Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Frage der Woche Mitleid mit Boris haben?

- STEFANIE WIRSCHING

Mitleid sollte man schon mal mit jedem haben, dem Franz Josef Wagner in der Bildzeitun­g einen Brief schreibt. Meist sind das ja keine netten Briefe, sonst hätte der Mann auch nicht so viele Leser. An Boris Becker hat er vor wenigen Tagen geschriebe­n: „Wer glaubst Du, wer Du bist? Ein höherer Mensch, der nichts mit dem kleinen Mann auf der Straße zu tun hat?“Vielleicht zählt Wagner zu denen, die den Ton vorgeben, vielleicht fällt er auch nur mit ein. Wenn es um Becker geht, lässt es sich immer leicht krakeelen. Weil ja die Fehler, die er in seinem zweiten Leben macht, so offensicht­lich erscheinen wie die damals auf dem Tennisplat­z. Damals stöhnten die Deutschen vor Entsetzen, aber verziehen schnell. Weil die Gegner ja auch Pete Sampras oder Ivan Lendl hießen. Tennisgött­er wie er, da kann man schon mal verlieren. Da war er der 17-jährigste Leimener, und der Schriftste­ller Martin Walser schrieb, er fühle sich bei seinem Anblick an Heiligenfi­guren erinnert. Heute ist er ein 49-jähriger Sportmoder­ator, kämpft auf normalirdi­schem Terrain, ringt also ums Familiengl­ück, um das finanziell­e Überleben, und wenn er nun ein Bild von sich postet wie zuletzt mit dem berühmten Wimbledon-bussard, schreibt ein Scherzkeks drunter: „Seht, die Pleitegeie­r kreisen schon ...“Hahaha.

Da tut er einem leid. Natürlich. Häme ist hässlich, gilt als deutsch, ist nie verdient. Dass sie den Geschmähte­n klein macht, den Schmähende­n aber noch mehr, ist eine andere Sache. Über dem Eingang zum Centre Court von Wimbledon hängt ein Schild mit zwei Zeilen aus einem Gedicht von Rudyard Kipling, übersetzt lauten sie: „Wenn du mit Sieg und Niederlage umgehen kannst / Und diese beiden Blender gleich behandeln kannst.“Man scheitert allzu leicht daran.

Boris Becker hat vor unendlich langer Zeit dreimal Wimbledon gewonnen. Da stand die Mauer noch, Theresa May wurde vermutlich gerade eingeschul­t und niemand hatte Mitleid mit dem in Schwierigk­eiten steckenden Immobilien­tycon Donald Trump. Becker war ein verdammt junger rotblonder Tennisspie­ler damals. Heute ist er ein älterer Mann, der einmal ein sensatione­ller Tennisspie­ler war. In der Zeit dazwischen lebte Boris Becker von seiner Prominenz – er gehört seit Jahrzehnte­n zu jenem Kreis von Li-la-lilly-leuten, denen man beim Friseur nicht entkommt, falls man dort bunte Blätter liest.

Das allermeist­e, was Boris Becker so sagt und tut und darstellt, ist entweder peinlich, unerheblic­h, banal oder privat. Ob er nun bankrott ist oder nicht – an seinem Stehaufmän­nchen-status als ewiger „Promi“wird das nichts ändern. Dieses Kapital setzt er ein. Und deshalb wird er als Marke auch weiter gut gepolstert um die Welt jetten können, ohne irgendwo betteln oder bei einem Altherrent­urnier in Gersweiler oder Nordendorf nach dem Siegersche­ck über 175 Euro hechten zu müssen.

Mitleid mit Boris Becker? Weil er sein Riesenanwe­sen auf Mallorca nicht los wird? Eine Besenkamme­rexistenz droht dem Mann nicht, dessen Lebensleis­tung seit dem Ende seiner Tenniskarr­iere im Grunde darin besteht, dass die Leute ihn kennen. War der nicht neulich bei diesem Quiz in

RTL? Oder war das die ARD? Becker taugt nicht für die Rolle des gefallenen Engels. Ein Fiesling ist er ebenso wenig. Zu ihm wollen weder Mitleid noch Häme passen – auch wenn beides ihm nun häufiger begegnen wird. Fürs große Drama gibt diese ausgeleier­te Figur nichts her. Übergehen wir Boris Becker mit einem Schulterzu­cken, das genügt.

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