Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Wie andere Städte mit Stolpersteinen umgehen
Gedenken In der Diskussion um die Erinnerungszeichen gibt es in Augsburg Misstöne zwischen Bürgerinitiative und Stadt. Auch in anderen Kommunen bereitet die Auslegung des Opferbegriffs Probleme
Die nächsten Stolpersteine werden am Samstag in Augsburg verlegt. Im Vorfeld gab es erneut Misstöne. Die Bürgerinitiative hatte acht Erinnerungszeichen beantragt, der Stadtrat stimmte davon lediglich dreien zu. Stolperstein-künstler Gunter Demnig kündigt an, dennoch auf seine Art Steine verlegen zu wollen. Wie wird mit dem Thema in anderen Städten umgegangen? Ein Blick nach Regensburg, Karlsruhe und Wuppertal.
Für Augsburg sagt der Sprecher des Initiativkreises Stolpersteine, Thomas Hacker, zur Zusammenarbeit mit der Stadt: „Es ist ja nicht alles Streit“. Der Augsburger Weg sei schließlich eine Annäherung in der Frage, für welche Opfer des Naziregimes Erinnerungszeichen angebracht werden. „Uns geht es aber um die Sonderfälle und wie diese behandelt werden.“Er kritisiert, dass die Stadt fünf Stolpersteine abgelehnt hat. Der Stadtrat hatte für den sogenannten „Augsburger Weg“beschlossen, Stolpersteine oder Erinnerungsbänder nur für Opfer zuzulassen, die unter den Nationalsozialisten zu Tode kamen. Also auch für die Opfer, die an den Folgen von Inhaftierung, Flucht oder Zwangsarbeit starben. Die abgelehnten fünf Fälle fallen demnach nicht unter diesen Opferbegriff. Wie etwa Widerstandskämpfer Josef Felder, der im KZ Dachau inhaftiert war und 1936 freikam. Der Kölner Künstler Gunter Demnig, der die Erinnerungssteine mit den Messingplatten und eingravierter Inschrift verlegt, sagt gegenüber unserer Zeitung, er wolle am Samstag dennoch sogenannte Platzhaltersteine für die abgelehnten Stolpersteine verlegen. Dass der Künstler seine eigenen Vorstellungen von Erinnerungsarbeit hat, zeigt sich auch in anderen Städten. Manchmal führte das zu offenbar unüberbrückbaren Differenzen mit ihm, obwohl sich Stolpersteininitiativen und Politik einig sind. Wie etwa in Karlsruhe und Wuppertal.
Seit 2005 wurden in Karlsruhe 296 Stolpersteine für Menschen verlegt, die während der Herrschaft der Nationalsozialisten ihr Leben verloren. Dieser Opferbegriff ist Konsens zwischen Bürgerinitiative und Stadt. Seit Mai dieses Jahres ist dennoch Schluss mit den Stolpersteinen. Gunter Demnig habe nicht mehr akzeptiert, dass es nur für Todesopfer Steine gibt, berichtet Manfred Koch von der Koordinierungsgruppe Stolpersteine Karlsruhe. Viele Jahre habe die Zusammenarbeit mit dem Künstler gut geklappt. Bis 2014. „Demnig drängte erstmals darauf, Stolpersteine für ganze jüdische Familien, Überlebende eingeschlossen, zu verlegen“, erzählt Koch. „Und wir standen da. Das passte nicht zu unserem Konzept der Karlsruher Erinnerung.“
Zunächst habe der Künstler weitergemacht, dabei aber nach seinem Ermessen Ersatzsteine ohne Messingplatten für andere Familienmitglieder der Todesopfer angebracht. Laut Koch habe Demnig zwei Jahre später rigoros gefordert, dass die Ersatzsteine durch Stolpersteine ersetzt werden müssten. „Erst dann wolle er weitere verlegen. Wir hät- ten gerne weitergemacht. Aber zu unseren Vorstellungen.“Koch bedauert die Beendigung der Zusammenarbeit. Die Koordinierungsgruppe Stolpersteine in Karlsruhe hat sich inzwischen aufgelöst.
Eine ähnliche Situation herrscht in Wuppertal. Dort hat die zuständige bürgerliche Initiative die Kooperation mit dem Stolpersteinkünstler vor rund eineinhalb Jahren beendet. 187 der Erinnerungszeichen waren hier seit 2007 verlegt worden. Auch in Wuppertal waren sich Initiative und Stadt einig, mit den besonderen Pflastersteinen ausschließlich Menschen zu gedenken, an deren Tod die Nationalsozialisten schuld waren. Letztlich scheiterten weitere Verlegungen aber an Unstimmigkeiten mit Demnig, wie Manfred Brusten, Zweiter Vorsitzender des Vereins „Stolpersteine in Wuppertal“, erzählt.
„Man kann nicht jedem, der unter den Nationalsozialisten gelitten hat, einen Opferstein geben“, findet Brusten, der sich seit vielen Jahren intensiv mit der Erforschung jüdischer Schicksale befasst. Im Verein würden derzeit Alternativen diskutiert. Die eigene Homepage wolle man um die Steine, die man eigentlich noch verlegen wollte, ergänzen. Zudem wird in Wuppertal über eine andere Art von Erinnerungssteinen nachgedacht. Neulich wurden bei einer Sitzung des Vereins eigene Gedenksteine mit einem Qr-code vorgeschlagen, berichtet Brusten. Hinter dem Qr-code, der mit dem Smartphone eingelesen werden kann, könne das jeweilige Schicksal auf der Homepage der Initiative hinterlegt werden. „Wir wollen die Erinnerungsarbeit weiter machen, aber mit unserem Opferbegriff.“
In Regensburg hat man die Verärgerung der Augsburger Stolpersteininitiative über Ablehnungen durch den Stadtrat mitverfolgt. Ulrich Fritsch von der Initiative Stolpersteine in der Stadt an der Donau kann beiden Seiten nur raten, abzuwarten. „Wenn die Sache einige Zeit läuft und positive Reaktionen kommen, ist das eine Chance der Annäherung.“Beide Seiten sollten sich aufeinander zubewegen. Fritsch hat noch einen Rat nach Augsburg: mit den Befindlichkeiten nicht so an die Öffentlichkeit zu gehen. „Sonst ist man nur gezwungen, seine eigene Position zu verteidigen und die Seiten verhärten sich.“
In Regensburg selbst befinde man sich seit der ersten Verlegung 2006 im gegenseitigen Einvernehmen mit der Stadt. Auch hier werden Stolpersteine nur für Todesopfer installiert. „Ziel ist es, Menschen die ermordet wurden und aus dem Bewusstsein der Stadt entrissen wurden, diesem wieder zurückzuführen. Das wäre nicht möglich, würden tausende Steine verlegt“, findet Fritsch.
Das gegenseitige Vertrauen von Stadt und den engagierten Bürgern geht in Regensburg sogar so weit, dass die Initiative seit Jahren ohne Stadtratsbeschluss Stolpersteine verlegen lassen darf. Nur in zwei Ausnahmefällen gab es die Erinnerungszeichen für Überlebende des Nazi-regimes. „Das war auf Bitten der Nachkommen. Das waren bislang die einzigen. Ich denke, wenn so eine Bitte herangetragen wird, muss man sie diskutieren und überlegen“, sagt Fritsch. Mit Gunter Demnig habe es auch in Regensburg schon Diskussionen um den Opferbegriff gegeben. Fritsch schließt nicht aus, dass es auch bei ihnen mal zu einem Konflikt kommen kann.