Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Schläger
Gerechtigkeit, Schuld und Sühne sind zentrale Themen der Menschheitsgeschichte. Kaum einer verkörpert sie anschaulicher als der Tennisprofi, der nach einem missratenen Volley seinen Schläger so lange auf den Boden drischt, bis das Spielgerät tot ist. Eine öffentliche Hinrichtung. Einer muss schuld sein, wenn der Ball ins Netz rauscht, muss büßen. Das verlangt die Gerechtigkeit. Deshalb hat der Bulgare Dimitrov vor einigen Jahren in einem Finale gleich drei Schläger zur Rechenschaft gezogen. Damit liegt er in der Tabelle der Schlägerzerstörer trotzdem hinter dem Zyprioten Bagdatis, der es auf vier vernichtete Arbeitsgeräte in einem Match brachte, eines davon noch in der Verpackung.
Warum diese Gewaltorgien? Der Ärger über Versagen benötigt ein Ventil. Dimitrov hat sich nach seinem Anfall beim Schiedsrichter entschuldigt – was ihn nicht vor dem regelkonformen Spielverlust bewahrte – und seinem Gegner formvollendet zum Sieg gratuliert. Im Allgemeinen gilt: Je jünger der Versager, umso druckvoller entweicht der Dampf. Das erklärt, warum Alexander Zverev, 20, die Nummer vier der Weltrangliste, schon wieder zugeschlagen hat.
Andererseits ist auch nicht auszuschließen, dass das Schlägerschlagen der Tennisprofis seinen Ursprung in der Musik hat. Sind Zverev & Co. demnach nur Gefolgsleute von Jimi Hendrix und Pete Townshend, die ihre Gitarren zerkloppt, versengt und gesprengt haben? Die ihre Musikinstrumente nicht Schuld, Sühne oder Gerechtigkeit geopfert haben, sondern lediglich einer Kunstform?
Wer freilich ohne Schuld ist, breche den ersten Schläger. Besser, der Sportredakteur erinnert sich seiner eigenen Nöte, wenn das Hirn beim Schreiben nichts mehr hergibt. Wie er Gedanken nur noch ins Netz denkt, weil der dämlichen Tastatur nichts einfällt. Wie er das dumme Stück an die Wand werfen und die Einzelteile an den Schredder verfüttern möchte. Wie er stattdessen einen Tennisball geknetet hat. Ja, einen Tennisball. Könnte auch den Tennisspielern helfen.