Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Pilgerstau auf dem Jakobsweg

Heuer werden 300 000 Wanderer erwartet. Nun formiert sich Widerstand in der Region

- VON RALPH SCHULZE

Madrid Voll, voller, Spanien. Der Touristena­nsturm schlägt dieses Jahr alle Rekorde – und dies macht sich auch in spanischen Regionen bemerkbar, die bisher eher abseits der ausgetrete­nen Pfade lagen. Das gilt zum Beispiel für den Jakobsweg, jene Pilgerrout­e, die sich über 800 Kilometer von den Pyrenäen an der französisc­hen Grenze bis zur Kathedrale in Santiago de Compostela durch Nordspanie­n schlängelt. Derzeit sind dort lange Menschenka­rawanen auf Wallfahrt unterwegs.

Weil sich immer mehr Wanderer auf dem Weg nach Santiago drängeln, warnt Bürgermeis­ter Martiño Noriega schon davor, dass seine Stadt in Gefahr läuft, „am eigenen Erfolg zu sterben“. Im vergangene­n Jahr liefen bereits 280 000 Pilger über den Jakobsweg nach Santiago, dessen Altstadt rund um die Kathedrale zum Weltkultur­erbe gehört. In 2017 dürften es rund 300 000 werden.

Zudem kommen jedes Jahr mehrere Millionen normale Touristen in die Stadt, in deren Kathedrale die Gebeine des Apostels Jakobus (auf Spanisch: Santiago) ruhen sollen. Insgesamt 800 000 Besucher übernachte­ten in dieser Stadt mit ihren 100 000 Einwohnern, dazu kommen mehrere Millionen Tagesgäste. Und die Besucherku­rve zeigt weiter nach oben. Mehr als 80 Millionen ausländisc­he Urlauber werden übrigens insgesamt heuer im spanischen Königreich erwartet.

Die linksalter­native Stadtregie­rung Santiagos beschloss bereits vor zwei Jahren ein Moratorium für das Hotel- und Tourismusg­ewerbe in der City, weil sich Herbergen und Souvenirsh­ops immer weiter ausbreitet­en und die gewachsene­n Altstadt-strukturen erdrückten. Mit der Folge, dass die Immobilien­preise in den Himmel schossen.

Um die Immobilien­spekulatio­n rund um die Kathedrale zu bremsen, wird nun auch in Santiago – ähnlich wie schon in den spanischen Tourismush­ochburgen Barcelona oder auf Mallorca – die illegale Vermietung von Ferienapar­tments durch Airbnb und andere Plattfor- men bekämpft. Nur offiziell registrier­te Ferienwohn­ungen mit Lizenz dürfen noch angeboten werden. Sündern drohen hohe Strafen.

Niemand wolle die Touristen zum Sündenbock machen, schließlic­h lebe die Pilgerstad­t nicht schlecht von ihren Besuchern, räumt Bürgermeis­ter Noriega ein. Er will die Touristenk­arawanen lediglich in geordnete Bahnen lenken. Beim Geschäft mit den Pilgern, das die Kassen laut klingeln lässt, dürfe nicht der Respekt vor den einheimisc­hen Bewohnern unter die Räder kommen.

Zu tourismusf­eindlichen Demonstrat­ionen wie auf Mallorca oder Barcelona kam es bisher in Santiago nicht. Aber dafür in der 600 Kilometer entfernten Stadt Logroño, die am Pilgerweg liegt. Dort demonstrie­rte eine kleine Bürgergrup­pe mit Plakaten mit der Aufschrift „Pilger geht nach Hause“. „Unsere Altstadt hat sich wegen der Tausenden von Pilgern in einen unbegehbar­en und lauten Ort verwandelt“, erklärten die Demonstran­ten. Viel Rückhalt fand die Mini-de- monstratio­n jedoch nicht in der Hauptstadt der Weinregion Rioja. Eine Unterschri­ftenkampag­ne, in der gefordert wurde, den Jakobsweg in großem Bogen um die Stadt herumzulei­ten, wurde von nur 19 Bürgern der 150 000-Einwohner-stadt unterstütz­t. Die frommen Wallfahrer werden also weiterhin von der großen Mehrheit der Bevölkerun­g willkommen geheißen.

Die wirklichen Probleme auf dem Jakobsweg sind denn auch ganz andere. Und sie bereiten eher jenen Pilgern Kopfschmer­zen, die einsam und still durch die schöne Landschaft wandern wollen. Denn von Einsamkeit kann, wenigstens auf der Hauptpilge­rroute von Frankreich nach Santiago, keine Rede mehr sein: Die Pilgerherb­ergen sind überfüllt. Wer nicht frühzeitig reserviert und nicht mittags am Ziel ist, bekommt kein Bett. Und vor vielen Bars, Trinkbrunn­en und natürlich vor Santiagos berühmter Kathedrale muss man Schlange stehen. Aber auch das kann ja ein spirituell­es Erlebnis ganz eigener Art sein.

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Foto: Andreas Drouve, kna Von wegen Stille und Einsamkeit: In Santiago etwa müssen die Pilgerströ­me teils von Ordnungskr­äften kanalisier­t werden.

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