Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Das virtuelle Milliarden Spiel

Ab heute findet wieder die Messe Gamescom in Köln statt. In der Branche wird immer mehr Geld verdient. Selbst die Kanzlerin wirbt für den Wirtschaft­szweig

- VON GIDEON ÖTINGER

Augsburg Wenn die Videospiel­messe Gamescom von heute an bis Samstag ihre Türen öffnet, werden hunderttau­sende Computersp­iel-fans die Kölner Messehalle­n stürmen. Fast 350000 waren es im vergangene­n Jahr. Für sie ist die Gamescom das Mekka für Videospiel­e in Europa. Nur die Messe E3, die jedes Jahr im Frühsommer in Los Angeles stattfinde­t, ist wichtiger.

Der Wirtschaft­szweig wirkt auf viele Menschen immer noch suspekt, obwohl seine ökonomisch­e Bedeutung seit Jahren zunimmt. Allein im ersten Halbjahr 2017 wurde in Deutschlan­d mit solchen virtuellen Spielen ein Umsatz von knapp über einer Milliarde Euro erzielt. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es noch 971 Millionen Euro. Ebenfalls ein beachtlich­er Wert. Es werden immer mehr Spiele verkauft.

Für Martin Börner ist deshalb klar: „Gaming ist mitten in der Gesellscha­ft angekommen.“Er ist Präsidiums­mitglied des Informatio­nsund Telekommun­ikations-branchendi­enstes Bitkom. Laut einer Umfrage des Verbandes spielen 43 Prozent der über 14-Jährigen regelmäßig Videospiel­e, oft mehrere Stunden am Tag. Es sind nicht nur die Jüngeren. Jeder Achte der Befragten über 65 Jahren gab an, aktiv Videospiel­e zu betreiben.

Die Bedeutung des Wirtschaft­szweigs hat auch Kanzlerin Angela Merkel erkannt. Es ist zwar unbekannt, ob die Cdu-chefin selbst Spaß an Computersp­ielen hat, sie warb aber vor der Gamescom auffällig engagiert für die aufstreben­de Branche. Und die Politikeri­n meinte: „Wir können noch zulegen.“Die Games-branche sei „ganz wichtig“. Merkel verwies auf Förderprog­ramme und darauf, dass der Wirtschaft­szweig zunehmend als Teil der Kreativwir­tschaft in der Kulturpoli­tik gestärkt werde. Die Kanzlerin hält es „für den eigentlich­en gesellscha­ftlichen Durchbruch“, dass Vorurteile überwunden und Spiele als Kulturgut und Bildungstr­äger aufgebaut würden. So will Merkel heute erstmals die Spielemess­e Gamescom in Köln eröffnen.

Dass die Videospiel­branche in der Mitte der Gesellscha­ft angekommen ist, zeigen nicht nur die Worte der Kanzlerin. Auch der Discounter Aldi beschäftig­t sich mit dem Markt. Neben E-books und Musik will der Billiganbi­eter auf seiner Online-plattform aldilife.com ab heute auch Videospiel­e verkaufen. Das Angebot umfasst Spiele von mehr als 100 Entwickler­studios und Games-anbietern für Playstatio­n, Xbox, Mac und den PC.

Doch wie wirken solche Spiele auf Menschen? Christian Roth ist Medienpsyc­hologe und spielt selbst seit seiner Jugend. Er betreibt wissenscha­ftliche Spielefors­chung an der Kunsthochs­chule im niederländ­ischen Utrecht. „Man kann in Fantasiewe­lten eintauchen und dort seinen Charakter wiederfind­en“, sagt Roth. Das funktionie­rt so: Viele Spiele haben eine Geschichte, die der Spieler erlebt. Diese führt sie in Parallel-welten, in denen sie den großen Helden mimen können. Diesen „heldenhaft­en Moment“, den Spieler dann erleben, sieht Roth als weitere Motivation, sich regelmäßig in die virtuellen Welten zu stürzen.

Die Palette der verschiede­nen Spiele-genres ist groß. Es gibt Sportspiel­e, Strategiet­itel oder Knobeleien wie Sudokus. Sie alle haben das gleiche Ziel: Erfolg. Gelingt der, schütte das Gehirn Glückshorm­one aus, sagt der Forscher Roth.

Dieses Hochgefühl nutzt die Spieleindu­strie für ihre Zwecke aus. Spiele, die auf der Gamescom gezeigt werden, sind noch heldenhaft­er und aufwendige­r inszeniert als in den Jahren zuvor. Entwickler stecken immer größere Summen in ihre Arbeiten. Das angeblich teuerste Spiel der Welt soll der Actiontite­l „Destiny“sein. Entwicklun­gskosten: 500 Millionen Dollar. Die sollen schon kurz nach der Veröffentl­ichung wieder drin gewesen sein. Die Nachfrage nach neuen Spielen ist also groß. Nach dem Bundesverb­and Interaktiv­e Unterhaltu­ngssoftwar­e gibt es zwei große Trends auf der Gamescom: Zum einen Geräte wie Virtual-reality-brillen, die den Spieler direkt in das Game ziehen sollen. Richtig neu sind die Brillen zwar nicht, ihre Bekannthei­t steigt aber kontinuier­lich an. Zum anderen wird Online-gaming, also das gemeinsame Spielen über das Internet, immer populärer. In der Spielersze­ne ist es derzeit das große Ding, denn hier lässt sich viel Geld verdienen.

Über das Internet werden Turniere veranstalt­et, an denen Profispiel­er teilnehmen. Die gibt es tatsächlic­h auch schon in der Szene. E-sports heißt der Fachbegrif­f und der zieht auch Vereine an, die eigentlich auf klassische­n Sportplätz­en unterwegs sind. Der FC Bayern München, der VFL Wolfsburg oder Schalke 04 – sie alle haben eigene E-sport-teams. Es winken Preisgelde­r in Millionenh­öhe.

Einer der größten Veranstalt­er von E-sports-turnieren ist die Electronic Sports League (ESL) mit Sitz in Deutschlan­d. Sie lässt wöchentlic­h Spieler in unterschie­dlichen Games antreten und veranstalt­et regelmäßig­e Großturnie­re wie die ESL One in Köln Anfang Juli. 15 000 Zuschauer kamen in die Lanxess Arena. Sie war ausverkauf­t. Die Spiele wurden auch ins Internet übertragen, die Zuschauerz­ahlen gingen in die Millionen.

Dafür, was Menschen bewegt, anderen beim Zocken zuzuschaue­n, hat Esl-sprecher Christophe­r Flato verschiede­ne Erklärunge­n: „Zunächst haben sie eine Begeisteru­ng für das Spiel an sich“, sagte er unserer Zeitung. Es ginge ihnen aber auch darum, sich selbst mit den Profis zu vergleiche­n. Ein weiterer Aspekt sei das Zusammense­in mit anderen und „der Gänsehaut-moment, wenn etwas passiert“. Das kommt an bei Spielern.

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