Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ein Friedhof im Wandel der Zeit

Letzte Ruhe Von Familiengr­üften in Hanglage geht auf dem Protestant­ischen Friedhof nach 450 Jahren der Trend zu stimmungsv­oll gestaltete­n Urnengemei­nschaftsgr­äbern und Baumbestat­tungen

- VON STEFANIE SCHOENE

Hier liegen sie, die Intellektu­ellen neben den Industriel­len und die kreativen neben den politische­n Führungspe­rsönlichke­iten vergangene­r Zeiten. Der Protestant­ische Friedhof zwischen dem Hochfeld und der Haunstette­r Straße ist Ort der Trauer, aber auch Freiluftst­adtmuseum der letzten 450 Jahre. Schon um 1500 kaufte der Augsburger Stadtrat die Äcker vor den Mauern des Roten Tores. 1543 wurde der Friedhof angelegt, erste Begräbniss­e können für das Pestjahr 1563 nachgewies­en werden. 1648 ging das Gelände an die fünf innerstädt­ischen evangelisc­hen Gemeinden über.

„Die bevorzugte Lage war von Beginn an der Westhang Richtung

Die ersten Begräbniss­e gab es im Pestjahr 1563

Hochfeld. Hier finden Sie die prominente­n Personen der Jahrhunder­te und solche, die sich dafür hielten“, erklärt Werner Bischler lächelnd, während er am Aktionstag des Friedhofs etwa 40 Besucher durch das sechs Hektar große Gelände führt. Ganz oben, an der Westmauer liegt folgericht­ig Elias Holl, Grabnummer 1-5-267. Die Welsers haben hier ihre letzte Ruhestätte, die Familie der Schaezlers, die Eltern Bertolt Brechts und der berühmte Bildhauer Fritz Koelle (1895-1953). Weiter unten, an der Ruhestätte Albrecht Volkhardts (1804-1863) prangt eine klassizist­ische Büste des Buchdrucke­rs, Verlegers und frühen Demokraten samt Locken und Kinnbart.

Etwas weiter den Hang hinauf setzte sich im 17. Jahrhunder­t die Pfarrerdyn­astie der Degmairs ein monumental­es Denkmal. Weithin sichtbar thront die rote, etwa drei Meter hohe Ziegelstei­nmauer mit ihren Burgzinnen über den Nachbargrä­bern. Die Gruft wird bis heute genutzt, zuletzt 2015. Inzwischen stehen die Namen der Verstorben­en nicht mehr auf der Frontseite, sondern werden auf neuen Marmortafe­ln an den Seiten der roten Mauer eingravier­t.

„Ich mag Friedhöfe“, erzählt Ulrich Förster, der Bischler unter den uralten Buchen hindurch über die gekiesten Wege folgt. „Und dieser hier hat eine unheimlich berührende, gleichzeit­ig erholsame Atmosphäre. Er atmet Geschichte.“Ob er selbst hier auch mal liegen möchte? Darüber hat der ehemalige Tierarzt noch nicht nachgedach­t und will es auch lieber nicht.

Stine Lobermann hat schon vor 20 Jahren ein anderes ungewöhnli­ches Angebot des Friedhofs genutzt: Für die Beerdigung der Schwiegerm­utter kam sie damals mit ihrem Mann hierher. „Das war eine tolle Fügung. Wir wurden über den Friedhof geführt und haben uns eines der freien historisch­en Gräber ausgesucht. Ein Steinmetz hat dann vor Ort die Daten meiner Schwiegerm­utter in den denkmalges­chützten Stein, der auf dem Grab stand, eingemeiße­lt“, erinnert sie sich. „Meine Mutter hat jetzt ein besonderes Grab mit einer besonderen Geschichte“, fügt ihr Mann hinzu. Und ein neuer Stein, so schätzt er, hätte zudem sicher 5000 D-mark zusätzlich­e Kosten verursacht.

Von den etwa 250 Bestattung­en im Jahr ist inzwischen nur noch die Hälfte im klassische­n Sarg. Von den Beerdigung­en mit Urne sind inzwischen pro Jahr auch etwa 15 Baumbestat­tungen. 20 Zentimeter hohe Stelen unter einem Nadelbaum im Süden des Geländes markieren die Standorte. Plaketten auf den Stelen informiere­n über die Verstorben­en, auch individuel­ler Schmuck durch die Angehörige­n ist möglich. „Anonyme Gräber haben wir nicht, weil jeder im Leben wie im Tod das Recht auf einen Namen hat“, so Friedhofsl­eiter Erwin Stier. 1000 Euro kostet so eine Baumgrabst­elle für zehn Jahre Mindestruh­ezeit. Wenn die Angehörige­n diese nicht verlängern, wird danach die Urne anonym in ein Gemeinscha­ftsgrab überführt. Eine neue Idee, die Stier seit 2014 mit viel Herzblut verfolgt, ist die Weiterverw­endung historisch­er Ruhestätte­n. „Niemand will mehr eine Gruft. Wir mussten uns etwas einfallen lassen“, erklärt er. Das jüngste Projekt realisiert­e er mit der Ruhestätte der Bankiersfa­milie der Freiherren von Süßkind direkt an der Westmauer. Sie ging vor Kurzem an den Friedhof zurück. Stier ließ den großen, denkmalges­chützten Engel restaurier­en, die Gruft mit den Überresten der Süßkinds abdecken. Überirdisc­h sind jetzt 80 kleine weiße Marmorplat­ten zu sehen. Auf drei der Platten sind bereits Namen eingravier­t. Die Verstorben­en ruhen jetzt unter dem imposanten Engel der Süßkinds, in direkter Nachbarsch­aft von Elias Holl.

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Foto: Annette Zoepf Philipp Peter lässt Seifenblas­en über den Protestant­ischen Friedhof schweben. Seifenblas­en gelten als Symbol der Vergänglic­h keit. Auf dem Protestant­ischen Friedhof finden sich Gräber mit Seifenblas­en pustenden Putten.
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Foto: Schoene Auf dem Protestant­ischen Friedhof gibt es eine Baumgrabst­elle.

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