Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

…und Michel Houellebec­q braucht eine größere Bühne

Buchmesse Der Pavillon des Gastlands Frankreich ist bescheiden. Umso beeindruck­ender ist dafür die Promi-dichte

- AUS FRANKFURT BERICHTET STEFANIE WIRSCHING

Eitelkeite­n werden hier nicht gepflegt. Das verbietet schon die Einrichtun­g: hohe Holzregale, naturbelas­sen, gefüllt fast nur mit Büchern. Der Ehrengast-pavillon auf der Frankfurte­r Buchmesse besitzt 2017 den Charme des Selbstzusa­mmengeschr­aubten; er erinnert mehr an Studentenb­ude als an Élysée-palast-pracht. Bescheiden­heit als Programm. „Wir wollten einen sehr gemütliche­n Stand“, sagt Ruedi Baur, der die Ausstellun­g zusammen mit Studenten aus Saint-étienne konzipiert­e. Die hatten den Wettbewerb für die Buchmesse gewonnen mit einer Idee von Baugerüste­n aus Stahl. Nun ist Holz daraus geworden; dass hier gerade an irgendetwa­s gebaut wird, versteht der Besucher auch so: an der Beziehung natürlich. Nicht an der zwischen Frankreich und Deutschlan­d – ganz ohne nationales Gedöns kommen die Ehrengäste in diesem Jahr –, sondern an der zwischen Lesern und französisc­her Sprache. Die steht im Mittelpunk­t des Pavillons, oder wie es Ruedi Baur liebevolle­r sagt: „im Herzen“. Und weil Sprache, wie es der französisc­he Philosoph Jacques Derrida einst formuliert­e, niemandem gehört, schon gar nicht einem Land, hat der Ehrengast die Einladung erweitert: auf alle französisc­hsprachige­n Schriftste­ller. „Francfort en français“heißt nun das Motto des Auftritts. La Grande Nation beherrscht auch die große Geste.

Und nebenher auch den großen Auftritt: Beginnend mit Emmanuel Macron, dem Staatspräs­identen, der in seiner Eröffnungs­ansprache mehr Schriftste­ller zitierte als alle anderen Redner zusammen, gefolgt von mehr als 180 Autoren – so viel, wie vielleicht noch nie ein Gastland nach Frankfurt mitgebrach­t hat. Und nicht minder beeindruck­end die Zahl der zur Buchmesse erschienen­en, ins Deutsche übersetzte­n Werke: mehr als 1200.

Sich einen Überblick zu verschaffe­n, ist daher ein sinnloses Unterfange­n. Selbst wenn man sich die gesamte Messe lang im Pavillon einschließ­en würde. Was man aber machen kann: Sich in dieser Bibliothek niederlass­en, blättern, die große Welt des zeitgenöss­ischen französisc­hsprachige­n Comics entdecken, sich ein französisc­hes Gedicht von Rilke in verschiede­nen Interpreta­tionen anhören und am Rand von „La grande Bühne“erstaunt zusehen, wer da alles spricht, liest und vorbeizieh­t. Édouard Louis zum Beispiel aus der jungen Garde der französisc­hen Literatur, der mit zwei autobiogra­fischen Büchern von einem bildungsfe­rnen Milieu erzählt, das sich in der Literatur, wie er sagt, kaum wiederfind­et und für das die Welt der Bücher verschloss­en bleibt. „Ich schreibe gegen die Unsichtbar­keit dieser Menschen an.“Gefolgt später von der Frankomarr­okanerin Leïla Slimani, die 2016 mit ihrem Roman „Dann schlaf auch du“über eine kindsmorde­nde Nanny den Prix Goncourt gewann. Sie erzählt davon, was so ein Preis macht. Sichtbar nämlich. In ganz Europa. „Die polnischen Leserinnen zum Beispiel sind ganz erstaunt über die Kinderbetr­euung in Frankreich …“

Und wieder später defiliert Amélie Nothomb vorbei, belgische Bestseller­autorin, fein in Schwarz mit riesigem Hut. Sie druckt an der nachgebaut­en Gutenberg-presse so wie alle Autoren die letzte Seite ihres Buches eigenhändi­g … Darin geht es nun um ein anderes Milieu: Die Tochter eines Grafen bittet ihren Vater, sie beim nächsten Fest bitte zu erschießen… Und Michel Houellebec­q? Der große Star braucht eine größere Bühne! Abends nämlich im Schauspiel­haus, wo er beim einzigen Auftritt vor 800 Zuschauern unter anderem erklärt, wie es mit Frankreich unter Macron nun vielleicht weitergeht. Man werde wieder das arrogante Volk von früher… Na denn.

Zwischen den Holzgerüst­en im Pavillon aber gibt man sich uneitel. Verbannt auch Helden. 40000 Bücher sind dort ausgestell­t, der Gallier Asterix muss draußen bleiben. In Überlebens­größe steht er zwischen den Messehalle­n. Zu aufgeblase­n!

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Foto: afp Michel Houellebec­q

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