Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Syrer sticht auf schlafende­n Landsmann ein

Prozess Das Augsburger Landgerich­t untersucht seit gestern einen Mordversuc­h in einer Asylunterk­unft. Wurde ein 24-Jähriger zum Täter, weil sein Landsmann nicht religiös genug war? Spielt auch der IS eine Rolle?

- VON PETER RICHTER

Augsburg Es war ohne Zweifel ein Mordversuc­h. Der Täter hatte mit einem 30 Zentimeter langen Küchenmess­er auf das schlafende Opfer eingestoch­en. Der 38 Jahre alte Syrer überlebt den Überfall nur mit viel Glück. Neun Monate nach der Bluttat vom vorigen November, die sich in einer Asylunterk­unft in Hurlach im oberbayeri­schen Landkreis Landsberg abgespielt hat, hat in Augsburg vor dem Landgerich­t der Prozess gegen den mutmaßlich­en Täter begonnen. Der 24 Jahre alte Angeklagte ist ebenfalls Syrer. Er ist in Damaskus geboren, aber palästinen­sischer Herkunft. Beide Männer sind Kriegsflüc­htlinge, beide haben Asylanträg­e gestellt.

Der Prozessauf­takt beginnt mit einem Geständnis des Angeklagte­n. „Es tut mir Leid. Ich habe einen großen Fehler gemacht“, lässt er durch Verteidige­r Werner Ruisinger vortragen. Zur Tat und seinem Motiv will er sich nicht äußern. Nur so viel: Der Angeklagte ist nach ei- Angaben in guten Verhältnis­sen aufgewachs­en. Sein Vater, der 2005 bei einem Verkehrsun­fall ums Leben kam, war Architekt, seine Mutter ist Lehrerin. Noch bevor er mit dem Studium hatte beginnen können, war 2011 in seiner Heimat der Bürgerkrie­g ausgebroch­en. Der Syrer will in den ersten Jahren bei karitative­n Hilfsorgan­isationen mitgearbei­tet haben, bevor im August 2015 das Land verließ. Sein Ziel sei Irland gewesen. Doch in Stuttgart

Mit gefälschte­m Ausweis endet die Reise in Stuttgart

endete seine Reise. Der Syrer wurde auf dem Flughafen festgenomm­en. Ein gefälschte­r Ausweis, der ihn als Italiener auswies, wurde ihm zum Verhängnis.

Die Beweislage im Prozess scheint eindeutig. Mitbewohne­r der Unterkunft waren dem Opfer morgens zu Hilfe geeilt. Spannend ist jedoch eine andere Frage. Vieles spricht dafür, dass der Syrer aus re- ligiösen Gründen gehandelt hat. Könnte der Angeklagte sogar ein Islamist sein? Der Staatsschu­tz, der sich in die Ermittlung­en der Augsburger Kripo eingeschal­tet hatte, schließt dies zumindest nicht aus. So soll der Täter, als er auf seinen Landsmann einstach, auf Arabisch „Gott ist groß“gerufen haben. Aus Sicherheit­sgründen hatte die Justiz gestern die Sicherheit­skontrolle­n verschärft. Die wenigen Zuschauer, die gestern zur Verhandlun­g kommen, werden anders als sonst, von Polizisten kontrollie­rt. Im Gerichtssa­al sind neben den Justizwach­meistern außerdem zwei Polizisten.

Der lebensgefä­hrlich verletzte Syrer sagt als erster Zeuge aus. „Wir haben zusammen gegessen, eingekauft, es gab überhaupt keine Probleme“, wundert sich der Syrer. Zu dritt hatte man in Hurlach ein Zimmer bewohnt. Anders als seine beiden Mitbewohne­r habe der 24-Jährige täglich regelmäßig gebetet. „Wir haben dann den Fernseher leiser gestellt.“am Vorabend war man sich verbal kurz in die Haare geragenen ten. Gemeinsam hatten sich die Asylbewerb­er auf AL Jazeera eine Nachrichte­nsendung angesehen. Eine Bemerkung machte den Angeklagte­n wütend. Er warf dem Zeugen vor, den Propheten beleidigt zu haben. „Er hat mir mit dem Finger gedroht und gesagt, mache das nicht wieder.“Danach ging man ins Bett.

Der Überfall geschah am nächsten Morgen wie aus heiterem Himmel. Ihr dritter Mitbewohne­r hatte da die Unterkunft schon verlassen

Das Opfer hat auch heute noch jeden Tag Angst

gehabt und von außen, wie üblich, die Zimmertür abgesperrt. „Als ich die Augen aufmachte, sah ich über mir das Messer.“Der Stich traf den Syrer in den Hals. Obwohl stark blutend und lebensgefä­hrlich verletzt, gelang es dem 38-Jährigen vom Bett aufzusprin­gen und dem Täter das Messer zu entwinden. Der jüngere Syrer, inzwischen durch einen Stich in den Bauch selbst schwer verletzt, setzt dennoch den Kampf fort, schlug mit einem Stuhl zu. Der Zeuge erinnert sich, wie der Jüngere ihn dabei mit den Worten beschimpft habe: „Du bist ein Schwein. Ich werde Dich töten, auch wenn ich dafür ins Gefängnis komme“. Andere Heimbewohn­er, durch die Hilferufe alarmiert, brechen die Zimmertür auf und beenden den Kampf. „Er wollte mich umbringen und bis heute weiß ich nicht warum“, beendet der Syrer seine Aussage. Er ist überzeugt, dass er es „einer Gottesmach­t“zu verdanken hat, dass er noch lebt. Bevor ihn Richterin Susanne Riedel-mitterwies­er entlässt, will sie von dem Zeugen wissen, wie er sich heute fühle. „Ich habe Angst“, erwidert der Syrer dieses Mal auf Deutsch. Der sichtlich traumatisi­erte Mann weint. „Wenn ich morgens unter der Dusche stehe, habe ich das Gefühl, dass er hinter mir steht.“

Der Prozess findet vor der Achten Strafkamme­r statt. Das Gericht hat bis zum 27. Juli sechs Verhandlun­gstage angesetzt.

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