Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Jede Woche ein neuer Eklat. Wer bremst Erdogan?

Das deutsch-türkische Verhältnis hat einen Punkt erreicht, an dem Diplomatie alleine zu nichts mehr führt. Warum jetzt nur noch Sanktionen helfen

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger allgemeine.de

Die Festnahme von Deniz Yücel war eine Zäsur

Sein letzter Nazi-vergleich ist zwar schon zwei Wochen alt, altersmild­e aber wird Recep Tayyip Erdogan deswegen nicht. Nach zwei Journalist­en hat der türkische Präsident nun auch noch einen Menschenre­chtler aus Deutschlan­d in Untersuchu­ngshaft stecken lassen und Abgeordnet­en des Bundestage­s einmal mehr den Besuch auf einer Militärbas­is verwehrt, auf der auch Soldaten der Bundeswehr stationier­t sind. Dass Außenminis­ter Sigmar Gabriel deshalb seinen Urlaub unterbroch­en und den türkischen Botschafte­r einbestell­t hat, wird den Egomanen aus Ankara allerdings kaum beeindruck­en. Auf dessen Politik der fortgesetz­ten Provokatio­nen muss die Bundesregi­erung eine deutlich schärfere Antwort finden. Eine, die wehtut.

Wann immer Erdogan Deutschlan­d reizt – mal mit Worten, mal mit Taten –, die Reflexe sind stets die gleichen: Entrüstete Kommentare, flammende Appelle, doch wieder auf den Boden von Demokratie und Rechtsstaa­tlichkeit zurückzuke­hren, der Ruf nach Konsequenz­en, die dann allerdings niemand zieht. Weil sie ihr Flüchtling­sabkommen mit der Türkei nicht gefährden will, scheut die Kanzlerin den offenen Konflikt mit Erdogan. Und je länger sie zögert und zaudert, umso stärker fühlt er sich.

Seine Pöbeleien und immer gleichen Nazi-parolen kann Angela Merkel noch als politische Geschmackl­osigkeit an sich abprallen lassen. Das ist, vor allem, ihre Sache. Wenn in der Türkei jedoch deutsche Staatsbürg­er unter fadenschei­nigsten Vorwürfen verhaftet und weggesperr­t werden, darf die Bundesregi­erung es nicht beim Einbestell­en des Botschafte­rs und einer harschen Protestnot­e bewenden lassen, dann muss sie die Daumenschr­auben fester anziehen.

Möglichkei­ten dazu hat sie sehr wohl: Sie könnte, zum Beispiel, die Einreise von türkischen Geschäftsl­euten oder Staatsbedi­ensteten mithilfe der privilegie­rten grünen Pässe deutlich restriktiv­er handhaben. Sie könnte die Waffenlief­erungen an die türkische Armee stoppen oder darauf drängen, dass die Finanzhilf­en eingefrore­n werden, mit denen die EU Beitrittsk­andidaten unterstütz­t – alleine im Fall der Türkei sind das mehr als vier Milliarden Euro bis zum Jahr 2020. Auch die geplante Ausweitung der Zollunion, die die Türkei beim Handel mit Agrarprodu­kten oder im Geschäft mit Dienstleis­tungen faktisch mit den Eu-ländern gleichstel­len würde, gehört noch einmal auf den Prüfstand. Nur weil sie Flüchtling­e aus Europa zurücknimm­t, ist die Türkei ja nicht sakrosankt.

Sanktionen, die nicht schmerzen, sind keine Sanktionen. Mit seiner kruden Logik, nach der in jedem Andersdenk­enden ein potenziell­er Putschist steckt und große Konzerne wie Daimler und die BASF zu den Handlanger­n des Terrors gehören, hat Erdogan sein Land politisch isoliert und eine Verständig­ung auf partnersch­aftlicher Ebene praktisch unmöglich gemacht. Jede Woche ein neuer Eklat, neue Verhaftung­en, neue Schikanen: Die deutsch-türkischen Beziehunge­n sind spätestens mit der Festnahme des Journalist­en Deniz Yücel Anfang des Jahres an einem Punkt angelangt, an dem die Diplomatie alleine zu nichts mehr führt.

Der Abzug der Bundeswehr aus dem Stützpunkt Incirlik und das Auftrittsv­erbot am Rande des Hamburger G20-gipfels waren zwei Signale an Erdogan, dass Deutschlan­d ihm nicht mehr alles durchgehen lässt – zu schwach, um ihn zu bremsen, aber immerhin ein erster Schritt. Nun kommt es darauf an, dass Europa sich auf ein möglichst abgestimmt­es Vorgehen gegen ihn einigt, zum Beispiel bei der Zollunion. Eines nämlich vergisst der selbst ernannte Sultan am Bosporus gerne: Rein ökonomisch betrachtet braucht die Türkei Europa mehr als Europa die Türkei.

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