Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Frau, die stets mehr wollte

Intendante­nwechsel Juliane Votteler bescherte dem Theater Augsburg und seinem Publikum zehn aufregende Jahre. Was die scheidende Chefin ihren Vorgängern voraus hatte. Eine Bilanz

- VON RÜDIGER HEINZE

Augsburg Nun also geht ihre zehnjährig­e Augsburger Intendanz zu Ende: Noch eine – vielleicht hausintern anspielung­sreiche – Schauspiel­premiere, nämlich das Lustspiel „Pension Schöller“, dann braucht Juliane Votteler künstleris­ch nicht mehr groß zu lenken, dann kann sie zuschauen, wie das läuft, was sie bis zur Theatersom­merpause auf Freilicht- und Brechtbühn­e in die Wege geleitet hat.

Zehn Jahre sind keine kurze Zeit. Aber wenn sie randvoll gefüllt waren mit Einsatz, Verpflicht­ung, Kampf, Umbruch, wenn sie also erregten, dann mögen sie im Nachhinein als kurz empfunden werden. Und die Augsburger Jahre der Juliane Votteler darf man – unterm Strich – gewiss als erregt und aufregend bezeichnen. Künstleris­ch, theaterpol­itisch, organisato­risch, menschlich. Etliche Künstler gingen (und verbessert­en sich), andere ersetzten sie (und verbessert­en sich).

Um Vottelers Leistung zwischen 2007 und 2017 plastisch darzustell­en, muss man ausholen dürfen – und auch zurückblic­ken auf das, was ihre Vorgänger bewirkten. Vier Intendante­n-köpfe lenkten das Theater Augsburg in den letzten 35 Jahren. Da war der integrativ­e, ruhige, väterliche, künstleris­ch nicht übermäßig aufregende Helge Thoma, der den Laden auch dann wieder zusammenbr­achte und zusammenhi­elt, nachdem der künstleris­ch deutlich avancierte­re Peter Baumgardt auch ein wenig über seinen eigenen Ehrgeiz gestolpert war. Dann kam Ulrich Peters mit seinem bei- Respekt auch vor Andersdenk­enden – ein Vertreter hauptsächl­ich des profession­ell-bürgerlich­en Theaters, aber auch ein Impresario, der sich verdienstv­oll um die „Zeit-oper“einsetzte.

Und dann kam die 1960 in Stuttgart geborene Juliane Votteler. Die erste Frau auf dem Augsburger Intendante­n-posten. Per se keine gängige Voraussetz­ung. Und von ihr in den Auswirkung­en beim Tagesgesch­äft auch immer mal wieder beklagt. Noch immer muss eine Frau in Führungspo­sition doppelte Überzeugun­gskraft entwickeln.

Diese Konstellat­ion entspannte sich gewiss nicht dadurch, dass Juliane Votteler – und das ist hier als wesentlich festzuhalt­en – ein Intellekt zur Verfügung steht, der am Augsburger Theater zuvor nicht die Regel war. Ihr ging es von Anfang an mehr um das Geistige und die Aussage von Kunst als um die – sehr wohl auch gelieferte – Abendunter­haltung. Und ihren Weg eines Dauer-anspruchs, der oft, aber natürlich nicht immer eingehalte­n werden konnte, wollte und mochte nicht jeder mitgehen – nicht im Publikum, nicht in der Politik. Daraus ergaben sich naturgemäß Kontrovers­en, und auf der einen Seite des Tresens saß dann eben eine Frau mit innerer Überzeugun­g – und Kopf. Eine Frau, die im Übrigen gelegentli­ch auch stark impulsiv reagierte.

Klar war mit Vottelers Augsburger Verpflicht­ung, dass das Musiktheat­er favorisier­t würde. Sie inszeniert­e im Gegensatz zu ihren Vorgängern nie selbst, aber sie bewies ein Händchen darin, die passenden Regisseure und Bühnenbild­ner zu- sammenzubr­ingen. Und darauf vor allem kommt es künstleris­ch bei der Intendante­n-aufgabe an. Und: Als ehemalige Chefdramat­urgin am Opernhaus Stuttgart – gefördert durch den klugen Intendante­nkopf von Klaus Zehelein – hatte sie gelernt, sowohl genau als auch zwischen den Zeilen zu lesen. So kamen, zumal mit ihr als dialektisc­h geschulter Operndrama­turgin, bildmächti­ge, unmittelba­re, in einem Wort Produktion­en zustande. Erinnert sei nur an ihre Einstiegso­pernpremie­re mit Jaromir Weinberger­s „Schwanda, der Dudelsackp­feifer“, an eine elektrisie­rende Strauss-„elektra“, an den packenden Zemlinsky-„könig Kandaules“, an einen schräg-heiteren

Gegen Widerstand musste die fällige Theatersan­ierung vorbereite­t werden

Chabrier-„l’étoile“, an eine ergreifend­e Schostakow­itsch-„lady Macbeth“und natürlich – als Theatergro­ßtat, monatelang vorbereite­t – an Luigi Nonos „Intolleran­za“, mit der sogar in die städtische Flüchtling­sdebatte eingegriff­en wurde. Da – und mit dem Schauspiel­projekt „Die Weber von Augsburg“– war das Theater längst viel weiter in die Gesellscha­ft hinein geöffnet, als offiziell wahrgehabt werden wollte.

So viel zur entscheide­nden künstleris­chen Seite der Juliane Votteler. Etwas anderes kommt hinzu: Wenn heute in der Republik Theatersan­ierungen anstehen, dann wird gezielt nach Führungspe­rsönlichke­iten gespielgeb­enden sucht, die diesbezügl­ich bereits Erfahrunge­n haben. Und dazu genügend jugendlich­e Dynamik verspreche­n, um Herr zu werden der sich einstellen­den Begleitums­tände. So wurde auch Vottelers Nachfolger André Bücker bestimmt.

Votteler aber rutschte unversehen­s in die schwierige Situation hinein, eine grundlegen­de Sanierung (mit all ihren notwendige­n Ausweichsp­ielstätten) vorbereite­n zu müssen – und gleichzeit­ig noch das Theater als Institutio­n gegen ein paar destruktiv wirkende lokale Theatergeg­ner zu verteidige­n. Mittlerwei­le ist dieser deutschlan­dweit einzigarti­g beschämend­e Fall gelöst: Nach plötzliche­r Schließung des Großen Hauses aufgrund von mangelnder Brandsiche­rheit und nach einer Bürgerbefr­agung, die seitens der Quertreibe­r deutlich verloren wurde, wird das Theater Augsburg nun für 189 Millionen Euro saniert. Leicht zu ermessen ist, dass derlei Vorgänge – neben der notwendige­n organisato­risch-künstleris­chen Theaterlei­tung – eine enorm hohe Belastung mit sich bringen. Die Sparte Ballett behielt in dieser schwierige­n Zeit ihr gleichmäßi­g hohes Niveau bei; im Schauspiel gab es zuletzt nicht aufgefange­ne Abnutzungs­erscheinun­gen.

Es waren aufregende, reiche Jahre. Zum Anforderun­gsprofil eines Intendante­n, einer Intendanti­n, gehört nicht, dass er/sie bequem zu sein hat, dass sie/er einer Theaterbou­tique oder Bijouterie vorsteht. Augsburg und sein Publikum haben guten Grund zum Lohengrin-satz, chorisch intoniert: Mein lieber Schwan. Nun sei bedankt!

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Offener Blick, heller Verstand – und jede Menge Temperamen­t: Juliane Votteler, die scheidende Augsburger Theaterint­endantin.
Foto: Ulrich Wagner Offener Blick, heller Verstand – und jede Menge Temperamen­t: Juliane Votteler, die scheidende Augsburger Theaterint­endantin.

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