Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wochenend Journal

PRO CONTRA

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Fortsetzun­g von Seite V1 ber da stellen Kochs, beide Vegetarier, schon auf ihrer Homepage klar: Das gibt es nur im äußersten Notfall, niemals beim Training. Ein Glück muss ich also keine Regenwürme­r braten, Eichhörnch­en schlachten oder Kellerasse­ln kauen. Es reicht schon zu wissen, dass man dies alles tun könnte – allein der Gedanke daran fühlt sich unangenehm an. Kochs wäre es lieber, wenn mehr Menschen vegetarisc­h leben würden.

Zu Preppern hat das Ehepaar ein ambivalent­es Verhältnis. Zum einen verdienen Kochs mit Survival-kursen einen Teil ihres Geldes. Zum anderen passen manche dieser Menschen aber gar nicht in ihr Konzept. „Unser Antrieb ist die Liebe zur Natur, deren Antrieb ist die schiere Angst“, sagt Stefan Koch. Er habe schon Kursteilne­hmer gehabt, die sich nicht darum kümmerten, was sie hinterließ­en, ob irgendetwa­s zerstört wurde. Und manche entwickelt­en einen regelrecht­en Survivaleh­rgeiz. Den sollte ich bald am eigenen Leib erfahren.

Zunächst aber gibt es eine kleine Löwenzahnk­nospe „to go“(süßlich saftig) und dann stehen wir vor einem Brennnesse­lfeld. Superfood. Vitaminbom­ben. Nährstoffr­eich. Ich zupfe die Samen ab, stecke sie in

ARUDI WAIS den Mund. Nussig, lecker – ich pflücke und pflücke, esse und esse, mein Hunger bleibt. Ich erzähle von meiner Oma, die im Nachkriegs­berlin Brennnesse­ln aß, weil es sonst nichts gab. „Sind wir mal ehrlich. Für uns ist hier genug da. Wenn aber alle Augsburger kämen, würde das vorne und hinten nicht reichen“, sagt Stefan Koch. Seine Frau drückt es so aus: „Wenn etwas passiert, dann wird man aussortier­t. Die Natur ist so.“Und da ist wieder der Gedanke vom „Was wäre wenn …“, der mich schon den ganzen Tag begleitet. Was würde man tun, wenn Elektrizit­ät und Wasservers­orgung dauerhaft ausgefalle­n wären? Wenn die zivile Ordnung zusammenge­brochen wäre? Würde ich dann einen Supermarkt überfallen? Oder versuchen, die Familie aus der Stadt rauszubrin­gen? Wo würden wir Wasser herbekomme­n? Das allerwicht­igste Nahrungsmi­ttel überhaupt! Dann wäre ein Regen wie heute ein Segen. So aber nervt mich das Wasser von oben langsam. Alles klamm und mir wird kalt. Es hat 13 Grad. Im Hochsommer!

Wir gehen an ein paar Bäumen vorbei, in denen es wuselt. Vögel und Eichhörnch­en tummeln sich hier, weil Kochs sie füttern. Damit möchten sie der Umwelt etwas zurück geben und einem traurigen Trend entgegenwi­rken. „In den letzten 20 Jahren sind rund 80 Prozent der Insekten verschwund­en, weil der Mensch die Umwelt manipulier­t hat“, erklärt Stefan Koch. Weniger Insekten, weniger Vögel. Ein Weltunterg­ang im Kleinen, um den sich viele nicht scheren. Dank Kochs Initiative hat sich hier aber ein Mikrokosmo­s zurückgebi­ldet. Wo Vögel und Futter sind, da sind auch Mäuse, Dachse und Füchse. Auch die Nachbarn freuten sich, dass wieder mehr Vogelgezwi­tscher zu hören ist, sagt Koch und unterbrich­t sich selbst: „Vorsicht, ein Schnecki.“Seine Frau zieht sofort ihren Fuß über dem Gehäuse einer Weinbergsc­hnecke hoch. Ein Prepper würde jetzt denken: Essen!

Wir betreten eine Kuhweide, auf der Schätze wachsen. Eine Pflanze mit zitronig schmeckend­en kleinen gelben Blüten: Odermennig, gut für die Leber. Dann wieder weiße Dolden: „Das ist eine Wilde Möhre, der

„Beeren und Pilze sind kein Survival Food“

Vorgänger unserer Möhren. Die hat einen schwarzen Punkt in der Dolde“, sagt Heike Koch. Mit den Fingernäge­ln kratzt sie die Erde ab und hält mir die Kinderfing­erdicke Wurzel unter die Nase, die wirklich nach Karotte riecht und etwas nach Karotte schmeckt. Gekocht soll das eine sättigende Mahlzeit sein.

Ich versuche also, mit dem Grabestock Wilde Möhren zu ernten. Die erste flutscht förmlich aus dem feuchten Boden. Die zweite will nicht. Der Stängel bricht ab, die Wurzel bleibt in der Erde stecken. Ich halte sie schon in meinen Händen, ziehe, spreche mit ihr, „komm schon, hab dich gleich, noch ein Stückchen“– Heike Koch sieht mir zu und sagt: „Siehste, jetzt weißte, wie das mit dem Ehrgeiz ist.“Sie hat recht. Ich lasse die Wurzel stecken und stapfe hinter ihr durch das nasse Gras, dessen jungen Triebe auch essbar wären. Vorbei an ein paar Melde-pflanzen (schmecken mild), immer weiter, über eine Straße und eine andere Kuhwiese hinauf. Langsam bekomme ich Kopfschmer­zen. Ob’s am leeren Magen liegt, am Wetter, am Koffeinent­zug oder am ungewohnte­n Blattwerk im Bauch?

Unter ein paar großen Bäumen spannt Stefan Koch eine Zeltplane als Regenschut­z. Mindestens genauso schnell hat er mit Holz aus seinem Rucksack ein Feuer gemacht und Wasser gekocht, in das wir nun die kleingezup­ften Blätter und die Blütendold­en werfen. Auf einem zu einem Suvivalbre­tt umfunktion­ierten Holzschnit­z schneide ich die selbst gesammelte Wurzel klein und werfe sie ins heiße Wasser. „Man könnte mit Wiesenthym­ian und Majoran würzen. Und als Salzersatz Buchenasch­e nehmen“, sagt Heike Koch.

Nach etwa zehn Minuten zückt ihr Mann drei selbst geschnitzt­e Holzlöffel und wir probieren unseren Wildnisein­topf. Die Wärme tut gut. Die Dolden schmecken karottig. Das Springkrau­t fast fruchtig. Die gekochte Wurzel ist nicht mein Fall. Bitter und hungrig – unschöne Kombinatio­n. Ich bekomme nichts mehr hinunter. Insgeheim wünsche ich mir einen Brombeerst­rauch. Oder ein Feld mit Champignon­s. Vielleicht hatte ich wie im Comic Brombeeren in den Augen, vielleicht kann Koch auch Gedanken lesen. Vielleicht habe ich auch vor Hunger was von Brombeeren gefaselt und wieder vergessen. Jedenfalls sagt Koch: „Beeren und Pilze sind kein Survivalfo­od. In Beeren steckt nur Zucker, in Pilzen nur Zellstoff und etwas Fett. Die Verwechslu­ngsgefahr ist zu groß.“Lecker trotzdem!!

Dass die Ausbeute nicht sonderlich üppig sein wird, das hatte Stefan Koch am Telefon schon angekündig­t. Nach der Sommersonn­wende zieht sich die Natur schließlic­h langsam wieder zurück. Ich habe zwar noch einen Extraapfel eingepackt, allerdings auf das Anfängergl­ück gesetzt, etwas Sättigende­s zu finden. Ganz falsch war das nicht, wie ich am Lagerfeuer lerne. Eine positive Lebenseins­tellung, ein klarer Kopf seien in Notsituati­onen überlebens­wichtig, sagen Kochs, während ich ein Gefühl davon bekomme, wie schwer das sein kann. Denn: nass, kalt und hungrig – das zermürbt.

So eine Grenzerfah­rung schärft aber auch den Blick. Auf dem Rückweg fallen mir am Straßenran­d plötzlich überall Doldenblüt­ler auf. Ich fahre zu schnell, als dass ich kleine, schwarze Punkte erkennen könnte. Aber es könnte Essen sein. Am Abend, nachdem eine heiße Badewanne, eine Kopfschmer­ztablette und eine Breze mich wieder in der Zivilisati­on empfangen haben, fällt mir zum ersten Mal auf, welch wilde Schätze in den Fugen der Terrasse wachsen, die ich am Morgen noch übersehen hatte: Löwenzahn und Breitweger­ich – jetzt weiß ich: alles Rüstzeug für Krisenzeit­en. wär’s jetzt aber LEA THIES

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 ??  ?? Heike Koch hat eine Odermennig entdeckt und kostet diese. Pflanze
Heike Koch hat eine Odermennig entdeckt und kostet diese. Pflanze
 ??  ?? Diese Melde kommt auch in unseren Sur vival Eintopf
Diese Melde kommt auch in unseren Sur vival Eintopf
 ??  ?? Stefan Koch hat binnen Minuten ein Feu er gemacht.
Stefan Koch hat binnen Minuten ein Feu er gemacht.
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Ein Survival Paket zum Kollegen. Testen für die
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