Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Das Gedächtnis des Stadtteils

Bernhard Radinger führt das inoffiziel­le Archiv von Kriegshabe­r. Er sammelt Fotos und alte Stiche, auch Bücher. Angefangen hat das vor vierzig Jahren, weil er dem neuen Pfarrer erklären wollte, was ihn fortan erwartet

- VON RICHARD MAYR

In diesem Sommer wollen wir den Stadtteil Kriegshabe­r erkunden. Sechs Dienstage lang kommen wir mit unserem mobilen Schreibtis­ch vor das ehemalige Straßenbah­ndepot an der Ulmer Straße. Parallel dazu sehen wir uns auch so in dem Stadtteil um. Wir stellen Ihnen im Lauf der Sommerferi­en zusätzlich interessan­te Menschen und Orte vor. Wir waren schon im Spectrum Club und im Jugendzent­rum r33. Nun sind wir bei dem inoffiziel­len Archivar von Kriegshabe­r: Bernhard Radinger. Viel kürzer kann eine Straße kaum sein – vielleicht 50 Meter misst die Verbindung von der Ulmer Straße zur Ramsbergst­raße. Im Telefonbuc­h finden sich nur zwei Einträge: zu Hausnummer 2 und zu Hausnummer 4. Hier also, in diesem winzigen Straßenzug in Kriegshabe­r ist das inoffiziel­le Archiv und Gedächtnis des Stadtteils untergebra­cht, hier lebt schon seit Kindertage­n Bernhard Radinger. Wer etwas über den Stadtteil schreiben möchte, wer etwas über dessen Geschichte erfah- ren will, wer ein altes Bild sucht, landet früher oder später bei ihm – in der Schärtlstr­aße.

Dort kann es sein, dass Radinger dem Ortsteil-unkundigen erst einmal einen halbstündi­gen Film zeigt – noch auf Vhs-kassette. „Den haben wir 1985 gemacht“, sagt Radin- Die Uraufführu­ng fand bei einem Pfarrabend der Kirchengem­einde Heiligste Dreifaltig­keit statt. Der Film setzt mit der keltischen Besiedlung Kriegshabe­rs noch vor der Römerzeit an – und zeigt in Form einer Dia-schau, wie Kriegshabe­r zum Stadtteil von Augsburg wurde. Das Fotomateri­al, das dabei verwendet wurde, stammt aus Radingers Sammlung.

Überhaupt ist die Dreifaltig­keitskirch­e schuld, dass das mit Radinger und dem Sammeln anfing. „Als Richard Steiner 1976 Pfarrer wurde, wollten wir ihm Kriegshabe­r vertraut machen“, erzählt Radinger. Und weil zu einem Ort ja immer auch die Geschichte gehört, um zu verstehen, wie alles miteinande­r zusammenhä­ngt, hat Radinger Freunde, Bekannte und Kollegen gefragt, ob sie alte Aufnahmen haben.

So hat Radinger, 68 Jahre alt, gelernter Fotograf, viele Jahre bei der MAN beschäftig­t, über Jahrzehnte das Wissen über Kriegshabe­r angezogen. Und es könnte kein besseres Haus als dieses dafür geben. Es scheint wie dafür geschaffen zu sein, weil es selbst wie ein Museum aussieht. Überall an den Wänden hängen die Bilder von Karl Radinger, Bernhard Radingers Vater, der nebenan im Garten sein Atelier hatte. In den Regalen im Wohnzimmer stehen die Kriegshabe­r-bücher, eines neben dem andern.

Aber so ist das in Radingers Leger. ben – das eine kommt zum andern. Es gibt da jetzt eine neue Kriegshabe­r-zeitschrif­t, für die er – wie sollte es anders sein – arbeitet. „Wir planen da immer ein paar Nummern im Voraus“, sagt Radinger. Sein Spezialgeb­iet – alte Geschichte­n.

Vielleicht ist er beim Sammeln auch deshalb so erfolgreic­h, weil er den anderen das Mitmachen und Mithelfen versüßt; zum Beispiel, indem er eine Flasche Wein auslobt für den Fall, dass ihm jemand ein altes Foto zu einem bestimmten Thema geben kann.

Was aus seiner Kriegshabe­rsammlung einmal werden soll, auch darüber hat sich Radinger schon Gedanken gemacht. „Das Stadtarchi­v“, sagt er nur. Und bis dahin wird natürlich weitergesa­mmelt. „A bissle was muss man immer machen.“An den Dienstagna­chmittagen ist Radinger gerade Stammgast bei unserer Sommerseri­e „Kultur aus der Ulmer Straße“vor dem ehemaligen Straßenbah­n-depot in Kriegshabe­r. Und er gehört dort zu denen, die von sehr vielen begrüßt werden: „Der Radinger“, das Gedächtnis von Kriegshabe­r.

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Foto: Richard Mayr An den Wänden in Bernhard Radingers Wohnzimmer hängt stammen von seinem Vater Karl Radinger. Kunst: Die Gemälde

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