Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Betrüger nehmen mit Psycho tricks ihre Opfer aus
Sie versprechen große Gewinne und wollen doch nur abzocken. Die Kripo hat Kriminelle im Visier, die Betroffene geschickt unter Druck setzen. Die Spuren eines Falls führen in die Türkei
Es ist die Gier und die Hoffnung auf schnelles Geld. Wenn beim Opfer noch Naivität und Leichtgläubigkeit hinzukommen, haben die Betrüger leichtes Spiel. Mit einer ausgeklügelten Gewinnspiel-masche hat eine internationale Bande, die von der Türkei aus operierte, Dutzende von Menschen hereingelegt und sie um über 100 000 Euro abgezockt. In mühseliger Ermittlungsarbeit hat die Augsburger Kriminalpolizei die von der Bande angewandte Methode, die alle Spuren zu den Hintermännern verschleiern sollte, aufgedeckt. In Haft sitzt derzeit aber nur ein untergeordnetes Mitglied der kriminellen Organisation.
Vor der dritten Strafkammer des Landgerichts war jetzt ein 27-jähriger Türke aus Augsburg der Geldwäsche in 185 Einzelfällen angeklagt. Die Betrüger betrieben einigen Aufwand, um an das Geld ihrer Opfer zu kommen. Ehe sie zuschlugen, hatten sie umfangreiche Vorarbeit über das Internet geleistet.
Schritt eins: Sie schlichen sich übers Internet ins Zustellsystem der Post ein, spähten Paketkonten von Kunden aus, die jahrelang nicht benutzt worden waren. Dann tauschten sie persönliche Daten, E-mailAdressen und Telefonnummern aus. Sie legten unter frei erfundenen Namen eigene Nutzerkonten an. So waren die Betrüger in der Lage, Postsendungen an zahlreichen Paketstationen im Raum Augsburg und München anonym abzuholen.
Schritt zwei: Von einem Büro in der Türkei aus rief eine Gruppe redegewandter Mittäter wahllos Telefonnummern in Deutschland an. Die Anrufer sprachen gut Deutsch. „Gratuliere, Sie haben 49 000 Euro gewonnen“, gaukelten die Betrüger beispielsweise vor. Um die Summe überwiesen zu bekommen, müsse der Gewinner zuvor aber 900 Euro Gebühren zahlen. Bissen die Opfer an, lief eine perfekt geölte Maschinerie an. Es meldeten sich am Telefon angebliche Banker, ein vermeintlicher Notar oder „Rechtsanwälte“, die alle drängten, den Gewinn auszulösen. Nach und nach stiegen dabei auch die „Gebühren“. Es habe sich um einen Zahlendreher gehandelt, spielte man den Opfern dabei vor. Nicht 49 000 Euro hätten sie gewonnen, sondern sogar 94 000 Euro. Damit seien aber auch höhere Gebühren fällig.
Zahlreiche vermeintliche Gewinner ließen sich übertölpeln. Sie zahlten die Gebühren entweder bar über die Geldtransferfirma Western Union ein. Sie schickten Bares per Paket an eine Packstation. Oder sie kauften Wertgutscheine beim Internethändler Amazon oder anderen Onli- neplattformen und gaben die Geheimnummern dafür per Telefon an die Betrüger durch. Von der Türkei aus löste der Vater des nun in Augsburg angeklagten Mannes via Internet die Gutscheine ein. Er bestellte serienweise teure Mobiltelefone, Digitalkameras, Computer, sündhaft teure Designer-handtaschen und auch kleine Goldbarren. Die Waren ließ er an eine der Paketstationen schicken. Auf der Bestellliste standen aber auch alltägliche Dinge wie ein T-shirt für 8,26 Euro, ein Haarshampoo und eine Tube Zahnpasta für gerade mal 4,91 Euro.
Die Opfer sahen von ihren angeblichen Gewinnen keinen Cent. Einige erstatteten Anzeige, viele schämten sich und hielten ihren Reinfall geheim. Ein Mann verlor fast 11 000 Euro. Bei der Kripo weiß man, dass die Betrüger ein Opfer, das sie erst mal an der Angel haben, so lange wie möglich ausnehmen – ohne Skrupel. Oft treffe es ältere, auch einsame Menschen. Sie hätten den PsychoTricks wenig entgegenzusetzen.
Eine Frau hatte versucht, 5800 Euro „Gebühren“per Western Union an die Betrüger zu transferieren. Doch der Dienst hatte den Empfänger in Bulgarien bereits gesperrt. So schickte sie das Geld per Postpaket an eine der Paketstationen, bekam dann doch Zweifel und schaltete die Polizei ein. Daraufhin wurde die Paketstation in Augsburg überwacht und der Angeklagte beim Abholen des Pakets erwischt. In seiner Hosentasche befanden sich 2100 Euro und acht kleine Goldbarren. Wie der 27-jährige Türke, verteidigt von Florian Engert, nun einräumte, hatte er die vom Vater bestellten Waren zunächst in seiner Wohnung gelagert. Sein Vater suchte via Internet Käufer, denen der Sohn dann die Artikel zuschickte. Abkassiert hatte der Vater, gegen den ein Haftbefehl besteht, in der Türkei.
Der Nachweis von 185 Straftaten entpuppte sich als Mammutaufgabe für eine kleine Ermittlungsgruppe der Kripo. Der Angeklagte hatte sich sieben Alias-namen und gefälschte Identitätsausweise zugelegt. Aus Telefonnummern, Mail-adressen, Postnummern und Sendungsverfolgungen gelang es der Kripo, aus dem Wirrwarr von Daten einzelne Fälle herauszuarbeiten. Zum Verlesen der Anklageschrift benötigte Staatsanwalt Benjamin Junghans satte drei Stunden. Die federführende Kripobeamtin vermutet hinter der Abzocke eine „große Or- ganisation.“Nur so sei das ausgefeilte Vorgehen möglich gewesen.
Ermittler stoßen bei ihrer Spurensuche in solchen Fällen immer wieder auf Telefoncenter in der Türkei, von denen aus die betrügerischen Anrufe getätigt werden. Es ist offensichtlich recht einfach, an Personal zu kommen. Das Magazin Der Spiegel hatte vor einiger Zeit berichtet, dass auch junge Deutschtürken, die längere Zeit in der Bundesrepublik gelebt haben oder hier geboren sind, solche Jobs übernehmen. Mit unterschiedlichsten Maschen und dem Einsatz spezieller Computersoftware telefonierten sich so bereits Dutzende Betrügernetzwerke mit Sitz in der Türkei quer durch die Republik. Mal gaben sie sich als Lotterie-mitarbeiter aus, mal als Staatsanwalt oder Polizist.
Das Bundeskriminalamt schätzte die jährliche Schadenssumme schon einmal auf einen dreistelligen Millionenbetrag. Vor Haftbefehlen der deutschen Justiz sind die Täter in der Türkei in aller Regel sicher. Der in Augsburg angeklagte 27-Jährige sei eher als letztes Glied in der Kette zu sehen, lautet die Einschätzung der Kripo. Einer, der dem größten Risiko der Entdeckung ausgesetzt gewesen sei. So sah es auch das Gericht, das eine Haftstrafe von zwei Jahren und elf Monaten festsetzte.
Mehr als 100 Millionen Euro Schaden pro Jahr?