Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Kims unheimliche Atomrakete
Bedrohung Nordkoreas Schreckensregime hat offenbar sein Ziel erreicht: Die neue Nuklearwaffe reicht bis zur Us-küste. Ist der Westen hilflos?
Peking Auf Twitter hatte Donald Trump Nordkorea gedroht, dass er es nicht so weit kommen lasse, dass das kommunistische Land eine Interkontinentalrakete zur Einsatzreife bringen könne. Nun ist genau das geschehen: Das nordkoreanische Militär hat nach eigenen Angaben eine Rakete mit einer möglichen Reichweite von mehreren tausend Kilometern getestet. Das benachbarte Japan bestätigte die Flugbahn anhand von Radardaten.
Die Rakete erreichte demnach eine Höhe von 2800 Kilometern und stürzte 900 Kilometer entfernt ins Meer. Die große Flughöhe belegt, dass es sich tatsächlich um eine Waffe mit erheblicher Reichweite handelt. Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un will durch den Test offenbar die bevorstehenden internationalen Verhandlungen über Sanktionen gegen sein Land beeinflussen, die auch auf dem G20-gipfel in Hamburg Gesprächsthema sind.
Mit seinen Waffentests hat Kim in den vergangenen Monaten so intensiv provoziert wie noch nie. Er ließ mehreren Un-resolutionen zum Trotz elf Raketenstarts und einen Atomtest durchführen. „Kim testet aus, wie weit er gehen kann“, sagt der japanische Verteidigungsexperte Narushige Michishita. „Die Demonstration der Massenvernichtungswaffen hält er für die Lebensversicherung seines Regimes.“
Bis vor Kurzem hatte Nordkorea zwar die Atombombe, aber keine Möglichkeit, sie ins Ziel zu bringen. Mit den neuen, schweren Raketen steht nun auch ein Trägersystem zur Verfügung. Großstädte wie Tokio sind bereits von einem Atomschlag Kims bedroht. „Nun rücken langsam Teile des Us-territoriums in seine Reichweite“, so Michishita.
Die neue Waffe verändert die Ausgangslage in möglichen Verhandlungen. Kim kann sich nun aufspielen wie der Herr über eine echte Atommacht. Tatsächlich lässt diese Situation die Verhandlungspartner vorsichtig werden. Was, wenn Sanktionen das Regime instabil werden lassen? Würde Kim in Verzweiflung zuschlagen?
Eine verbleibende Option der Weltgemeinschaft wäre die totale Einstellung des Handels zwischen China und Nordkorea. „Die USA haben bereits signalisiert, dass sie
Viele fürchten die Folgen einer totalen Isolation Nordkoreas
härtere Sanktionen anstreben“, sagt Rajiv Biswas vom amerikanischen Forschungszentrum IHS. Der Raketentest erhöhe den Druck auf die G20-mitglieder, endlich einen wirkungsvollen Umgang mit Kim zu finden, sagt Biswas. Entgegen Trumps Vorstellungen hat China jedoch kaum noch Möglichkeiten, Kims Waffenprogramm aufzuhalten. In der Vergangenheit hat die chinesische Führung versäumt, ihren erheblichen Einfluss auszuspielen, um die Nuklearisierung Nordkoreas zu verhindern. Das gilt heute als Fehler der alleinregierenden Kommunistischen Partei.
Innerhalb der Partei gab und gibt es eine starke Gruppe, die Nordkorea unterstützt: Immerhin handelt es sich neben Vietnam um das letzte sozialistische Bruderland Asiens. Die Nachsicht hat dazu geführt, dass nun auch Peking hilflos ist. Wenn die Chinesen wirklich dichtmachen, wäre Kims Land isoliert. Es würden sofort Hungersnöte und eine fundamentale Destabilisierung des Landes drohen. Doch selbst Südkorea hat kein Interesse an einem Zusammenbruch des Nachbarn.
Eine Wiedervereinigung wäre enorm teuer, beide Koreas passen längst nicht mehr zusammen. Sowohl Südkorea als auch China würden von Flüchtlingsströmen überrannt, wenn Kim seine Bevölkerung nicht mehr ernähren kann. Japan fürchtet, das wahrscheinlichste Ziel für einen Verzweiflungsangriff zu sein. Die Weltgemeinschaft ist weitgehend hilflos. Eine mögliche Option wären respektvolle Verhandlungen mit Kim, die substanzielle Angebote als Gegenleistung für Abrüstung beinhalten.