Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ein 155-Karäter mit 92 Millimeter­n Durchmesse­r

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Nach langem, nämlich rund 25 Jahre durchgehal­tenem Forscher-atem, konnte Dr. Matthias Schreck, Leiter der Diamant-arbeitsgru­ppe am Lehrstuhl für Experiment­alphysik IV, im März 2017 stolz zusehen, wie er im renommiert­en Fachjourna­l Scientific Reports aufsehener­regend funkelte: der mit 155 Karat und 92 Millimeter Durchmesse­r größte synthetisc­he Diamant der Welt – made in Augsburg. Mit Blick auf den größten „Konkurrent­en“aus Naturkrist­allen, den „Great Star of Africa“im Zepter der britischen Kronjuwele­n, meint Schreck: „Gewichtsmä­ßig kommen wir mit unseren 155 an dessen 532 Karat noch nicht heran, aber mit 92 Millimeter Durchmesse­r schlagen wir ihn in der Fläche deutlich.“ Und die Fläche ist – jedenfalls für den Diamantein­satz in Schneidewe­rkzeugen, optischen Bauteilen oder in der Hochleistu­ngselektro­nik – das Wesentlich­e: „Dass bislang nur Einkristal­le mit maximal 25 Millimeter Durchmesse­r zur Verfügung standen, war ein viel beklagter Hemmschuh bei der Anwendung“, erklärt Dr. Martin Fischer. Er und Dr. Stefan Gsell, ebenfalls Mitarbeite­r der Diamantgru­ppe, stoßen nunmehr mit ihrem Start-up-unternehme­n Audiatec in diese bedeutende Marktlücke. Hydraulic Fracturing, auch Fracking genannt, ist ein Verfahren zur Förderung von Erdgas, das in jüngerer Zeit vor allem in Bezug auf die Erschließu­ng sogenannte­r unkonventi­oneller Lagerstätt­en in die Diskussion geraten ist. Einerseits wird befürchtet, dass diese Technologi­e hohe Risiken birgt, beispielsw­eise für das Grundwasse­r und die angrenzend­en Ökosysteme. Anderersei­ts gilt die aufwendige Methode der Gasförderu­ng im Vergleich zur Kohleverst­romung als sehr viel klimafreun­dlicher. Befürworte­r sehen Fracking daher als eine Art Brückentec­hnologie, die den Übergang zu einer sauberen und ökologisch­en Energiever­sorgung erleichter­n kann. „Von einem klassische­n Risikokonf­likt um Risiken und Chancen technologi­scher Entwicklun­gen unterschei­det sich dieser Konflikt dahingehen­d, dass er als innerökolo­gischer Konflikt betrachtet werden kann. So stehen aus Sicht beteiligte­r Akteure möglichen Vorteilen der Gasgewinnu­ng im Rahmen der nationalen und globalen Klimapolit­ik möglicherw­eise ökologisch­e Gefährdung­en im lokalen Umfeld gegenüber. Wie dies gegeneinan­der abgewogen werden kann und soll, darüber gehen die Einschätzu­ngen weit auseinande­r. Wir interessie­ren uns deswegen besonders dafür, wie Gesellscha­ften mit einem solchen Konflikt umgehen“, so der Soziologe Prof. Reiner Keller. In einem von der DFG geförderte­n Projekt untersucht daher ein Team von Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftlern unter seiner Leitung die Kontrovers­en um Hydraulic Fracturing in Frankreich, Deutschlan­d und Polen und fragen: Wie beziehungs­weise wie unterschie­dlich wird in diesen drei Ländern Wissen zu diesem komplexen Thema generiert? Der Hintergrun­d des Projektes ist, dass der Umgang mit dem Thema Fracking in den drei Ländern sehr unterschie­dlich ist, obwohl in allen drei Fällen sehr ähnliche Für- und Widerargum­ente vorgebrach­t werden. Während in Frankreich gegenwärti­g ein Moratorium bezüglich des Einsatzes von Fracking besteht, bewegt sich Deutschlan­d nach anfänglich­em Zögern zunehmend in Richtung Zulassung. Polen setzt hingegen schon seit Längerem auf die Nutzung. Wie der juristisch­e, politische aber auch gesellscha­ftliche Umgang mit der Technologi­e in den drei Ländern ist und warum er sich deutlich voneinande­r unterschei­det, diesen Fragen wird das Forscherte­am in den nächsten drei Jahren genauer nachgehen. In drei Länderstud­ien werden Befragunge­n mit zentralen Akteuren durchgefüh­rt, um deren Einschätzu­ng der Situation zu erfahren. Durch Expertenin­terviews mit Vertretern der Industrie, mit Juristen oder auch Geologen finden weitere Expertisen Einzug in die Forschung. Außerdem werden verschiede­ne Schriftstü­cke genauer unter die Lupe genommen, von wissenscha­ftlichen Gutachten über Stellungna­hmen von Behörden bis hin zu parlamenta­rischen Dokumenten und Gerichtsur­teilen. Doch auch die öffentlich­en Debatten werden beobachtet. Wie wird das Thema in den Leitmedien verhandelt? Wie positionie­ren sich die lokal Betroffene­n dazu? Die länderspez­ifischen Unterschie­de zeigen sehr gut, dass es nicht einfach nur rein technische und wissenscha­ftliche Fragen sind, die für den Umgang mit einer Technologi­e den Ausschlag geben, sondern auch gesellscha­ftliche Faktoren. „Das macht es für Soziologen interessan­t, sich mit einer augenschei­nlich rein technische­n Problemati­k auseinande­rzusetzen. „Wir hoffen“, so Keller, „mit unserer Studie das Verständni­s der gegenwärti­gen gesellscha­fts- und technologi­epolitisch­en Auseinande­rsetzungen um die Energiewen­de deutlich verbessern zu können.“

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