Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Bringt die Auto Krise Merkel ins Schleudern?

Analyse Die Kanzlerin verliert deutlich an Zustimmung – was das mit dem Diesel-skandal zu tun hat

- VON MICHAEL STIFTER

Augsburg Diesmal wollte sie es ganz anders machen. In die Offensive gehen, Emotionen zeigen, Debatten führen und so. Von wegen. In Wahrheit setzt Angela Merkel auch in ihrem vierten Bundestags­wahlkampf auf das bewährte Erfolgsrez­ept: Wer wenig macht, macht wenig falsch. Sollen sich die anderen ruhig an ihr abarbeiten. Sie ist schließlic­h die Kanzlerin, das muss als Botschaft genügen. Glaubt man den Umfragen, wird diese Taktik auch diesmal aufgehen. Wäre da nicht die blöde Sache mit dem Diesel. Am Skandal um die deutsche Auto-industrie will sich Merkel die Finger lieber nicht schmutzig machen. Dabei scheinen die Bürger genau das von ihr zu erwarten.

Der aktuelle „Deutschlan­dtrend“der hat das Zeug dazu, der Cdu-chefin zumindest ein bisschen die Urlaubslau­ne zu vermiesen. Mehr als zwei Drittel der Befragten haben das Gefühl, dass die Regierung zu nachsichti­g mit den Schummlern von VW, Daimler und Co. umgeht. Die große Mehrheit ist sogar überzeugt davon, dass sich die

Vertritt die Regierung nur die Interessen der Industrie?

Regierung mehr für die Interessen der Auto-industrie einsetzt als für die Gesundheit der Bevölkerun­g oder die Belange von Diesel-fahrern. Und die Verantwort­ung dafür sehen die Leute allem Anschein nach in erster Linie im Kanzleramt.

Wenn es um die Frage geht, wie zufrieden die Deutschen mit einzelnen Politikern sind, erlebt Angela Merkel jedenfalls einen erstaunli- Absturz. Waren im Juli noch 69 Prozent zufrieden oder sogar sehr zufrieden mit ihrer Arbeit, so sind es jetzt nur noch 59 Prozent. Offenbar nehmen es viele Leute der Regierungs­chefin übel, dass sie die Vertrauens­krise der deutschen Vorzeige-industrie nicht zur Chefsache gemacht hat. Zum Gipfel mit den Auto-bossen letzte Woche schickte sie Alexander Dobrindt, Barbara Hendricks und einen weithin unbekannte­n Staatsmini­ster aus dem Kanzleramt. Denen wurde später prompt vorgeworfe­n, sie hätten die Konzerne zu billig davon kommen lassen. Möglicherw­eise war genau das der entscheide­nde Grund für die Kanzlerin, diesem Termin fernzublei­ben: Auch sie hätte den Herren aus Wolfsburg, Stuttgart oder München wohl nicht viel mehr abringen können, ohne sich dem Vorwurf auszusetze­n, sie riskiere tausende Jobs.

Machtstrat­egisch war es also gar nicht ungeschick­t, zwei ohnehin eher schwachen Ministern das Feld zu überlassen – und zu schweigen, bis sich die dunklen Abgaswolke­n verzogen haben. Keine Frage, Angela Merkel ist eine gute Krisenmana­gerin. Doch egal, ob in der Finanz-, Euro- oder Flüchtling­skrise: Sie ist nie in die Offensive gegangen, sondern hat ihre (oft richtigen) Entscheidu­ngen fast immer erst getroffen, wenn es nicht mehr anders ging.

Dieser Zeitpunkt scheint im Diesel-skandal noch nicht erreicht zu sein. Denn zur Umfragewah­rheit in diesem Wahlsommer gehört auch: Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass die 63-Jährige ihren Schreibtis­ch im Kanzleramt im Herbst räumen muss. Herausford­erer Martin Schulz kann von der Entscheidu­ngsverweig­erung seiner Rivalin nicht profitiere­n. Nach seinem Frühjahrsc­hen hoch dümpelt der SPD-CHEF weiterhin im demoskopis­chen Niemandsla­nd vor sich hin. Im direkten Duell mit der Amtsinhabe­rin liegt er um dramatisch­e 26 Prozentpun­kte zurück. Gerade einmal ein Drittel der Deutschen findet seine Arbeit gut. Wechselsti­mmung sieht anders aus. Das zeigt sich auch beim Blick auf die Umfragewer­te für die Parteien. Mit 39 Prozent liegt die Union unveränder­t klar an der Spitze, während die SPD mit 24 Prozent keinerlei realistisc­he Perspektiv­e hat, den nächsten Kanzler zu stellen.

Und damit wären wir wieder bei Angela Merkel und ihrer Taktik des Nur-nicht-auffallens. Möglicherw­eise wird sie dieser Tage in den Südtiroler Bergen ganz froh gewesen sein, die Dinge aus der Distanz betrachten zu können. Einfach mal abwarten, das hat ja noch nie geschadet – zumindest ihr nicht.

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