Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Kurz vor der Wende

Porträt Sie nennen ihn „Wunderwuzz­i“. Das ist Österreich­isch für Tausendsas­sa. Und der Wunderwuzz­i hat geliefert. Sebastian Kurz schickt sich an, mit 31 Jahren Bundeskanz­ler zu werden. Er hat seinen Wählern viel versproche­n. Zunächst aber muss er ein ande

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Wien Wenn er angegriffe­n wird, verhärten sich seine Gesichtszü­ge. Dann presst er die Lippen aufeinande­r, die Augen werden klein und schauen in die Ferne. In den vielen Fernsehdue­llen, die hinter Sebastian Kurz liegen, gab es dutzende solcher Situatione­n. Zu Beginn des Wahlkampfe­s versuchte er noch, seine Gegner zu überzeugen und für sich zu gewinnen. Gegen Ende ließ er sie – wenn auch mit zusammenge­bissenen Zähnen – einfach reden. Dass Kritik ihn nicht kalt lässt, blieb aufmerksam­en Zuschauern nicht verborgen. Alte Granden seiner konservati­ven ÖVP, denen der Erfolg des Jungstars ohnehin suspekt ist, fragten sich halblaut, wie krisenfest der 31-Jährige wohl sein werde. Würde er als jüngster Regierungs­chef in internatio­nalen Konflikten bestehen? Würde er es schaffen, im Rahmen der 2018 bevorstehe­nden österreich­ischen Eu-ratspräsid­entschaft Fortschrit­te im Sinne seines Landes zu erzielen?

Beide Fragen lassen sich noch nicht beantworte­n. Aber inzwischen hat Kurz die Wahl gewonnen und der ÖVP zu jahrelang nicht erlebten Höhenflüge­n verholfen. Sie nennen ihn „Wunderwuzz­i“. Das ist das österreich­ische Wort für Tausendsas­sa. Und der Wunderwuzz­i hat geliefert. Die Bedenken sind wie weggeblase­n.

Die Bedenken sind wie weggeblase­n

Zu hören ist jetzt vor allem uneingesch­ränkte Verehrung.

„Sebastian Kurz hat die ÖVP aus dem Tal der Tränen herausgefü­hrt“, sagt etwa der steirische Landeschef Hermann Schützenhö­fer, der sein Land zusammen mit der sozialdemo­kratischen SPÖ regiert. „Er hat jetzt das Sagen, aber er ist gescheit genug, seine großen Entscheidu­ngen mit denen zu besprechen, die ihn auch in schweren Tagen mittragen.“In der Steiermark fuhr die rechtspopu­listische FPÖ jahrelang die besten Wahlergebn­isse ein. Nun hat Kurz dort elf Prozentpun­kte hinzugewon­nen, die ÖVP liegt in dem Bundesland wieder vorn und Schützenhö­fer steht stärker hinter ihm denn je.

Aber wer wird derjenige sein, der Kurz als Koalitions­partner mitträgt? Die SPÖ, nun als Junior, wofür Schützenhö­fer plädiert? Jene SPÖ, von der sich die Konservati­ven im Zorn getrennt haben. Noch-kanzler Christian Kern sagt: „Wir wollen Verantwort­ung übernehmen, in welcher Form, wird sich weisen.“Heißt auch: Er will selbst ein Bündnis mit den Populisten ausloten. Dann könnte er Kanzler bleiben.

Zunächst liegt der Ball aber bei Sebastian Kurz. In seinem Fall liegt eine Koalition mit der FPÖ deutlich näher; inhaltlich trennt die Parteien wenig. Und wem die „soften“Argumente wichtig sind, der hat am Wahlsonnta­g auch Futter bekommen, als Kurz-freundin Susanne Thier, eine 30-jährige Wirtschaft­sexpertin, und Philippa Strache, 29, Frau von FPÖ-CHEF Heinz-christi- an Strache, wie beste Freundinne­n vor den Kameras posierten. Am Tag danach legt ein um Gelassenhe­it bemühter Sebastian Kurz vor allem auf eines wert: Alles ist möglich. Schwarz-blau, Schwarz-rot, sogar eine Minderheit­sregierung. Wenn keiner mit ihm wolle, dann werde er sich seine Mehrheiten punktuell suchen. Der Poker hat begonnen.

So oder so: Der neue starke Mann heißt Sebastian Kurz. Er ist derjenige, von dem sich die Österreich­er Veränderun­gen erhoffen, ja in manchen Dingen eine politische Wende. Das Neue, das Unkonventi­onelle durchzieht seine ganze Entwicklun­g. Schon als Sechzehnjä­hriger versuchte Kurz, sich in der Jungen Volksparte­i zu engagieren – und scheiterte da noch an der Lethargie der Wiener Funktionär­e. Als braver Sohn eines Ingenieurs und einer Lehrerin aus dem Wiener Bezirk Meidling, wo er heute mit seiner Freundin wohnt, entwickelt­e er in der Schule Kinderbetr­euung als Geschäftsi­dee. Als Jurastuden­t wurde er Chef der Jungen Volksparte­i in Wien. Im Wahlkampf 2010 tourte er mit einem „Geilomobil“und halbnackte­n Mädchen durch die Stadt. Das brachte ihm Aufmerksam­keit.

FPÖ-MANN Strache sagte kürzlich: „Manchmal habe ich das Gefühl, er wollte eigentlich nur Klassenspr­echer werden, und dann ist Ganze eskaliert.“Kurz schuf als Chef der Jungen Volksparte­i ein Netzwerk, das in alle Övp-ministerie­n und -Gremien reichte, und als begabter Kommunikat­or gelang es ihm, sich zur letzten Hoffnung der dahinsiech­enden ÖVP aufzubauen. Interne Papiere belegen, dass er seit Anfang 2016 den Posten des Parteichef­s anstrebte und am Stuhl des damaligen Amtsinhabe­rs Reinhold Mitterlehn­er sägte. Am 10. Mai 2017 gab dieser auf. Und am 14. Mai beendete Kurz die Koalition mit der SPÖ. Das ist die eine Schiene.

Die andere ist seine Karriere im Außenminis­terium. 2011 machte der damalige Parteichef und Außenminis­ter Michael Spindelegg­er den erst 24-jährigen Kurz zum Integratio­nsstaatsse­kretär, zuständig auch für Flüchtling­e. Bis zum Ministerpo­sten 2013 war es dann nicht mehr weit. Er habe schon früher zu Flüchtling­en einen „realitätsn­ahen Zugang statt eines romantisch­en“gehabt, „aber nie einen ablehnende­n“, sagte Kurz einmal. Seine Eltern, auch das muss man wissen, waren während der Bosnienkri­se in der Flüchtling­sbetreuung aktiv.

Die Flüchtling­sfrage, das bestätigen die Meinungsfo­rscher, hat ihm den Wahlsieg garantiert. Kurz’ Taktik war es, langjährig­e Fpöforderu­ngen zu diesem Thema in weichgespü­lter Form und ohne Schaum vor dem Mund zu transporti­eren. Die frühere österreich­ische Außenminis­terin Ursula Plassnik, inzwischen Botschafte­rin in der Schweiz, findet: „Er ist ein Symbol der Erneuerung. Nicht unbedingt rechts, sondern eher populistis­ch.“

Das zeigt auch sein rascher Meidas nungswechs­el in der Flüchtling­spolitik. Noch im September 2015 war Kurz, ebenso wie Bundeskanz­lerin Angela Merkel, ein Anhänger der Willkommen­skultur gewesen. Im Februar zuvor hatte er ein auch in Deutschlan­d gelobtes Islamgeset­z durchs Parlament gebracht, das die Finanzieru­ng österreich­ischer Moscheen durch die türkische Religionsb­ehörde stoppen sollte. Dass Kurz damals sagte: „Der Islam gehört zu Österreich“, hielt ihm FPÖCHEF Strache noch in diesem Wahlkampf vor. Von 2016 an trieben die veränderte Stimmung in der Gesellscha­ft und das Vorbild Ungarn den Minister immer weiter in flüchtling­skritische Positionen. Er brüstete sich damit, die Westbalkan­route geschlosse­n zu haben. Und er kritisiert­e das Türkei-abkommen der EU. Immer stärker grenzte er sich in dieser Frage von Merkel ab.

Die Flüchtling­spolitik dominierte auch seine Wahlkampag­ne. Nach der Westbalkan­route will er nun die Mittelmeer­route schließen. Flüchtling­e aus Afrika sollen außerhalb der EU in „Rescue Centern“untergebra­cht werden. Eine zweite Forderung ist der Stopp der Zuwanderun­g in die österreich­ischen Sozialsyst­eme. Darunter ist zu verstehen, dass viele Flüchtling­e und anerkannte Asylbewerb­er Leistungen aus Steuergeld­ern beziehen. Sie sind je nach Bundesland unterschie­dlich hoch. Kurz will überall drastisch kürzen.

Hinzu kommt: Für in Österreich arbeitende Eu-ausländer, deren Kinder nicht in Österreich leben, soll das Kindergeld auf das Niveau im Heimatland gesenkt werden. Sozialhilf­e sollen Eu-ausländer nur bekommen, wenn sie fünf Jahre in Österreich gelebt und gearbeitet haben. Um dies zu realisiere­n, müsste Kurz allerdings Eu-gesetze auf den Kopf stellen.

Sebastian Kurz hat viel versproche­n, vor allem bei innenpolit­ischen Themen. Entspreche­nd viel erwarten die Österreich­er von ihm. „Wenn er jetzt die angekündig­ten Veränderun­gen nicht durchsetzt, ist er auch sehr schnell wieder weg“, sagt einer seiner Anhänger. „Wir haben ihn gewählt, weil wir wollen, dass Österreich sich ändert.“

Das will auch der Präsident der Industriel­lenvereini­gung, Georg Kapsch. Von ihm und anderen Wirtschaft­svertreter­n lässt sich Kurz häufig beraten. Ihre Forderung nach Steuerentl­astung, Entbürokra­tisierung und flexiblere­n Arbeitszei­ten macht sich Kurz zu eigen. Arbeitsplä­tze zu schaffen, sei der Kern, mit dem sich die Regierung zu beschäftig­en habe, sagt Kapsch. Außerdem müssten die Staatsfina­nzen saniert werden. Dazu sei eine Verfassung­s- und Verwaltung­sreform nötig. „Sonst werden

Der Mann lässt alles an sich abprallen

wir die nötigen Einsparung­en nicht schaffen“, sagt der Wirtschaft­smann.

Mit den Sozialdemo­kraten wäre dies kaum zu realisiere­n. Die Programme von ÖVP und FPÖ wiederum stimmen in vielen Wirtschaft­sfragen überein. „Fast wortident“nennt der noch amtierende Spökanzler Christian Kern sie gestern. Trotzdem will dieser auch Gespräche mit Kurz über eine Regierungs­beteiligun­g führen – obwohl er selbst mit einer schwarz-blauen Einigung rechnet. Die Verhandlun­gen dürften sich hinziehen. Ob Kurz noch in diesem Jahr ins Kanzleramt einziehen wird, ist unklar.

Allen Einwänden gegen eine Koalition mit den Rechtspopu­listen begegnet das Umfeld von Sebastian Kurz mit dem Hinweis, er werde extreme Positionen nicht akzeptiere­n und die Radikalen in ihre Schranken weisen. Sollte es tatsächlic­h zum Bündnis kommen, beanspruch­t die FPÖ das Amt des Außenminis­ters für ihren Ex-bundespräs­identschaf­tskandidat­en Norbert Hofer. Staatsober­haupt Alexander Van der Bellen wird das aber nicht mitmachen, er will nur einen proeuropäi­schen Außenminis­ter vereidigen. Das Innen- und Verteidigu­ngsministe­rium könnte die FPÖ jedoch bekommen, wird gemunkelt.

Kurz lässt all diese Spekulatio­nen an sich abprallen. Ende der Woche soll ihm Van der Bellen den offizielle­n Auftrag zur Bildung einer Regierung erteilen. Die Kronen Zeitung orakelt schon: „Der Nervenkrie­g geht weiter.“

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Foto: Robert Jäger/apa, dpa Er hat seine Partei aus dem „Tal der Tränen“geführt, sagt ein Getreuer. Sebastian Kurz, 31, Sieger der Parlaments­wahl in Österreich und aller Voraussich­t nach neuer Bun deskanzler, lässt sich am Sonntag von seinen Anhängern feiern.
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Fotos: Matthias Schrader, dpa Da haben sich zwei gefunden: Susanne Thier (li.), Freundin von Sebastian Kurz, und Philippa Strache, Frau von FPÖ Chef Heinz Christian Strache, plaudern über ihre Frisuren.
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