Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der talentiert­e Herr Kurz und sein Schwenk nach rechts

Leitartike­l Österreich­s politische­r Jungstar hat sich erfolgreic­h aus der Großen Koalition ausgeklink­t. Jetzt muss er Lösungen liefern – und Freiräume für die Zukunft gewinnen

- VON WINFRIED ZÜFLE w.z@augsburger allgemeine.de

Was ist eigentlich das Bemerkensw­erteste am Wahlergebn­is in Österreich? Dass der Juniorpart­ner einer Koalitions­regierung sich personell und inhaltlich neu aufgestell­t hat, Neuwahlen vom Zaun brach – und jetzt voraussich­tlich den neuen Bundeskanz­ler stellen wird. In Deutschlan­d dagegen werden Parteien, die mit Kanzlerin Angela Merkel koalieren, von Wahl zu Wahl geschrumpf­t – während Merkel, die im Übrigen auch ihre eigene Partei schrumpft, weiter im Amt bleibt.

Die konservati­v-betuliche Österreich­ische Volksparte­i war ebenfalls solch ein Schrumpfka­ndidat. Aber ein politische­s Nachwuchst­alent hat sie unverhofft wieder sexy gemacht: Sebastian Kurz, der bisherige Außenminis­ter, kann nun mit 31 Jahren Europas jüngster Regierungs­chef werden.

Kurz bestach mit seiner Jugend, mit seinem Elan, der sich zeigte, als er den lahmen Tanker Volksparte­i für die Wahl zu einem flinken Schnellboo­t umbaute, vor allem aber mit seinem Mut, in der aktuellen Lage inhaltlich neue Wege zu gehen. Er verschob in einem Politikfel­d, das Österreich­s Bürger wie kein anderes bewegt, den Kurs nach rechts: Asyl und Migration. Kurz schuf damit ein klares Unterschei­dungsmerkm­al zur sozialdemo­kratischen Kanzlerpar­tei SPÖ und kam mit seiner „neuen ÖVP“locker über die 30-Prozent-marke – obwohl der Platzhirsc­h auf diesem Feld, die rechtspopu­listische FPÖ, ebenfalls weiter zulegte.

Warum sind die Österreich­er hier so sensibel? Eigentlich besteht kein Grund dafür: Dem Land geht es wirtschaft­lich gut. Die Flüchtling­swelle von 2015, die Österreich im Verhältnis zur Bevölkerun­gszahl ebenso viele Asylanträg­e (90000) einbrachte wie Deutschlan­d (890 000), ist abgeebbt, seit mit maßgeblich­er österreich­ischer Hilfe die Balkanrout­e für Flüchtling­e geschlosse­n wurde. In der Alpenrepub­lik gilt eine Art Obergrenze, ein Richtwert, der von der regierende­n Großen Koalition auf Betreiben der ÖVP eingeführt wurde, und der 2016 auch nicht überschrit­ten wurde. Sogar ein Burkaverbo­t, dessen Sinn heftig umstritten ist, wurde in Kraft gesetzt.

Aber die Angst vor Wohlstands­verlust und Überfremdu­ng ist größer als von der klassische­n Politikthe­orie erwartet. Selbst weltoffene Menschen spüren ein Gefühl der Unsicherhe­it. Es geht auch nicht nur um materielle, sondern ebenso um kulturelle Werte. Nimmt man das Ergebnis von ÖVP und FPÖ zusammen, so haben an die 60 Prozent der Österreich­er für eine weitere rigorose Eindämmung der illegalen Einwanderu­ng gestimmt – nachdem ihnen beide Parteien diese Option aber auch intensiv im Wahlkampf angeboten haben. Kurz hat die Ängste ernst genommen. Nun muss er Lösungen liefern – um Freiräume für politische Zukunftsth­emen zu gewinnen.

Sind aus der Österreich-wahl Lehren für Deutschlan­d zu ziehen? Ein simpler politische­r Rechtsschw­enk ist kein Patentreze­pt. Die Volksparte­i hat ihre Stimmengew­inne nicht nur der Forderung nach besserer Grenzsiche­rung und Reduzierun­g der Sozialhilf­e für Asylbewerb­er zu verdanken, sondern auch dem Generation­swechsel an der Spitze – und dem talentiert­en Herrn Kurz, der begeistert.

In diesem Zusammenha­ng muss auch an den jungen, ebenfalls fasziniere­nden Emmanuel Macron erinnert werden, der in Frankreich mit einem proeuropäi­schen Wahlkampf die Rechtspopu­listin Marine Le Pen ausgestoch­en hat. Jetzt will der französisc­he Präsident einen Neustart für Europa. Wo wird Kurz als Kanzler in dieser Frage stehen: an der Seite der Bremser aus den Visegrad-staaten – oder bei den Erneuerern? Hoffentlic­h verlässt ihn der Mut zur politische­n Neuorienti­erung nicht so schnell.

Obergrenze und Burkaverbo­t gelten bereits

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