Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Disput: An welches Opfer des Ns regimes wird erinnert?
Bislang hat die Stadt nicht alle Anträge auf Stolpersteine genehmigt. Im Oktober will der bürgerliche Initiativkreis nun acht weitere Erinnerungszeichen verlegen. Er befürchtet aber erneute Ablehnungen und wendet sich mit einem offenen Brief an die Stadts
Die nächsten acht Stolpersteine, die an die Opfer der Nationalsozialisten erinnern, sollen am 14. Oktober in der Stadt verlegt werden. Allerdings schwelt im Hintergrund weiterhin eine Auseinandersetzung zwischen dem Initiativkreis Stolpersteine Augsburg und der Stadt. Streitpunkt ist immer noch die Deutung des Opferbegriffs. Die Initiative kritisiert, dass der Stadtratsbeschluss nicht korrekt umgesetzt wird. Doch von vorne: Wie berichtet, hatte der Initiativkreis zunächst 20 Stolpersteine beantragt. Davon wurden im Mai zwölf verlegt. Acht Anträge wurden jedoch abgelehnt, nachdem der dafür zuständige Fachbeirat über jeden strittigen Fall beraten hatte. Bei der Abweisung berief sich der Stadtrat auf den Opferbegriff. Zum Hintergrund: Die Stadt Augsburg lässt nicht nur die teilweise umstrittenen Stolpersteine, sondern auch andere Erinnerungszeichen zu. Allerdings gilt zunächst nur als Opfer des Ns-regimes, wer unter den Nationalsozialisten zu Tode gekommen ist oder an den Folgen von Inhaftierung, Flucht oder Zwangsarbeit gestorben ist. Dieser sehr eng gefasste Opferbegriff muss aber nicht immer gelten. Ziffer 6 eines Schriftstücks, das den sogenannten „Augsburger Weg“der Erinnerungskultur beschreibt, gewährt mehr Spielraum. Sie besagt: „Soll jenseits des vorab genannten Opferbegriffs ein Erinnerungszeichen aufgrund nachvollziehbarer Gründe gesetzt werden, berät hierüber ein vom Stadtrat zu berufender, ständiger Fachbeirat und gibt eine Empfehlung ab.“Beim Initiativkreis glaubt man, dass der Fachbeirat die Möglichkeit der Ziffer 6 aber überhaupt nicht nutzt. Warum man den Eindruck hat, sagt Bernhard Lehmann vom Verein „Gegen Vergessen – Für Demokratie“und Mitglied der StolpersteinInitiative. Er bezieht sich auf ein Schreiben von Kulturreferent Thomas Weitzel an die Initiative. Weitzel, der Mitglied des Fachbeirates ist, begründet darin jede einzelne Ablehnung. „Die Begründungen sind aber nicht hinnehmbar, weil er Ziffer 6 völlig negiert“, kritisiert Lehmann und führt das Beispiel der Familie Lossa an: Zwei Familienmitglieder erhielten Stolpersteine, bei vier weiteren wurden diese jedoch abgelehnt. Die Lossas wurden von den Nazis verfolgt, weil sie der Volksgruppe der Jenischen angehörten. Vater Christian Lossa wurde im KZ Flossenbürg ermordet, Sohn Ernst Lossa starb durch eine Giftspritze in der Heil- und Pflegeanstalt Irsee. Ihnen wurden Stolpersteine gesetzt. Bei Anna Lossa senior zum Beispiel wurde dagegen entschieden. Weitzel führte in der schriftlichen Begründung der Ablehnung an, dass Anna Lossa 1933 kurz nach der Entbindung ihres Sohnes im Augsburger Hauptkrankenhaus starb und die ärztlich festgestellte Todesursache Tuberkulose gewesen sei. Der Antrag erfülle damit nicht die Kriterien. Auch Ziffer 6 sei Weitzels Schreiben zufolge nicht anwendbar, da der Tod nicht eindeutig durch das Ns-regime oder dessen Vertreter verschuldet wurde. Dieser Argumentation könne der Initiativkreis nicht folgen, sagt Sprecher Thomas Hacker in einem aktuellen offenen Brief an die Stadt. In anderen Städten, in denen Stolpersteine verlegt werden, würde auch an überlebende Verfolgte sowie an ihre Familienangehörigen erinnert, betont Hacker. Man müsse den Familienverband sehen, mahnt auch Bernhard Lehmann. „Die ganze Familie Lossa galt bei den Nationalsozialisten als Asoziale. Sie sind alle Opfer.“Amalie Speidel sieht das genauso. Die 86-Jährige ist die Schwester des ermordeten Ernst Lossa. Auch sie wandte sich unlängst in einem Brief an die Augsburger Stadtregierung. Darin unterstreicht die alte Dame, dass ihre gesamte Familie Opfer des nationalsozialistischen Rassenwahns war. „Meine Schwester Anna und ich überlebten per Zufall die NSVerfolgung.“Sie kreidet der Stadt eine „willkürliche Opferdifferenzierung“an. Um mehr Verständnis appelliert Dritter Bürgermeister Stefan Kiefer. Er vertritt derzeit Thomas Weitzel, der im Urlaub ist. Man habe sich mit dem Augsburger Weg viel Mühe gegeben, findet Kiefer. Sehr lange sei darüber diskutiert worden, wie man allen Angehörigen von Ns-opfern gerecht werden kann. „Die Stadt Augsburg muss auch das Recht haben, zu sagen, wie sie den Weg beschreitet.“Der Initiativkreis aber will die Debatte um den Opferbegriff vorantreiben. Man befürchtet, dass von den acht Stolpersteinen, die im Oktober verlegt werden sollen (siehe Infokasten), wieder welche abgelehnt werden könnten. „Wir bitten den Stadtrat, auch an Opfer des Nationalsozialismus, die überlebt haben, insbesondere Familienangehörige, mit Stolpersteinen erinnern zu dürfen.“ über die Schicksale der Opfer gibt es im Internet unter www.stolpersteine augsburg.de