Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Ein Goldschmied wagt den Blick in die Zukunft
Im 16. Jahrhundert stellt Jörg Seld einen perspektivischen Stadtplan vor. Es ist eine damals einzigartige Ansicht Augsburgs. Erst heute jedoch ist klar, wie weit dieser Mann seiner Zeit voraus war
Die „Jörg-seld-straße“wird im Textilviertel das gerade entstehende Wohnquartier beim Martini-park erschließen. Damit würdigt der Stadtrat den Goldschmied Jörg Seld
(1454 bis 1527). Er gilt nicht nur als bedeutender Vertreter der Augsburger Goldschmiedekunst. Er wirkte auch als Kartograf und Geometer.
Sein Meisterwerk war ein perspektivischer Stadtplan, den er nach mehrjährigen Vermessungsarbeiten im Jahr 1521 vorstellte. Der detaillierte Maßstab von etwa 1:1500 bedingte ein enormes Format von 190 mal 81 Zentimetern. Seine einmalige Bildhaftigkeit erzielte das grundrisstreue Werk durch die Abbildung der einzelnen Gebäude in Schrägansicht.
Der Seld-stadtplan war der erste seiner Art nördlich der Alpen nach einem Vorbild aus Venedig. Interessant ist ein Vergleich mit dem aktuellen 3D-stadtmodell des Geodatenamtes, zum Beispiel anhand der Fuggerei. Man erkennt, dass das Kartenwerk seiner Zeit weit voraus war. „Die inhaltlichen Unterschiede sind vorwiegend den baulichen Veränderungen in den letzten fünf Jahrhunderten geschuldet, insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg“, sagt Lucy Schmidt, die städtische
3D-expertin.
Jörg Seld musste seinen Stadtplan durch den Verkauf an die Obrigkeit, Adelige und reiche Bürger zur „Befriedigung ihrer Augenlust“refinanzieren. „Erst der Stadtplan von Christoph Schißler aus dem Jahr
1602 war mit seiner vorangegangenen Vermessung vom reichsstädtischen Magistrat beauftragt wor- den“, weiß der Kartografie-historiker Michael Ritter vom Bayerischen Landesverein für Heimatpflege.
Der Stadtplan von Jörg Seld wird immer noch für städtische Zwecke genutzt, unter anderem von der Stadtarchäologie und der Denkmalschutzbehörde. „So sah die Reichsstadt im Detail und lagegenau vor einem halben Jahrtausend aus“, meint Franz Häußler zum Seldstadtplan. Der bekannte Stadthistoriker nutzt regelmäßig bei seinen Veröffentlichungen in der Augsburger Allgemeinen die authentischen Miniaturansichten von Kirchen, Wohnhäusern, Wassertürmen und der Stadtbefestigung.
Übrigens: Der Stadtrat hatte Jörg Seld bereits im Jahr 1892 eine projektierte Haupterschließung im Textilviertel gewidmet. Die „Seldstraße“wurde allerdings nicht realisiert und deshalb ist dieser Straßenname gelöscht.