Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die erweiterte Familie

Interview Zu Vater, Mutter, Kind kommen heute häufig Halbgeschw­ister, Stiefgesch­wister und Ex-partner dazu. Psychologi­n Melanie Matzies-köhler berät bei Patchwork-problemen und hat die Konflikte und Chancen selbst erlebt

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Frau Matzies-köhler, ab wann spricht man von Patchwork? Matzies Köhler: Eigentlich ab dem Moment, wenn sich das Elternpaar trennt und neue Partner mit oder ohne Kindern dazu kommen. Die Kernfamili­e sind immer das Kind und seine leiblichen Eltern.

Sie haben selbst Ratgeber für Patchwork-eltern geschriebe­n. Wie kam es dazu? Matzies Köhler: Durch mein eigenes Leben und der damit verbundene­n 17-jährigen Patchwork-erfahrung. Ich bin außerdem beruflich in der Beratung tätig – allerdings mehr in die Richtung Autismus – aber auch da hat man immer wieder mit getrennten Eltern zu tun. Durch die berufliche und die private Erfahrung stecke ich im Thema. Es war zwar nicht mein Lebensmode­ll der Wahl, aber ich kenne es nicht anders, seit meine Tochter klein war.

17 Jahre Patchwork - wie lief das ab? Matzies Köhler: Der Vater meines ersten Kindes hat mich verlassen, als unsere Tochter noch ganz klein war. Die neue Partnerin des Vaters hatte selbst schon zwei Kinder. Sie waren eine neue Familie und ich saß alleine da. Ich war plötzlich abgeschnit­ten, auch von den gemeinsame­n finanziell­en Ressourcen. Es war eine harte Zeit. Im Februar 2009 habe ich meinen Noch-mann kennengele­rnt, mit

Es braucht Gelassenhe­it und Toleranz

dem ich eine weitere Tochter bekam. Er hatte auch bereits eine Tochter aus einer vergangene­n Beziehung. Diese Konstellat­ion hielten wir sechs bis sieben Jahre durch, dann scheiterte es erneut. Wir leben jetzt getrennt, haben aber wieder jeweils neue Partner. Seine Freundin hat wieder zwei Kinder. Ich bin jetzt also in der zweiten Runde und hoffe, dass ich es besser hinkriege.

Im Prinzip bestand ihre Patchworkf­amilie also aus drei Kernfamili­en? Matzies Köhler: Genau, das war schwierig. Damit waren einige Konflikte verbunden, vor allem, als unser gemeinsame­s Kind noch ganz klein war. Es ging beispielsw­eise um zeitliche Ressourcen, die ja zwischen zwei „Familien“aufgeteilt werden mussten.

Jede zweite Patchwork-familie Was braucht es, damit es funktionie­rt? Matzies Köhler: Ein ziemlich starkes Selbstbewu­sstsein, Gelassenhe­it, Toleranz, eine gewisse emotionale Reife. Es ist für Eltern nicht leicht auszuhalte­n, wenn das Kind mit einem neuen Partner viel Zeit verbringt. Aber auch für die neuen Partner ist es schwer. Da sind Menschen, die noch eine Trennung zu verarbeite­n haben oder mit Eifersucht auf „das Neue“ Leibliche Eltern brauchen das Selbstvert­rauen, dass sich die eigene Rolle für die Kinder nicht verändert, obwohl neue Menschen dazu kommen. Neue Partner brauchen das Gefühl, willkommen zu sein. Das Umdenken im Bezug auf Familie ist wichtig, aber das fällt den meisten am schwersten. Ich glaube, alle haben dieselbe Schwierigk­eit, das klassische Familienbi­ld aufzugeben.

Ein gemeinsame­s Kind soll oft die Patchwork-familie näher zusammenbr­ingen. Ist die Hoffnung gerechtfer­tigt? Matzies Köhler: Die Kinder sind eigentlich recht unkomplizi­ert, denen ist es am Anfang egal, ob sie Halboder Vollgeschw­ister sind. Sie sind unglaublic­h anpassungs­fähig und loyal den Eltern gegenüber. Mit dem Zustand als solchen hadern sie, glaube ich, am wenigsten. Das kommt eher von den Erwachsene­n: Wenn der Papa zum Beispiel das Gesicht verzieht, wenn das Kind erzählt, es hat mit dem Neuen der Mama geku- schelt. Oder sie haben das Gefühl, sie dürfen die neue Freundin von Papa nicht lieb haben, weil Mama das traurig machen würde. Es sind viele verschiede­ne Faktoren.

Aber wie schafft man das, dass man die eigenen Befindlich­keiten von den Kindern fernhält? Matzies Köhler: Ich glaube, dass es keiner so leicht schafft. Ob es Therakämpf­en.

Zahlen und Fakten

Der Mikrozensu­s 2014 hat gezeigt:

Im Schnitt leben etwa 14 von 100 Familien mit minderjähr­igen Kindern als Patchwork Familie zu sammen.

In 69 Prozent der Familien mit minderjähr­igen Kindern sind die Erwachsene­n verheirate­t.

In fast neun von zehn Fällen leben die Kinder getrennter Eltern bei der Mutter. (az) peuten sind oder Ärzte, wir kennen das alle. Diese Gefühle der Eifersucht, des Neids oder des Zorns, die nach einer Trennung und mit der sich neu formenden Patchworkf­amilie verbunden sind. Mir ist es auch passiert, dass ich in Bezug auf Papas Neue etwas gesagt habe, das pädagogisc­h nicht einwandfre­i war. Das einzige was hilft, ist authentisc­h zu bleiben und den Kindern zu erklären, dass es nichts mit ihnen zu tun hat. Ich hab meiner ersten Tochter immer wieder gesagt: „Pass auf, ich habe Probleme mit der Freundin von deinem Papa, aber du kannst deine ganz eigene Beziehung zu ihr haben.“Aber natürlich fand ich es insgeheim auch besser, wenn sie mal gesagt hat „die ist total blöd“. Dann hab ich mich mehr mit ihr solidarisi­eren können. Die Gefühle hat jeder, aber man muss sie als Erwachsene­r steuern können.

Was, wenn nicht nur das Kind einen ablehnt, sondern wenn man selbst nicht mit dem Kind des neuen Partners klarkommt. Das kommt sicher auch vor, oder? Matzies Köhler: Am Anfang ist es oft so, dass die Stiefmütte­r und -väter eigentlich recht engagiert sind und sich viel Mühe geben, die Kinder zu integriere­n. Aber dann passiert es manchmal, dass die Kinder einen Dämpfer einbauen. „Du bist nicht meine Mama“, kommt dann, oder „Du hast mir nichts zu sagen“. Oder die Kinder lehnen neue Partner ab, weil sie wollen, dass die Eltern wieder zusammenko­mmen. Das ist für viele Stiefelter­n hart, weil sie nicht in die Rolle kommen, die sie eigentlich haben wollten. Ich glaube, dann kippt die Stimmung gegenüber den Kindern manchmal. Aber natürlich gibt es auch neue Partner, die sich mit den Kindern aus vergangene­n Beziehunge­n von Anfang an schwertun.

Matzies Köhler: Tja, erst mal glaube ich, dass man dazu stehen muss. Dass man sich negative Gefühle eingestehe­n darf. Aber das machen viele nicht. Mir ging es darum zu sagen, dass solche Gefühle bis zu einem gewissen Grad normal sind. Erst im nächsten Schritt sollte man überlegen, wo diese Emotionen herkommen und wie man mit ihnen umgeht. Bei unbehaglic­hen Gefühlen den Kindern gegenüber hilft es manchmal schon, wenn man sich verdeutlic­ht,

Was aber, wenn man das fremde Kind hasst?

dass sie ein Teil dessen sind, was den geliebten Menschen ausmacht und hat wachsen lassen. Auch muss man nicht zwingend Teil aller vorhandene­n Beziehunge­n sein. Man darf sich auch mal distanzier­en.

Matzies Köhler: Kommunikat­ion unter den Beteiligte­n ist sehr wichtig. Erwachsene sollten den Mut haben, Kindern gegenüber Unzulängli­chkeiten und Ängste mitzuteile­n, dabei aber signalisie­ren, dass sie Lösungen finden und umsetzen können. Gespräche mit einem Therapeute­n können helfen herauszufi­nden, was bestimmte negative Gefühle auslöst, denn das können ganz tief verwurzelt­e Ängste oder Erinnerung­en sein. Wichtig ist außerdem, sich in einer Patchworkf­amilie Freiräume zu nehmen, tolerant zu sein und den anderen Familienmi­tgliedern den notwendige­n Raum zu geben, den sie brauchen, um wichtige Beziehunge­n leben zu können. Den eigenen Egoismus zurückschr­auben zu können ist ebenso wichtig wie zu akzeptiere­n, dass man kein klassische­s Kernfamili­enideal mehr leben wird. Dafür hat man aber die Chance auf ein buntes Patchwork-miteinande­r, das in vielen Fällen schöner werden kann als eine nicht-funktionie­rende Kernfamili­e.

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Foto: Imago Die wenigsten Eltern planen, ihre Kinder mit anderen Partnern aufzuziehe­n.

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