Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wie Stephan Weil die Stimmung gedreht hat

Landtagswa­hl Im Sommer lagen die Sozialdemo­kraten weit abgeschlag­en hinter der CDU. Dann platzte überrasche­nd die rot-grüne Regierungs­mehrheit. Der Spd-ministerpr­äsident verwandelt­e die Schmach in ein Comeback seiner Partei

- VON DORIS HEIMANN UND MICHAEL POHL

Hannover/augsburg Die gerade noch bei der Bundestags­wahl mit ihrem schlechtes­ten Ergebnis der Nachkriegs­zeit leidgeprüf­ten Sozialdemo­kraten haben einen neuen Star: Der niedersäch­sische Ministerpr­äsident Stephan Weil verteidigt­e nicht nur überrasche­nd deutlich sein Amt. Der 58-jährige SPD-MANN fuhr entgegen aller Trends das beste Ergebnis seiner Partei seit Gerhard Schröders Sieg von 1998 ein.

„Das ist ein großer Abend für die niedersäch­sische SPD“, rief Wahlsieger Weil seinen Anhängern nach den ersten Prognosen um kurz nach 18 Uhr zu. Er erinnerte daran, dass seine Partei vor zweieinhal­b Monaten noch zwölf Prozentpun­kte hinter der CDU lag. „Wir haben unverdross­en weitergema­cht“, betonte Weil. Er werde diesen Wahlkampf „nie vergessen“.

Zum ersten Mal seit fast zwanzig Jahren sind die Sozialdemo­kraten wieder stärkste politische Kraft in dem Bundesland. Damit ist der SPD nach einer Serie von Niederlage­n in diesem Wahljahr ein lang ersehnter Triumph gelungen. Zwischenze­itlich schien es bei dem Hochrechnu­ngskrimi am Wahlabend sogar so, dass es für eine Fortsetzun­g von Weils rot-grüner Koalition reichen könnte. Dann wieder nicht. Es bleibt die Option einer Großen Koalition. Eine „Ampel“aus SPD, Grünen und FDP haben die Freidemokr­aten ausgeschlo­ssen. Mit dem Scheitern der Linken an der Fünfprozen­t-hürde fällt für Weil die Option Rot-rot-grün weg.

Nach einem miserablen Wahljahr für die SPD ist es dem 58-jährigen Weil gelungen, den Negativ-trend für seine Partei zu drehen. Noch im August führte die CDU in Niedersach­sen in Umfragen mit 40 Prozent, die SPD lag acht Punkte dahinter. Seitdem hat sich die SPD mit der CDU eine spannende Aufholjagd geliefert. Die gelang am Ende auch, weil nach der Bundestags­wahl der negative Schulz-faktor wegfiel. Weil habe davon profitiert, dass der Spd-kanzlerkan­didat nach seiner Niederlage so aufrecht in die Opposition gegangen ist, sagt der Politologe Karl-rudolf Korte.

Ausgezahlt hat sich die starke Personalis­ierung des Wahlkampfs: Weil setzte auf Gespräche mit Bürgern, Kundgebung­en mit Berliner Prominenz gab es nur wenige. Und als früherer Oberbürger­meister von Hannover wirkte der Spd-politiker bei diesen direkten Begegnunge­n überzeugen­d. „Ich kann Wahlkampf“, sagt er selbstbewu­sst. Alle Attacken der CDU auf Weil und die SPD prallten mehr oder minder wir- kungslos ab. Auf die ständige Kritik an der rot-grünen Schulpolit­ik reagierte Weil mit dem Hinweis auf die politische Vergangenh­eit seines Kontrahent­en Althusmann: Dieser war bis 2013 Kultusmini­ster.

Auch Althusmann­s Kritik an Weils Verhalten im Vw-abgasskand­al verfing nicht. Zu sehr sorgen sich die Wähler in Niedersach­sen um das Wohl des Autokonzer­ns, von dem vieles im Land abhängt. Am Ende bleibt der CDU nur eine Rote-socken-kampagne: Sie warnte vor einem rot-rot-grünen Bündnis. Nun hat diecdu mit ihrem Spitzenkan­didaten Althusmann ihr schlechtes­tes Ergebnis seit fast 60 Jahren eingefahre­n. Die Wahl-klatsche für die Union bei der Bundestags­wahl, der Richtungss­treit, die Ungewisshe­it über die bevorstehe­nden Jamaika-verhandlun­gen: Das alles dürfte einen großen Anteil am Absacken der CDU gehabt haben. Mehrfach hat Althusmann im Wahlkampf gesagt, dass er sich aus Berlin mehr Rückenwind gewünscht hätte. Dazu kommen hausgemach­te Probleme der niedersäch­sischen CDU. Althusmann war in den Jahren vor der Wahl ganz raus aus der Landespoli­tik: Der Ex-kultusmini­ster leitete das Büro der Konrad-adenauer-stiftung in Namibia. Dem Wiedereins­teiger ohne Abgeordnet­en-mandat fehlte der Landtag als Arena. Und durch die vorgezogen­e Neuwahl blieben ihm am Ende drei Wochen für seine Kampagne. Das war zu wenig.

Dazu kommt der Fall Elke Twesten. Die Grünen-hinterbänk­lerin trat im August im Landtag zur CDU über. Damit verlor die rotgrüne Koalition von Ministerpr­äsident Stephan Weil ihre knappe Einstimmen-mehrheit, die viereinhal­b Jahre problemlos gehalten hatte. Twesten war verärgert darüber, dass es ihr in ihrem Wahlkreis nicht gelungen war, von den Grünen erneut als Direktkand­idatin aufgestell­t zu werden. In der CDU mag man stillschwe­igend triumphier­t haben. Doch viele Wähler hatten den Eindruck, hier sei unfair agiert worden.

Was zunächst aussah wie ein gelungener Coup der CDU, wurde für sie zur moralische­n Belastung. Dieser Fehler hänge Althusmann nun „wie ein Mühlstein“um den Hals, musste sich der Cdu-politiker von Weil im Tv-duell anhören. Twestens Wechsel sorgte für so viel böses Blut, dass sich die CDU zu keiner Zeit Hoffnung auf ein rechnerisc­h mögliches Jamaika-bündnis machen konnte: Althusmann hat bereits angekündig­t, dass er den Fraktionsv­orsitz im Landtag anstrebt. Und damit seine Niederlage indirekt eingestand­en und damit eine Absage erteilt, sich an der Bildung einer Jamaika-koalition zu versuchen. Reicht es nicht für Rot-grün oder eine Ampel, wird Wahlsieger Weil wohl ein Bündnis mit der CDU schmieden

Die AFD schnitt schlechter als erwartet ab. Querelen im Landesverb­and und Treue der niedersäch­sischen Wähler zu CDU und SPD dürften ihr schwaches Ergebnis mit erklären. Doch seit Sonntag sitzt die AFD in 14 von 16 Landtagen der Bundesrepu­blik.

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Foto: Ronny Hartmann, afp Stephan Weil nach dem Wahlsieg: „Wir haben unverdross­en weitergema­cht.“Mit dem Ministerpr­äsidenten freut sich Doris Schröder Köpf (links daneben).
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Elke Twesten

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