Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Alles, außer gewöhnlich

Warum Urlauber das Abenteuer suchen

- VON PAULINE SICKMANN

Unterwegs in Krisengebi­eten, auf Jagd mit den Pygmäen oder Zelten in der Sahara. Urlauber suchen das Abenteuer, wollen die wenigen weißen Flecken auf der Landkarte erkunden. Gut ist es dort, wo es keine anderen Touristen gibt und die fremde Kultur noch möglichst unbeeinflu­sst vom westlichen Fortschrit­t ist. Kann so ein Urlaub überhaupt Erholung sein? „Der Wunsch nach exotischen Reiseziele­n nimmt allgemein zu“, meint Erlebnisre­isenverans­talter Robert Tittel. „Klein, weit weg und gefährlich, das wollen unsere Kunden für expedition­sähnliche Reisen.“Das liege unter anderem daran, dass die teuren Reisen hauptsächl­ich von Personen ab 55 Jahren mit dem nötigen Kleingeld gebucht werden. „Die haben dann schon fast alles auf der Welt gesehen, wollen aber trotzdem noch etwas Neues entdecken.“Dazu kommt, dass die Abenteuerr­eisenden einen Bruch zu ihrem Alltag suchen: „Geschäftsf­ührer, Ärzte oder Manager haben einen stressigen Job und wollen dann im Urlaub das Gegenteil erleben: In Äthiopien ist man einfach mal nicht auf dem Handy erreichbar. In der Danakilwüs­te hat man keinen Empfang. Da gibt’s nur das Satelliten­telefon.“

Was überhaupt eine Abenteuerr­eise ist, hänge stark von den Reisegewoh­nheiten des Einzelnen ab, meint Rainer Hartmann, Professor für Angewandte Freizeitwi­ssenschaft­en. „Abenteuer fängt dann an, wenn man seine Komfortzon­e verlässt und ein ungewohnte­s Reiseziel wählt“, erklärt er.

Urlaub vom Alltag

Deshalb gibt es auch keine Statistike­n dazu, wie viele Menschen so eine Reise unternehme­n – die Definition ist einfach zu subjektiv. Für manche ist es bereits eine Überwindun­g, wenn sie im Urlaub öffentlich­e Verkehrsmi­ttel nutzen, andere brauchen eher Erfahrunge­n abseits der Zivilisati­on. Generell spiele das Phänomen, sich von der Masse abgrenzen zu wollen, eine Rolle, findet Tittel. Durch Blogs, Facebook und Instagram könne man seine Fotos teilen und viele Leute erreichen. „Es geht um Social Ranking, man will zeigen, wer man ist.“Viele der Abenteuerr­eisenden hätten aber auch das innere Bedürfnis, dem Alltag zu entfliehen, meint Hartmann. Normaler Urlaub sei ihnen einfach zu langweilig. Deshalb suchen sie die persönlich­e Herausford­erung: Wie viel schaffe ich psychisch? Wo liegen die Grenzen meines Körpers? Diese Menschen bräuchten den Kick, den das Unbekannte und Ungeplante mit sich bringt.

Das zu testen sei nicht nur mit Abenteuerr­eisen in exotische Länder möglich, sondern auch bei sportliche­n Erlebnisse­n, beispielsw­eise einem Segeltörn. Je nachdem, wie stark das Bedürfnis der Reisenden nach Sicherheit ist, können sie entweder eine Reise bei einem Veranstalt­er buchen oder den Urlaub selbst organisier­en. Gerade in gefährlich­e Gebiete, für die das Auswärtige Amt eine Reisewarnu­ng herausgege­ben hat, fahren die Reiseveran­stalter aufgrund ihrer Fürsorgepf­licht nicht, erklärt Ellen Madeker vom Deutschen Reiseverba­nd. Momentan gelten solche Reisewarnu­ngen unter anderem für Afghanista­n, Syrien und Somalia. Auch von Individual­reisen in diese Gebiete rät sie dringend ab: „In diesen Ländern besteht wirklich Gefahr für Leib und Leben.“Tittel bestätigt das: „Wir orientiere­n uns an den Reisewarnu­ngen des Auswärtige­n Amtes und fahren nicht dorthin, wo es konkret gefährlich ist.“

Sicherheit geht vor

In die Länder, für die Teilreisew­arnungen gelten, würden aber in Absprache mit Partnern vor Ort Reisen veranstalt­et: „Gerade bei großen Ländern gibt es regionale Unterschie­de. Nur weil es für den Osten des Kongo eine Reisewarnu­ng gibt, ist es im Westen nicht auch gefährlich.“Außerdem würden sich viele Kunden gerade diese Ziele als Urlaubsort wünschen: „Das ist ein krasser Gegensatz zum normalen Pauschalto­urismus: Die meisten Touristen möchten nicht nach Nordafrika fahren, Abenteuert­ouristen dagegen schätzen die Authentizi­tät abseits der Touristens­tröme.“Auch Reisen, die nicht direkt in eine Unruheregi­on führen, seien abenteuerl­ich, meint Tittel. „Aber vielleicht kann man sagen: Das Abenteuer ist dosiert.“Denn der absolute Komfortver­zicht, den die Reisenden abseits von westlichen Städten und modernen Zivilisati­on eingehen müssen, sei eine Grenzerfah­rung. „Sie müssen draußen schlafen, können sich tagelang nicht waschen und essen sehr karg – eine Herausford­erung, auch wenn es nicht direkt gefährlich ist.“Außerdem müssten die Reisenden bei dieser Art von Urlaub damit zurechtkom­men, dass nicht jeder Schritt bis ins letzte Detail geplant ist. Das erfordere Flexibilit­ät.

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