Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Wollten die Terroristen die Basilika sprengen?
Spanien Ein überlebender Islamist gesteht, dass in Barcelona ein noch größerer Anschlag geplant war. Die Familien der Täter sind entsetzt, dass ein Imam die jungen Männer radikalisiert hat. Die Gruppe unterhielt auch Kontakte ins Ausland
Augsburg Das spanische Königspaar Felipe VI. und Letizia, Ministerpräsident Mariano Rajoy und der Präsident der autonomen Region Katalonien, Carles Puigdemont – sie alle nahmen am Sonntag zusammen mit hunderten weiteren Menschen in der noch immer unvollendeten Basilika Sagrada Familia in Barcelona an der Trauerfeier für die Terroropfer teil. Zur gleichen Zeit wurden erstmals Spekulationen laut, eben diese weltberühmte Kirche, geplant vom genialen Architekten Antoni Gaudi in einer speziellen Art des Jugendstils, könne das eigentliche Anschlagsziel der Islamisten gewesen sein. Sie hatten am vergangenen Freitag mit Autos auf der Flaniermeile La Rambla und im Badeort Cambrils 14 Menschen getötet, eine weitere Person wurde von einem Täter auf seiner Flucht erstochen.
Den Hinweis auf die Sagrada Familia, das Wahrzeichen Barcelonas, fanden Ermittler laut einer spanischen Zeitung in einem der Computer der Verdächtigen. Bilder einer christlichen Kirche auf dem Rechner eines Islamisten? Da liegt die Vermutung nahe, dass diese Abbildungen nicht aus Liebe zur Kunst gesammelt wurden. Als mögliches Ziel galt auch das Camp-nou-stadion des FC Barcelona.
Einer der jungen Männer gestand nach Angaben aus spanischen Justizkreisen inzwischen bei einem ersten Verhör in Madrid, dass ein noch größerer Anschlag geplant war. Alle vier überlebenden mutmaßlichen Mitglieder der Terrorzelle wurden gestern einem Richter vorgeführt.
Über das Innenleben der katalanischen Terrorzelle, die lange Zeit unerkannt ihre Taten ausheckte, ist nach dem Tod von acht und der Verhaftung von vier Bandenmitgliedern inzwischen mehr bekannt. Anführer war ein islamischer Gemeindevorsteher: Der Imam Abdelbaki Es Satty, 45, hat in der nördlich von Barcelona gelegenen Kleinstadt Ripoll junge Männer um sich geschart, die überwiegend aus Marokko stammen. Mindestens vier wurden in der zentralmarokkanischen Stadt Mrirt geboren. Von dort war auch die Familie des Haupttäters nach Spanien ausgewandert. In Katalonien hat der Imam die jungen Männer, die eigentlich als gut integriert galten, dann radikalisiert.
Vor zwei Monaten verschwand der Gemeindevorsteher, angeblich um in Nordafrika Urlaub zu machen. In Wahrheit zog er in den katalanischen Küstenort Alcanar, wo die Polizei jetzt seine sterblichen Überreste identifizierte. Er wollte dort Bomben bauen, mit denen ver- Anschläge – zum Beispiel auf die Sagrada Familia – hätten verübt werden können. Am Mittwoch vergangener Woche ereignete sich aber eine Explosion, die das ganze Haus zum Einsturz brachte; der Imam und ein weiteres Gruppenmitglied kamen ums Leben.
Die überlebenden Mitglieder entschlossen sich daraufhin, Anschläge mit Autos zu verüben. Ob dies von Anfang an zum „Instrumentarium“der Attentäter gehörte oder ob es ein „Planb“war, ist noch unklar. Der 22-jährige Haupttäter Younes Abouyaaquoub raste jedenfalls mit einem Lieferwagen in Barcelona im Zickzack durch La Rambla, um möglichst viele Menschen zu treffen. Ihn stoppte schließlich der aufheerende gehende Airbag. Er floh, wurde aber am Montagabend entdeckt und von der Polizei erschossen.
Auch jene fünf Mitglieder, die auf der Strandpromenade von Cambrils wenige Stunden nach dem Anschlag von Barcelona versucht hatten, Passanten mit einem Auto zu töten, wurden von Polizeikugeln tödlich getroffen. Alle hatten Sprengstoffwesten getragen, die sich erst später als Attrappen herausstellten. Die Polizisten hatten somit keine andere Chance, als sofort zu schießen.
Warum wurden aus den jungen Männern mit Migrationshintergrund Terroristen? Sie hatten teilweise Jobs, waren ihren Lehrern als gute Schüler in Erinnerung. Sie sprachen Spanisch und Katalanisch. Haupttäter Younes, 22, spielte in Ripoll im Fußballverein. Die Familien hatten offenbar keine Ahnung von deren heimlichem Treiben. Nach den Attentaten reagierten die Angehörigen der Täter entsetzt und distanzierten sich: „Nicht in unserem Namen“, stand auf Transparenten. Am Samstag bat Younes’ Mutter vor laufenden Kameras ihren Sohn, sich zu stellen. Eine Cousine von Younes sagte, der Imam habe die Männer „manipuliert“.
Abdelbaki Es Satty stammte ebenfalls aus Marokko. Er hatte in Spanien eine vierjährige Haftstrafe wegen Rauschgifthandels verbüßt und im Gefängnis offenbar Kontakt mit dem Umfeld der Attentäter von 2004. Später bemühte er sich in Belgien um eine Anstellung als Imam, wurde allerdings nicht genommen, weil er kein polizeiliches Führungszeugnis vorlegte – wohl wegen seiner Vorstrafe. Satty lebte einige Monate in Vilvoorde, einem Vorort Brüssels, aus dem besonders viele Islamisten als Kämpfer zum Islamischen Staat nach Syrien gingen.
Als Imam in Ripoll formte Satty dann die Terrorzelle. Auffallend ist, dass drei Brüderpaare und aus einer Familie sogar drei Brüder dazugehörten. Der Imam ließ die Anschläge vorbereiten. Zwei Mitglieder der Gruppe wurden im vergangenen Jahr in die Schweiz geschickt und sollen dort im Umgang mit Sprengstoff trainiert worden sein.
Die Täter waren wohl auch international vernetzt. Nur wenige Tage vor den Terroranschlägen von Barcelona und Cambrils hielten sich Gruppenmitglieder nahe Paris auf. Jedenfalls raste der schwarze Audi A3, mit dem später auf der Strandpromenade von Cambrils Menschen angefahren wurden, am 12. August im Departement Essonne südlich der französischen Hauptstadt in eine Radarfalle. Im Wagen saßen vier Personen. Hatte die Terrorgruppe also auch Kontakte nach Frankreich gehabt? Viele Fragen rund um die Attentate sind noch offen.
Gestern Abend musste der Richter einen der vier gefassten mutmaßlichen Mitglieder der Terrorzelle wieder auf freien Fuß setzen – aus Mangel an Beweisen. Ein weiterer Verdächtiger solle lediglich für weitere 72 Stunden in Polizeigewahrsam bleiben. (mit afp, dpa)
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