Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Von Friedberg in die weite Welt
Serie Als Präsident einer global agierenden Projektmanagement-vereinigung bereist Richard Wagner regelmäßig alle Kontinente der Erde. Warum er deshalb zwei Pässe besitzen muss
Friedberg Ein Jahr, 40 Länder – und das auch noch ehrenamtlich. Geht nicht? Geht doch, weiß Richard Wagner aus Friedberg. Der 51-Jährige ist Präsident der International Project Management Association, kurz IPMA – ein Dachverband aus 68 nationalen Verbänden, der Projektmanagement in Unternehmen und Institutionen weltweit professionalisieren möchte. „Das bringt mich in viele Länder“, sagt er. Allein im letzten Jahr bereiste er mehr als 40 Staaten – darunter Russland, China, Japan, Australien und Iran.
Projekte gibt es überall, sagt Wagner. Es gibt sie in der Landwirtschaft und im Straßenbau, in der Entwicklungshilfe und im sozialen Bereich. Um diese Projekte zu organisieren, braucht man Projektmanagement. „Im April 2015 hat beispielsweise ein schweres Erdbeben viele Häuser in Nepal zerstört“, erläutert der studierte Diplomingenieur. Soziale Projekte – gefördert von westlichen Ländern, realisiert durch lokale Kräfte – setzen dort an. „Wir zeigen den Menschen, wie man Häuser erdbebensicher baut. Gleichzeitig bekommen Arbeitssuchende ein Training, das sie in den Bau vermitteln soll. Es ist Hilfe zur Selbsthilfe.“
Anderes Beispiel, Infrastruktur. El Niño hat im Norden Perus vor wenigen Jahren ein Chaos hinterlassen. Dazu zählen zerstörte Straßen, Brücken und Stromleitungen. „Unsere Aufgabe war es, Hilfe zu organisieren, den Wiederaufbau voranzubringen und alle Leute an einen Tisch zu bekommen“, bemerkt Wagner. Denn Projektmanagement habe immer ein Ziel vor Augen. „Es geht darum, dieses Ziel zu formulieren, einen Terminkalender aufzustellen, das Budget zu verwalten und das Ziel am Ende zu erreichen.“
Richard Wagner liebt, was er tut. Hauptberuflich ist der 51-Jährige Geschäftsführer bei einem Münchner Beratungsunternehmen, sein Engagement für die IPMA basiert dagegen auf einer ehrenamtlichen Basis. Wie man beides unter einen Hut bekommt? „Mein Wochenende ist kein normales Wochenende, mein Tag kein normaler Tag“, gibt er zu und lacht. Seine Tätigkeit kenne weder Sonntag noch Ferien. Er ist meist unterwegs, verbringt viel Zeit im Flieger, lebt oft im Hotel. „Zum Glück habe ich kein Problem mit Jetlag“, sagt er augenzwinkernd. Doch gibt es andere Probleme. „Einreisebestimmungen kön- nen abenteuerlich sein“, meint er. Erst im vergangenen Jahr war er auf einer Tagung in Teheran, der Hauptstadt des Iran, eingeladen. Ein Visum für das schiitisch geprägte Land zu bekommen, sei nie besonders schwierig gewesen, betont der Friedberger. Aber: „Momentan dürfte ich nicht nach Saudiarabien,
Allein in einem Jahr in 40 Staaten gewesen
weil die Region sunnitisch geprägt ist“. Um solche Konflikte grundlegend zu vermeiden, führt Richard Wagner zwei Reisepässe. „Mit dem einen fliege ich nach Iran, mit dem anderen nach Saudiarabien. Und man muss höllisch aufpassen, welchen man einreicht.“
Zeitzonen, Klima, Verhalten, Religion – in jedem Land herrschen besondere Bedingungen. „Wenn man auf andere Kulturen trifft, lernt man viel über sich selbst“, so der Diplomkaufmann. Häufig geben ihm diese Unterschiede Anlass, sich selbst zu reflektieren – etwa die deutsche Arbeitsethik. „Wir priorisieren Arbeit vor der Familie. Das ist in manchen Ländern durchaus umgedreht“, sagt der 51-Jährige. Auch die Art der Kommunikation sei in bestimmten Gegenden anders. „Deutsche kommen schnell auf den Punkt, sie sind sehr direkt.“Konfliktpotenzial bekommt diese Art in Asien. „Hier muss man das Gesagte interpretieren und zwischen den Zeilen lesen“, bekräftigt Wagner. Einige Semester Psychologiestudium helfen ihm dabei.
Beispiel drei, Ökonomie. Landwirtschaft spielt in Mexiko eine wesentliche wirtschaftliche Rolle. „Um sie effizienter zu gestalten, bringen wir neues Fachwissen dorthin“, sagt der Diplomingenieur. So lernten die „Campesinos“– mexikanische Farmer und Bauern – durch Projektmanagement, wie sie die Bewässerung ihrer Äcker und Bewirtschaftungsformen verbessern können. Gleichzeitig bauten Automobilkonzerne wie BMW, Volkswagen oder Audi Unternehmen am Standort Mexiko auf. „Sie benötigen Leute, die nach internationalen Standards arbeiten können“, so Wagner. Die IPMA Mexiko schult deshalb hunderte von Projektmanagern im Land und zertifiziert sie nach deren Standards. So wüssten die Unternehmen, dass qualifizierte Menschen vor Ort sind.
Der Höhepunkt seiner Karriere? Ein Projekt aus dem Jahr 1998, das den Bau einer Schule mit den Massai in Kenia vorsah – am Fuße des Kilimandscharo. „Die Massai sind ein Nomadenstamm, deren Kinder auf zusammengezimmerten Bänken unterrichtet wurden“, erinnert sich Wagner. Mitten in der Wildnis, zwischen Elefanten und Giraffen, unter einer ausladenden Akazie. „Wir haben schließlich Material eingekauft, mit dem die Gemeinde vor Ort die Schule gebaut hat. Wir haben Equipment besorgt, damit die Gemeinde einen Garten anlegt, sodass sie Gemüse anbauen und für die Kinder mittags kochen kann.“Ein Jahrzehnt später hat er mit zwölf Weggefährten den Kilimandscharo bestiegen, 5895 Meter hoch. Am 15. September 2008 stand er oben, hatte sein Ziel erreicht. Eine Metapher, denkt er heute.