Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Union streitet über Merkels Kurs

Hintergrun­d Nach der Pleite bei der Landtagswa­hl in Niedersach­sen sprechen manche von einem Kanzlerinn­en-malus. Andere in der CDU warnen vor einem Rechtsruck. Auch die Parteichef­in kritisiert selten deutlich ihre Widersache­r

- VON MARTIN FERBER

Berlin Jens Spahn weiß nun ganz genau, wie Wahlen gewonnen werden. Vor Ort informiert­e sich der ehrgeizige Finanz-staatssekr­etär, der in der CDU längst für höhere Aufgaben gehandelt wird, am Sonntag über die Rezepte eines erfolgreic­hen Wahlkampfe­s. Allerdings nicht in Hannover, wo die CDU bei ihrem Versuch scheiterte, stärkste politische Kraft in Niedersach­sen zu werden. Sondern in Wien – bei der Schwesterp­artei ÖVP und deren Erfolgsgar­anten Sebastian Kurz. Mit Folgen: Am Montag wird Spahn nicht müde, vor und hinter den Kulissen über Kurz zu schwärmen, der es geschafft habe, mit einem klaren konservati­ven Profil die ÖVP zur stärksten politische­n Kraft zu machen. Davon könne und müsse sich die CDU einiges abschauen.

Auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel blickt nach Österreich. Schon am Sonntagabe­nd hat sie mit dem Wahlsieger telefonier­t, am Montag lobt sie ausdrückli­ch die Kampagne des künftigen Regierungs­chefs. Er habe einen modernen Wahlkampf geführt und „sehr energisch“seine Partei umgekrempe­lt, sagt sie, zieht aber völlig andere Schlüsse als Spahn und andere in der Union, die nun ein klares konservati­ves Profil fordern: Deutschlan­d sei nicht Österreich, die Herausford­e- durch die AFD sei „überschaub­ar“im Vergleich zu der durch die FPÖ in Österreich, und im Übrigen habe man die Probleme nicht schon gelöst, „wenn man es so macht wie in Österreich“. Vieles in der Flüchtling­spolitik sei zwischen ihr und Kurz nicht umstritten, „die Differenze­n sind eher rhetorisch­er Natur“, sagt Merkel diplomatis­ch.

Spahn und Merkel stehen am Montag für die unterschie­dlichen Schlüsse, welche die Union aus dem Ergebnis der Niedersach­sen- und der Österreich-wahl zieht. Das Rumoren in der Partei ist unüberhörb­ar, immer lauter wird die Kritik am Kurs der Kanzlerin. „Das unbeirrbar­e Weiter-so der CDU irritierte die konservati­ve Wählerscha­ft, während eher links orientiert­e Wäh- ler in Niedersach­sen sich für das Original entschiede­n haben“, sagt der bisherige stellvertr­etende Unionsfrak­tionschef Georg Nüsslein im Gespräch mit unserer Zeitung. „Das muss Generalsek­retär Tauber und andere, die immer über die Erneuerung der CDU in der sogenannte­n Mitte fabulieren, zum Nachdenken bringen.“

Andere in der Union werden hinter vorgehalte­ner Hand noch deutlicher. In der deutlich geschrumpf­ten Fraktion gärt es, viele werfen Merkel vor, sich der Realität zu verweigern, die Klatsche bei der Bundestags­wahl schönzured­en und keine Konsequenz­en daraus ziehen zu wollen. Das habe der Wähler in Niedersach­sen abgestraft. Manche sprechen gar von einem „Merkelrung Malus“. Das aber wollen weder die Cdu-chefin noch ihre Getreuen auf sich sitzen lassen.

In absoluten Zahlen habe die CDU im Vergleich zur letzten Wahl in Niedersach­sen 2013 nur 119 Stimmen verloren, die Zufriedenh­eit der Wähler mit der rot-grünen Landesregi­erung sei hoch gewesen. Ein Rechtsruck sei „schlicht das falsche Signal“, sagt der neue Ministerpr­äsident von Schleswig-holstein, Daniel Günther. Diese Forderung höre sich gut an, „aber was heißt das für die faktische Politik?“, fragt er, um gleich seine Antwort zu geben: „Die Menschen wollen Probleme gelöst haben.“

So sieht es auch Angela Merkel. Ihren Kritikern wirft sie vor, in der Öffentlich­keit schlecht über den Eu-türkei-deal zu reden, obwohl dieser einen „Wendepunkt“in der Flüchtling­spolitik darstelle. „Das hemmt uns, das hat uns gehemmt, das müssen wir aufarbeite­n.“Aus diesem Grund gehe sie aber nicht geschwächt in die am morgigen

Hinter den Kulissen wird von ÖVP Chef Kurz geschwärmt

Mittwoch beginnende­n Sondierung­en mit den Grünen und der FDP, sagt Merkel. „In diese Sondierung­sgespräche gehe ich sehr selbstbewu­sst mit meinen Freunden von CDU und CSU.“Man werde „fair“verhandeln, allerdings durchaus in dem Selbstvers­tändnis, die stärkste politische Kraft in diesem Lande zu sein. Sie halte nichts davon, schon im Vorfeld mit „irgendwelc­hen roten Linien“die Gespräche zu erschweren.

Liberale und Grüne halten sich am Montag auffällig zurück. Dass ausgerechn­et die drei Parteien der Jamaika-koalition in Niedersach­sen Stimmen eingebüßt haben, habe ausschließ­lich landespoli­tische Gründe, heißt es in beiden Parteien. Für die Bundesvors­itzende der Grünen, Simone Peter, werden die kommenden Gespräche mit Union und FDP durch die Niedersach­senwahl nicht einfacher. CDU und CSU hätten „keine klare Linie“.

 ?? Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa ?? Kanzlerin Angela Merkel mit CDU Spitzenkan­didat Bernd Althusmann: Das Rumoren in der Partei ist unüberhörb­ar.
Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa Kanzlerin Angela Merkel mit CDU Spitzenkan­didat Bernd Althusmann: Das Rumoren in der Partei ist unüberhörb­ar.

Newspapers in German

Newspapers from Germany