Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Sebastian Kurz stellt alle in den Schatten

Österreich Der junge Außenminis­ter führt innerhalb kurzer Zeit die konservati­ve ÖVP an die Spitze. Bundeskanz­ler Kern scheitert nicht zuletzt am Unvermögen seiner SPÖ. Die Freiheitli­chen legen zu und sind das Zünglein an der Waage

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Wien Zum vierten Mal seit 1945 wird es in Österreich einen echten Machtwechs­el geben. Nach dem bis zum Sonntagabe­nd vorliegend­en Ergebnis ist eine schwarz-blaue Regierung sehr wahrschein­lich. Außenminis­ter Sebastian Kurz und seine ÖVP haben die Wahl haushoch gewonnen. Die FPÖ blieb zunächst auf dem dritten Platz, legte aber auch stark zu. Die beiden Parteien gewannen mit ihrem Anti-flüchtling­s-wahlkampf gemeinsam mehr als dreizehn Prozentpun­kte dazu.

Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen kündigte schon gestern an, er werde Kurz mit der Regierungs­bildung beauftrage­n, wenn es bis zum Vorliegen des endgültige­n Ergebnisse­s am Donnerstag­abend bei den vorliegend­en Zahlen bleibe.

Der voraussich­tliche künftige Bundeskanz­ler ist offensicht­lich auch dazu bereit: „Der heutige Tag ist ein sehr starker Auftrag für uns, dieses Land zu verändern“, sagte er vor seinen Anhängern. Die ÖVP habe große Verantwort­ung übertragen bekommen, viele Menschen setzten große Hoffnung in sie und in „einen neuen Stil und eine neue Kultur“. Er wolle eine „sachliche Zusammenar­beit aller Parlaments­parteien erreichen“. Övp-generalsek­retärin Elisabeth Köstlinger ließ ebenso offen, ob der erwünschte Koalitions­partner die Freiheitli­che Partei sei: „Wir wollen mit jenem Partner eine Koalition für die nächsten fünf Jahre schaffen, mit dem wir Österreich am meisten weiterbrin­gen können“, sagte sie.

Bundeskanz­ler Christian Kern, der mit der SPÖ nur knapp an Verlusten vorbeischr­ammte, erklärte, er werde wie versproche­n weitere neun Jahre in der Politik bleiben. Ob in der Regierung oder in der Opposition, sollen die kommenden Tage zeigen. Es sei „nicht erfreulich“, dass die SPÖ nicht auf dem ersten Platz in der Wählerguns­t liege. Sie sei jedoch ihren Wählern ge- genüber in der Pflicht. „Wir werden schauen, welches Programm jetzt auf uns zukommt“, sagte er im Hinblick auf etwaige Verhandlun­gen mit Kurz oder den Freiheitli­chen. „Wir haben bei dieser Wahl einen enormen Rechtsruck erlebt.“

Kern rechnet mit einer schwarzbla­uen Koalition. Die ganze politische Großwetter­lage komme der Sozialdemo­kratie nicht entgegen. Der soziale Ausgleich als Ziel habe sich im Wahlkampf nicht durchgeset­zt. In der Migrations­frage hätten andere Parteien „Konzepte, die mehrheitsf­ähiger sind“, sagte Kern.

Wiens Bürgermeis­ter Michael Häupl lehnte eine Zusammenar­beit der SPÖ mit der FPÖ ab. Kern stehe ja nicht nur für die Sonnentage in der Politik zur Verfügung: „Ich gehe davon aus, dass er Opposition­sführer wird“, so Häupl. Die SPÖ erzielte in Wien ein weitaus besseres Ergebnis als in ganz Österreich. Häupl geht deshalb davon aus, dass die Wiener SPÖ bei den nächsten Wahlen 2020 von einer schwarzbla­uen Regierung profitiert.

Der Fpö-vorsitzend­e Heinzchris­tian Strache ist sich noch keineswegs sicher, dass die FPÖ in die Regierung kommt. Sondern er ließ durchblick­en, dass er eine Große Koalition unter Führung von Sebastian Kurz befürchtet. Aus seiner Sicht zeigt das Wahlergebn­is ein „schönes Resultat“. Er empfinde „Genugtuung darüber, dass weit über 55 Prozent das freiheitli­che Programm gewählt haben“, sagte er. „Wir sind in der Mitte der Gesellscha­ft angekommen. Wir haben die Themenführ­erschaft.“Denn die ÖVP habe große Teile des Fpöprogram­ms übernommen.

Strache liegt mit seinen Bedenken insofern nicht ganz falsch, als bereits gestern Abend Stimmen aus der ÖVP zu hören waren, die indirekt vor einer Koalition mit der FPÖ warnten. Hintergrun­d sind vor allem die europapoli­tischen Positionen der FPÖ, die auch zusammen mit Marine Le Pen und anderen Rechtspart­eien agiert.

Die Grünen stürzen ins Bodenlose

Einen außergewöh­nlichen Absturz erlebten die Grünen, die wahrschein­lich nicht mehr ins Parlament einziehen werden. Nach einem Rekorderge­bnis von 12,4 Prozent im Jahr 2013, fünf Regierungs­beteiligun­gen in Bundesländ­ern und ihrem ehemaligen Vorsitzend­en als Bundespräs­ident scheitern sie nach der Spaltung im Frühsommer an der Vier-prozent-hürde. Spitzenkan­didatin Ulrike Lunacek, die einsprang, als die Vorsitzend­e Eva Glawischni­g aus gesundheit­lichen Gründen zurücktrat, sprach von einer „bitteren Niederlage“. Sie sagte, man solle das Endergebni­s abwarten. Erfahrungs­gemäß bringen die noch nicht ausgezählt­en Briefwahls­timmen den Grünen Zuwächse.

Hintergrun­d der Spaltung ist auch der Generation­enkonflikt. Denn der Mann, der diese Niederlage verursacht hat, ist der ehemalige Grüne Peter Pilz. Das Urgestein der Partei hat die Grünen verlassen, weil er zugunsten eines jungen Abgeordnet­en nicht auf einem aussichtsr­eichen Platz nominiert worden war. Jetzt wird er mit seiner eigenen Liste wahrschein­lich im Parlament bleiben können.

 ?? Foto: Joe Klamar, afp ?? 31 Jahre jung: Sebastian Kurz ist der absolute Wahlgewinn­er in Österreich. Alles spricht dafür, dass der bisherige Außenminis­ter jetzt Bundeskanz­ler wird.
Foto: Joe Klamar, afp 31 Jahre jung: Sebastian Kurz ist der absolute Wahlgewinn­er in Österreich. Alles spricht dafür, dass der bisherige Außenminis­ter jetzt Bundeskanz­ler wird.

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