Goldbergba­u in Gastein und Rauris im Salzburger Land sowie in Schwaz (Tirol), kurze Zeit später besitzen sie Kupfer- und Silbererzg­ruben in den Bergstädte­n der heutigen Slowakei. Gewonnen und verarbeite­t werden die Erze in Hüttenwerk­en in Mogila bei Krakau, in Fuggerau in Kärnten und in Hohenkirch­en in Thüringen. In Tirol, wo die Fugger längst im Metallhand­el erfolgreic­h sind, werden sie ab 1522 selbst zu Montanunte­rnehmern. Damit haben sie einen Großteil der europäisch­en Kupferprod­uktion unter ihre Kontrolle gebracht – „eine Maschine zum Gelddrucke­n“, sagt Geffcken. Von 1511 bis 1527 vervierzeh­nfachen die Fugger ihr Firmenverm­ögen.

Was den Kaufleuten in die Karten spielt, ist die Entdeckung des Seewegs nach Indien: Die Nachfrage nach Kupfer ist enorm. Die Portugiese­n benötigen es für ihren Schiffsbau, für den Guss von Kanonen und als Exportschl­ager im Gewürzhand­el mit Indien. Und nur die Fugger können es liefern.

1505 stechen 22 portugiesi­sche Handelssch­iffe in See. Welser, Fugger und andere Augsburger, Nürnberger und italienisc­he Kaufleute finanziere­n vier Schiffe der Flotte. Ein Handelsdie­ner der Welser, Balthasar Sprenger, fährt mit. Sein Reiseberic­ht macht die Handelsexp­edition legendär. Auch der Augsburger Stadtschre­iber Konrad Peutinger rühmt das Ereignis: „Es ist uns Augsburger­n ein großes Lob als für die ersten Deutschen die India suchen.“Fugger und Welser erzielen am Ende einen Gewinn von 175 Prozent – eine schier unvorstell­bare Marge. Der portugiesi­sche König macht den Handel mit Indien daraufhin zum Monopol der Krone. Ohne die Fugger und ihr Metall kommt er dennoch nicht aus.

Silber und Kupfer, Quecksilbe­r und Zinnober, Blei, Zinn, Eisen und auch Gold aus den Bergwerken der Fugger werden nun auf vier Kontinente­n verkauft. Die Fugger verschiebe­n Waren und Geld von Augsburg aus wie auf einem Spielbrett, die Handelsweg­e führen über Antwerpen und Venedig, Danzig und Nürnberg, Budapest und München. Für die Portugiese­n ist das Fugger’sche Kupfer nicht nur ein wichtiges Gut im Gewürzhand­el mit Indien. Es dient auch als Zahlungsmi­ttel für Sklaven, die an der afrikanisc­hen Westküste eingekauft werden. Bezahlt werden sie mit Manillas, massiven Armreifen aus Kupfer.

Aus dem Fund des „Ngomenisch­iffswracks“und eines weiteren, das 2008 vor Namibia entdeckt wurde, könnten viele neue Erkenntnis­se in Bezug auf die Fugger hervorgehe­n. Das wäre, sagt Peter Geffcken, wichtig. „Wir haben aus dieser Zeit

nur wenige Dokumente, die über Details des Indienhand­els und der Vertriebsw­ege Aufschluss geben.“

Überhaupt weist die Kenntnis über die Kaufleute nach so vielen Jahrhunder­ten Lücken auf. „Wir

haben zwar das Fugger’sche Ehrenbuch und eine Chronik von 1599“, sagt Geffcken. Mit der Wirklichke­it hätten diese Schriften aber nur wenig zu tun: „Sie entstanden im Auftrag der Fugger und dienten dazu,

den Ruhm der Familie zu mehren.“Märchen also, wunderbar zu lesen, aber als Quelle wenig verlässlic­h. Es gebe, sagt er, selbst bei den Fuggern noch viele Geheimniss­e zu lüften.

Dass dies schwierig ist, beweist der Fund des „Ngomeni-wracks“: Obwohl die Fischer es 2008 entdeckten, obwohl bald darauf einiges über die Ladung bekannt war, drang die Informatio­n erst vor kurzem nach Augsburg. Martin Kluger recherchie­rte über die Handelsweg­e der Fugger, ging im Internet über Monate Küstenort für Küstenort durch. Kluger, der mehrere Fugger-bücher verfasst, das neue Fuggereimu­seum konzipiert sowie das Fugger- und Welser-erlebnismu­seum in Bezug auf die historisch­en Inhalte betreut hat, stieß auf einen Halbsatz in einem Archäologe­nblog – ein erster Hinweis. Mittlerwei­le steht er mit dem Unterwasse­rarchäölog­en Caesar Bita in Kontakt.

Die Fugger machen im 16. Jahrhunder­t mit dem Metallhand­el gutes Geld – und arbeiten damit. Zu ihren besten Zeiten gelten sie als die wichtigste­n Bankiers der spanisch-österreich­ischen Habsburger, dem damals mächtigste­n Herrscherh­aus der Welt. Als die spanischen Habsburger Jahre später Staatsbank­rott anmelden, leidet auch das Fugger-imperium. Während andere Bankhäuser aber zugrunde gehen, überlebt ihres. Dennoch: Im frühen 17. Jahrhunder­t wird die Fuggerfirm­a geschlosse­n, es liegt vor allem an Streitigke­iten in der Familie. Ihr Vermögen haben die Kaufleute und Bankiers da längst in Grundbesit­z angelegt. Es ist die Rettung eines Vermögens über Jahrhunder­te hinweg.

Drei Linien der Familie existieren bis heute: die der Fugger-babenhause­n, die der Fugger von Glött und die der Fugger von Kirchberg und Weißenhorn. Gemeinsam kümmern sich sie sich um den Fortbestan­d der fast 500 Jahren alten Stiftungen, die wichtigste ist die Fuggerei, die Jakob Fugger der Reiche 1521 gründete. 150 Menschen in sozial schwierige­n Verhältnis­sen bietet die älteste Sozialsied­lung der Welt eine Heimat – für 88 Cent Kaltmiete im Jahr und drei Gebete täglich.

Der Fund des Schiffswra­cks vor Kenia dürfte, so er besser bekannt wird, das Interesse am Imperium der Augsburger Kaufleute stärken. Den Fuggern kommt das gelegen: Je mehr Menschen die Fuggerei besuchen, desto besser. Die Einnahmen aus dem Tourismus machen heute rund ein Viertel des Etats aus. Der Rest kommt aus der Wald- und Forstwirts­chaft. Für Sanierung und Instandhal­tung der Häuschen werden jährlich zwischen 500000 und 800000 Euro fällig. Geld, das nicht mehr so leicht verdient ist wie einst.

2021 feiert die Fuggerei ihr 500-jähriges Bestehen. Dies soll nicht nur mit allen Bewohnern, sondern auch mit allen Augsburger­n und möglichst vielen Gästen gefeiert werden. Das „Ngomeni-schiffswra­ck“dürfte dann noch immer unter Wasser und Sand verborgen sein: Kenia möchte, auch wegen der Nähe zum Touristenz­iel Malindi, ein Unterwasse­rmuseum aufbauen, in dem Besucher auch einen Blick auf das Kupfer der Fugger werfen könnten. Doch bis es so weit ist, wird wohl noch viel Zeit vergehen.

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Foto: Context Verlag Augsburg Es müssen abenteuerl­iche Reisen gewesen sein, als die Metalle der Fugger rund um die Welt gingen: Dieser Stich zeigt eine der portugiesi­schen Handelsfah­rten nach Indien, verschifft wurde vor allem Pfeffer.
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