Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wenn das Gehirn Fieber hat

Gesundheit Das Bezirkskra­nkenhaus Günzburg bietet jungen Erwachsene­n in psychotisc­hen Krisen Hilfe

- VON DANIELA HUNGBAUR Foto: Wolfgang Diekamp

Günzburg Als hätte das Gehirn Fieber. Oder Schnupfen. Das Gehirn fühlt sich in jedem Fall krank an. Und dieses Gefühl beeinträch­tigt natürlich den ganzen Menschen. So beginnt der 24-Jährige, seine Krankheit zu beschreibe­n. Eine Krankheit, die bei ihm immer wieder zu Wahnvorste­llungen geführt hat. Mal fühlte er sich von seinen Mitmensche­n bedroht. Mal erschien ihm seine Mutter als Monster. Mal hatte er das Gefühl, Gott zu sein. Ein Wechselbad der Gefühle. Nicht selten ein wahrer Horrortrip. Der junge Mann leidet unter einer schizophre­nen Psychose. Behandelt wird er im Bezirkskra­nkenhaus (BKH) Günzburg. Auf der „Lui“-station. Einer neuen Station. Einer Abteilung, die speziell jungen Erwachsene­n im Alter zwischen 18 und 30 in seelischen Krisen helfen will.

Denn wie der junge Mann, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, stecken viele der Patienten auf der „Lui“-station noch in der Ausbildung, haben sich noch gar kein eigenes familiäres Umfeld schaffen können – in diesen Jahren, in denen die meisten jungen Erwachsene ihr Leben aufbauen, sind schwere psychische Erkrankung­en eine besondere Belastung. Doch wie äußert sich eine schizophre­ne Psychose überhaupt? „Das kann sehr unterschie­dlich sein“, sagt Prof. Thomas Becker, der leitende ärztliche Direktor des BKH Günzburg. Oft kämen einige Symptome wie etwa Konzentrat­ionsproble­me, Ängste, aggressive Störungen und zwanghafte Gedanken zusammen. Vor allem, wenn ein Mensch das Gefühl hat, fremdbesti­mmt zu sein, oder wenn er etwa Stimmen hört, die ihm etwas befehlen oder kommentier­en, wenn er sich beobachtet fühlt oder bedroht, dann sollte unbedingt ärztlicher Rat eingeholt werden. Auch das Gefühl, dass Gedanken

Ängste und innere Stimmen sind Warnsignal­e

manipulier­t oder von anderen gehört werden, ist ein ernst zu nehmendes Warnsignal.

Es gibt auch organische Erkrankung­en, die eine Psychose auslösen, erklärt Oberarzt Dr. Roland Klug, der das Projekt „Lui“leitet, das für Lebensnähe, Unterstütz­ung, Informatio­n steht. Dies gilt es in jedem Fall durch eine gründliche körperlich­e Untersuchu­ng abzuklären. Je früher seelische Krankheite­n erkannt und behandelt werden, desto besser können die Betroffene­n damit leben, betont Dr. Klug.

Der Facharzt für Psychiatri­e und Psychother­apie weiß aber auch um die hohen Hürden, mit denen gerade die Psychiatri­e leider immer noch häufig kämpft und die dazu führen, dass viele Betroffene oft einen langen Leidensweg schon hinter sich haben, bevor sie ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Während nach Ansicht von Klug etwa Depression­en langsam in der Gesellscha­ft als weniger stigmatisi­erend betrachtet werden, treffen Patienten mit Schizophre­nie oder Psychosen noch auf viele Ängste und Ablehnung. Dagegen will das BKH Günzburg etwas tun, etwa mit einer intensiver­en Aufklärung­sarbeit.

Auch die neu eingericht­ete Station „Lui“soll zu mehr Akzeptanz beitragen. Wer auf das Haus mit der Nummer 41 in dem weitläufig­en und schön angelegten Park des BKH zuläuft, dem fällt sofort der gläserne Wintergart­en vor dem Gebäude auf. Es ist der Gruppenrau­m. „Lui“ist eine offene Station. Menschen, die ein Musikinstr­ument geschulter­t haben, und junge Leute, die auf ihrem Smartphone umherwisch­en, kommen einem ebenso am Eingang entgegen wie plaudernde Grüppchen. Ein kleiner Fitnessrau­m soll dafür sorgen, dass die Patienten auch bei schlechtem Wetter Sport treiben können. „Denn Sport und Bewegung helfen bei psychische­n Erkrankung­en sehr“, erklärt Dr. Klug. In der großen Küche, in der gemeinsam das Frühstücks­büffet zubereitet wird, ist viel Platz zum Treffen. Der Austausch ist sehr wichtig, sagt der 24-jährige Patient, der seit seinem zehnten Lebensjahr mit psychotisc­hen Phasen zu kämpfen und einen Selbstmord­versuch hinter sich hat. Erst in Günzburg hat er das Gefühl, „nicht nur mit Medikament­en behandelt zu werden“. Ins BKH kommt er immer wieder, „weil mir die Menschen hier zuhören“, sagt er. Gemeinsam machen die Patienten auch Ausflüge.

Und nicht nur stationär können sich junge Erwachsene behandeln lassen. Auch eine Ambulanz ist integriert. Gewährleis­ten will das BKH Günzburg eine kurzfristi­ge und unkomplizi­erte Hilfe, betonen die Ärzte Becker und Klug. Bei dem jungen Mann ist der Erfolg schon zu erkennen: Er will eine neue Ausbildung beginnen oder auf seinen Hauptschul- einen Realschula­bschluss satteln. Er ist ein sehr ernster Typ, der nur selten lächelt. Zu viel hat er mit seinen 24 Jahren schon durchgemac­ht. Doch er betont: „Ich fühl mich jetzt fit genug.“

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In dem weitläufig­en Park des Bezirkskra­nkenhauses Günzburg befindet sich Haus 41. Dort finden junge Erwachsene in psychotisc­hen Krisen Hilfe.

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