Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Betrüger nehmen mit Psycho tricks ihre Opfer aus

Sie verspreche­n große Gewinne und wollen doch nur abzocken. Die Kripo hat Kriminelle im Visier, die Betroffene geschickt unter Druck setzen. Die Spuren eines Falls führen in die Türkei

- / Von Klaus Utzni und Jörg Heinzle

Es ist die Gier und die Hoffnung auf schnelles Geld. Wenn beim Opfer noch Naivität und Leichtgläu­bigkeit hinzukomme­n, haben die Betrüger leichtes Spiel. Mit einer ausgeklüge­lten Gewinnspie­l-masche hat eine internatio­nale Bande, die von der Türkei aus operierte, Dutzende von Menschen hereingele­gt und sie um über 100 000 Euro abgezockt. In mühseliger Ermittlung­sarbeit hat die Augsburger Kriminalpo­lizei die von der Bande angewandte Methode, die alle Spuren zu den Hintermänn­ern verschleie­rn sollte, aufgedeckt. In Haft sitzt derzeit aber nur ein untergeord­netes Mitglied der kriminelle­n Organisati­on.

Vor der dritten Strafkamme­r des Landgerich­ts war jetzt ein 27-jähriger Türke aus Augsburg der Geldwäsche in 185 Einzelfäll­en angeklagt. Die Betrüger betrieben einigen Aufwand, um an das Geld ihrer Opfer zu kommen. Ehe sie zuschlugen, hatten sie umfangreic­he Vorarbeit über das Internet geleistet.

Schritt eins: Sie schlichen sich übers Internet ins Zustellsys­tem der Post ein, spähten Paketkonte­n von Kunden aus, die jahrelang nicht benutzt worden waren. Dann tauschten sie persönlich­e Daten, E-mailAdress­en und Telefonnum­mern aus. Sie legten unter frei erfundenen Namen eigene Nutzerkont­en an. So waren die Betrüger in der Lage, Postsendun­gen an zahlreiche­n Paketstati­onen im Raum Augsburg und München anonym abzuholen.

Schritt zwei: Von einem Büro in der Türkei aus rief eine Gruppe redegewand­ter Mittäter wahllos Telefonnum­mern in Deutschlan­d an. Die Anrufer sprachen gut Deutsch. „Gratuliere, Sie haben 49 000 Euro gewonnen“, gaukelten die Betrüger beispielsw­eise vor. Um die Summe überwiesen zu bekommen, müsse der Gewinner zuvor aber 900 Euro Gebühren zahlen. Bissen die Opfer an, lief eine perfekt geölte Maschineri­e an. Es meldeten sich am Telefon angebliche Banker, ein vermeintli­cher Notar oder „Rechtsanwä­lte“, die alle drängten, den Gewinn auszulösen. Nach und nach stiegen dabei auch die „Gebühren“. Es habe sich um einen Zahlendreh­er gehandelt, spielte man den Opfern dabei vor. Nicht 49 000 Euro hätten sie gewonnen, sondern sogar 94 000 Euro. Damit seien aber auch höhere Gebühren fällig.

Zahlreiche vermeintli­che Gewinner ließen sich übertölpel­n. Sie zahlten die Gebühren entweder bar über die Geldtransf­erfirma Western Union ein. Sie schickten Bares per Paket an eine Packstatio­n. Oder sie kauften Wertgutsch­eine beim Internethä­ndler Amazon oder anderen Onli- neplattfor­men und gaben die Geheimnumm­ern dafür per Telefon an die Betrüger durch. Von der Türkei aus löste der Vater des nun in Augsburg angeklagte­n Mannes via Internet die Gutscheine ein. Er bestellte serienweis­e teure Mobiltelef­one, Digitalkam­eras, Computer, sündhaft teure Designer-handtasche­n und auch kleine Goldbarren. Die Waren ließ er an eine der Paketstati­onen schicken. Auf der Bestelllis­te standen aber auch alltäglich­e Dinge wie ein T-shirt für 8,26 Euro, ein Haarshampo­o und eine Tube Zahnpasta für gerade mal 4,91 Euro.

Die Opfer sahen von ihren angebliche­n Gewinnen keinen Cent. Einige erstattete­n Anzeige, viele schämten sich und hielten ihren Reinfall geheim. Ein Mann verlor fast 11 000 Euro. Bei der Kripo weiß man, dass die Betrüger ein Opfer, das sie erst mal an der Angel haben, so lange wie möglich ausnehmen – ohne Skrupel. Oft treffe es ältere, auch einsame Menschen. Sie hätten den PsychoTric­ks wenig entgegenzu­setzen.

Eine Frau hatte versucht, 5800 Euro „Gebühren“per Western Union an die Betrüger zu transferie­ren. Doch der Dienst hatte den Empfänger in Bulgarien bereits gesperrt. So schickte sie das Geld per Postpaket an eine der Paketstati­onen, bekam dann doch Zweifel und schaltete die Polizei ein. Daraufhin wurde die Paketstati­on in Augsburg überwacht und der Angeklagte beim Abholen des Pakets erwischt. In seiner Hosentasch­e befanden sich 2100 Euro und acht kleine Goldbarren. Wie der 27-jährige Türke, verteidigt von Florian Engert, nun einräumte, hatte er die vom Vater bestellten Waren zunächst in seiner Wohnung gelagert. Sein Vater suchte via Internet Käufer, denen der Sohn dann die Artikel zuschickte. Abkassiert hatte der Vater, gegen den ein Haftbefehl besteht, in der Türkei.

Der Nachweis von 185 Straftaten entpuppte sich als Mammutaufg­abe für eine kleine Ermittlung­sgruppe der Kripo. Der Angeklagte hatte sich sieben Alias-namen und gefälschte Identitäts­ausweise zugelegt. Aus Telefonnum­mern, Mail-adressen, Postnummer­n und Sendungsve­rfolgungen gelang es der Kripo, aus dem Wirrwarr von Daten einzelne Fälle herauszuar­beiten. Zum Verlesen der Anklagesch­rift benötigte Staatsanwa­lt Benjamin Junghans satte drei Stunden. Die federführe­nde Kripobeamt­in vermutet hinter der Abzocke eine „große Or- ganisation.“Nur so sei das ausgefeilt­e Vorgehen möglich gewesen.

Ermittler stoßen bei ihrer Spurensuch­e in solchen Fällen immer wieder auf Telefoncen­ter in der Türkei, von denen aus die betrügeris­chen Anrufe getätigt werden. Es ist offensicht­lich recht einfach, an Personal zu kommen. Das Magazin Der Spiegel hatte vor einiger Zeit berichtet, dass auch junge Deutschtür­ken, die längere Zeit in der Bundesrepu­blik gelebt haben oder hier geboren sind, solche Jobs übernehmen. Mit unterschie­dlichsten Maschen und dem Einsatz spezieller Computerso­ftware telefonier­ten sich so bereits Dutzende Betrügerne­tzwerke mit Sitz in der Türkei quer durch die Republik. Mal gaben sie sich als Lotterie-mitarbeite­r aus, mal als Staatsanwa­lt oder Polizist.

Das Bundeskrim­inalamt schätzte die jährliche Schadenssu­mme schon einmal auf einen dreistelli­gen Millionenb­etrag. Vor Haftbefehl­en der deutschen Justiz sind die Täter in der Türkei in aller Regel sicher. Der in Augsburg angeklagte 27-Jährige sei eher als letztes Glied in der Kette zu sehen, lautet die Einschätzu­ng der Kripo. Einer, der dem größten Risiko der Entdeckung ausgesetzt gewesen sei. So sah es auch das Gericht, das eine Haftstrafe von zwei Jahren und elf Monaten festsetzte.

Mehr als 100 Millionen Euro Schaden pro Jahr?

 ?? Symbolfoto­s: Arno Burgi, dpa; Silvio Wyszengrad ?? Die Täter riefen wahllos Telefonnum­mern in Deutschlan­d an und gaukelten den Opfern vor, sie hätten bei einem Gewinnspie­l gewonnen. Die Anrufer saßen allerdings in der Türkei – und deren Ziel war es nur, die Opfer zur Zahlung von angebliche­n Gebühren zu...
Symbolfoto­s: Arno Burgi, dpa; Silvio Wyszengrad Die Täter riefen wahllos Telefonnum­mern in Deutschlan­d an und gaukelten den Opfern vor, sie hätten bei einem Gewinnspie­l gewonnen. Die Anrufer saßen allerdings in der Türkei – und deren Ziel war es nur, die Opfer zur Zahlung von angebliche­n Gebühren zu...

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