Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Kein deutsches Auto mehr kaufen?
Es steht nicht gut um die Moral in der deutschen Autoindustrie. Da wird gelogen und betrogen und gekungelt, dass die Mafia dagegen aussieht wie eine Pfadfindergruppe. Und jetzt? Jetzt ermitteln deutsche Staatsanwälte und europäische Beamte. Irgendwann kommt dann ein Urteil und die Firmen müssen zahlen – oder eben nicht. Je nach dem. Soll man deswegen, in einem Akt ziviler Selbstjustiz, keine deutschen Autos mehr kaufen?
Empörung und Entrüstung sind menschlich und erst mal gut. Aber wenn der Blutdruck sinkt und das Hirn wieder etwas Sauerstoff bekommt, kann man ja mal noch über ein paar andere Fragen nachdenken, bevor man eine Entscheidung trifft. Zum Beispiel jene, warum man überhaupt ein Auto kauft: Weil man ein Verkehrsmittel braucht, das einen zuverlässig und günstig von A nach B bringt? Oder weil es für den richtigen Auftritt sorgen soll – lässig, sportlich, fortschrittlich, je nach Typ? Für die Ersten ist die Antwort klar: Durch die Aufdeckung der Skandale sind deutsche Autos ja nicht schlechter geworden, sondern im Zweifelsfall jetzt sogar besser. Bei aller Aufregung um manipulierte Dieselmotoren: Die wahre Diskussion dreht sich nicht um die Zukunft deutscher Diesel, sondern jener des Dieselmotors überhaupt. Es geht um Elektro oder Verbrenner, um Klimarettung, Verkehrskollaps und automatisiertes Fahren. Um Betrug kümmern sich Gerichte.
Wer seine Entscheidung vom Gefühl abhängig macht, hat es kurzfristig natürlich leichter. Ein spontaner Individualboykott für deutsche Autos kann helfen, sich moralisch integer zu fühlen. Ungefähr so, wie wenn man bei Facebook seine Empörung über den aktuellsten Aufreger postet und sich so sehr preisgünstig distanzieren kann. Tut nicht weh. Haut aber voll rein.