Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Im Dorf der Hundertjäh­rigen

China Er ist seit 80 Jahren verheirate­t, hat 30 Enkel und in seinem Leben viel Schnaps getrunken. Jetzt ist Li Shaoqian 100 geworden. Warum auf seiner Insel viele so alt werden

- VON FINN MAYER KUCKUK

Luoyi Li Shaoqian hat gerade seinen 100. Geburtstag gefeiert. Seine Frau und einige der 30 Enkel waren auch dabei. Jetzt ist wieder Alltag bei ihm und seiner Familie.

An normalen Tagen läuft Li immer noch täglich kilometerw­eit in seinem Dorf umher. Nur eines macht ihm momentan Sorgen: Seine 98-jährige Frau, mit der er seit 80 Jahren verheirate­t ist, hat Probleme mit den Beinen und kann nicht mehr bei den täglichen Spaziergän­gen mitkommen. Li wohnt auf der Insel Hainan im südchinesi­schen Meer. Einem Ort, an dem die Menschen ganz besonders alt werden.

Auf Hainan wiederum fällt der Landkreis Chengmai besonders auf: Über 200 seiner 560000 Bewohner sind älter als 100 Jahre. Damit leben dort 17-mal mehr Uralte als im chinesisch­en Durchschni­tt. In dem kleinen Dorf Luoyi, das zu Chengmai gehört, ist der statistisc­he Ausreißer noch deutlicher: Die Zahl der Methusalem­e liegt 42-mal höher als im Rest des Landes. Fünfmal höher als in Deutschlan­d und immer noch dreimal höher als im deutschen Spitzenrei­ter Berlin.

Dort, in Luoyi, wohnt auch Li Shaoqian. Die Lebenserwa­rtung in China liegt eigentlich generell immer doch deutlich unter der in Mitteleuro­pa und unter jenem der Nachbarn Japan und Südkorea. Eine flächendec­kende medizinisc­he Versorgung ist auf dem Lande in China nach wie vor noch im Aufbau. Zudem schlagen Arbeitsunf­älle, Rauchen, Umweltvers­chmutzung und in den Städten zunehmend auch Übergewich­t und ungesunde Ernährung auf die Lebenserwa­rtung.

Umso erstaunlic­her ist deshalb die Langlebigk­eit auf Hainan. Die Bewohner sind den typischen Gesundheit­sproblemen der Chinesen offenbar nicht so sehr ausgesetzt. Hainan hat auf Tourismus gesetzt statt auf Schwerindu­strie. Während das Trinkwasse­r im Norden des Landes mit Schwermeta­llen belastet ist, gilt es auf der Insel als klar und gesund. Den Dauersmog, der den Bewohnern von Peking nicht nur auf die Lunge, sondern auch auf die Seele schlägt, kennt Li nur aus dem Fernsehen. Doch das allein reicht wohl nicht, um sein hohes Alter zu erklären. „Ich habe nie Sport gemacht“, sagt Li. Die Aussage ist aber mit Vorsicht zu genießen. Li ist Bauer und hat sein Leben lang auf dem Feld gearbeitet. Auch heute noch baut er sein eigenes Gemüse an und ernährt sich hauptsächl­ich von dem, was sein kleiner Acker hervorbrin­gt. Li hat nie geraucht. Bis er 80 war, hat er zwar täglich einige Gläschen Schnaps getrunken, „dann habe ich es aber nicht mehr so gut vertragen und aufgehört“.

Eine medizinisc­he Studie im Auftrag der Kommunisti­schen Partei nennt mögliche Gründe für die gute Gesundheit der Bewohner von Chengmai. Sie leben ein einfaches Leben, resümieren die Ärzte. Außerdem denken sie unkomplizi­ert und gehen früh ins Bett. Kurz: Die Leute in Chengmai machen sich keinen Stress. Weitere Ursachen für ihre Langlebigk­eit sieht die Studie in der Ernährung. Die Mehrheit der Bewohner von Chengmai isst wie Li kaum Fleisch, viel Gemüse und nur kleine Portionen. Eine besondere Rolle könnte auch der funktionie­rende Zusammenha­lt der Dorfgemein­schaft spielen: Wer Chengmai besucht, sieht die Alten zu jeder Tageszeit auf dem Dorfplatz zusammenko­mmen. Frühmorgen­s machen sie Schattenbo­xen, abends tanzen sie zusammen, und den ganzen Tag lang trinken sie Tee und palavern im Schatten der Bäume. „Die Leute hier stellen ihre eigenen Zipperlein nicht zu sehr in den Mittelpunk­t.“So sei das auch mit der Ehe: „Am Ende ist es ganz einfach. Sie ist meine Frau, ich bin ihr Mann – wir müssen miteinande­r auskommen.“Das ist sein Erfolgsrez­ept.

Immobilien­firmen haben nun neben dem Bauerndorf einen modernen Stadtteil errichtet. Die Geschäftsi­dee lautet: „Da leben, wo die Menschen uralt werden.“Li hat Zweifel: „Ich glaube, man muss immer so gelebt haben wie wir, um alt zu werden.“Die reichen Leute in ihren Palästen aus Glas und Beton seien bestimmt nicht so glücklich wie er, ist er sich sicher.

 ?? Foto: Finn Mayer Kuckuk ?? Im Landkreis Chengmai auf der chinesisch­en Insel Hainan leben mehr als 200 Menschen, die 100 Jahre und älter sind. Li Shaoqian ist einer von ihnen. Sein Erfolgsrez­ept klingt gar nicht so komplizier­t.
Foto: Finn Mayer Kuckuk Im Landkreis Chengmai auf der chinesisch­en Insel Hainan leben mehr als 200 Menschen, die 100 Jahre und älter sind. Li Shaoqian ist einer von ihnen. Sein Erfolgsrez­ept klingt gar nicht so komplizier­t.

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