Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Krieg in Amerika
Zukunft Werden die Folgen des Klimawandels die ohnehin schon gespaltene Nation zerreißen? Eine düstere Vision sorgt in den USA für Debatten – ein aufschlussreiches Missverständnis. Denn es geht eigentlich um viel mehr
Bereits heute beginnen die ersten Inseln wie Tuvalu und Kiribati im steigenden Meeresspiegel zu versinken, veröden andernorts ganze Landstriche wasserlos, werden von Wetterkapriolen verheert – die Flut an Klimaflüchtlingen ist längst prognostiziert. Bereits heute ist die Debatte um Öl, Diesel und Benzin eine hitzige – der Kurs des ideologisch aufgeladenen Konflikts zwischen Wirtschafts- und Umweltinteressen steht auf Eskalation. Und bereits heute erscheinen die USA als gespaltene Nation – an Präsident Trump und seiner Macht- und Klimapolitik scheiden sich die Lager, die in keinem Diskurs mehr zusammenfinden und für die andere Seite nur noch Verachtung übrigzuhaben scheinen… Und nun schreibt die
„Projizieren wir die aktuelle politische Debatte der USA in die Zukunft, dann landen wir genau bei dem, was wir in Omar El Akkads Roman ‚American War‘ lesen.“Ein amerikanischer Krieg also im Jahr 2075: weil die überschwemmten eigenen Küsten und die Klimaflüchtlinge aus dem Süden, gesammelt in einem „Mexikanischen Protektorat“ auf ehemaligem Us-gebiet, die Konflikte verschärft hatten; weil das endgültige Verbot fossiler Brennstoffe durch die Regierung in der neuen Hauptstadt Columbus im Norden die letzte Eskalation gebracht und zur Abspaltung der „Freien Südstaaten“geführt hatte; und weil die neuen Globalmächte diesen Konflikt als Schwächung der USA mit Interesse begleiten – China und das neu entstandene „Bouazizireich“, das Nordafrika und den Nahen Osten vereint. Von der Digitalisierung und dem Silicon Valley (auch von Europa) spricht keiner mehr, die Welt hat sich neu geordnet, es herrschen Hass und Not, Grenzen werden in blutigen Schlachten umkämpft, Terror ist Alltag und in Flüchtlingscamps werden Selbstmordattentäter angeworben – in den USA!
Kann das die Zukunft sein? Jedenfalls ist „American War“, dem Debütroman des in Ägypten geborenen Us-journalisten Omar El Akkad, damit das „Buch der Stunde“und darum fast zeitgleich in deutscher Übersetzung erschienen. Wie stets bei Utopien, deren negative Version, die Dystopien, gerade in den USA derzeit besonders Konjunktur haben, ist es auch hier so: Erzählt wird zuallererst und vor allem etwas über die Zeit, in die hinein sie erscheinen – unsere Gegenwart. In diesem Fall aber führt das zu einem aufschlussreichen Missverständnis des Buchs in den USA.
Denn Omar El Akkad erzählt eigentlich nicht nur nicht von der Zukunft, sondern eben auch nicht von den aktuellen Debatten um Trump. Am schwächsten ist sein sonst packendes Buch sogar gerade in der Projektion der Probleme und damit der Konstruktion der Dystopie. Am stärksten ist es in der konkreten Erzählung dessen, was diese Umstände für die in einem neutralen Gebiet doch einfach nur überleben wollende Familie Chesnut bedeuten, wie die Konflikte das Leben prägen und zertrümmern, Märtyrer und Mörder aus den Kindern machen. Tatsächlich baut der Autor damit ausschließlich ein Spiegelkabinett auf: Er verlegt all das, was er bei Recherchen als Journalist in den Krisengebieten dieser Welt bis hinein ins Gefangenlager von Guantanamo erfahren hat, nun in die USA selbst.
Und er liefert über die eine Stelle, in der der Titel des Romans auftaucht, auch den Schlüssel. Da nämlich antwortet ein Agent des „Bouazizireichs“zur Frage von El Akkads starker Hauptfigur Sarat, warum die Großmacht aus der Ferne die Konflikte noch befeuere: „Jeder führt seinen Amerikanischen Krieg.“Das Buch sagt also: Das ist das, was die USA seit Jahrzehnten überall anrichten! So würde das bei uns aussehen! Samt höhnisch wirkender Hilfslieferungen aus China und erweitert durch künftige Terrormöglichkeiten, wo durch ein Virus 100 Millionen Feinde getötet werden könnten…
Das Amerika dieses Buchs nur als Mahnung zu Trump und der Klimapolitik diskutiert, zeigt, wo diese Großmacht noch immer ihren großen blinden Fleck hat.
» Omar El Akkad: American War. Übs. von Manfred Allié und Gabriele Kempf Allié, S. Fischer, 448 S., 24 ¤