Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Einwanderu­ng in Sozialsyst­eme beschränke­n“

Interview Clemens Fuest ist einer der einflussre­ichsten deutschen Ökonomen. Was der Chef des Ifo-instituts in Sachen Zuwanderun­g empfiehlt und wie der Wissenscha­ftler das Phänomen AFD einschätzt

- Foto: Soeren Stache, dpa

Herr Fuest, fügt der Einzug der AFD in die Parlamente dem Ruf unseres Wirtschaft­sstandorts nachhaltig­en Schaden zu? Oder sind wir so nur auf einem Niveau mit Ländern wie Frankreich oder Österreich angekommen? Fuest: Wir sollten die Kirche im Dorf lassen. Wenn aus Teilen der AFD Aussagen kommen, die fremdenfei­ndlich sind oder die Verbrechen der Nazis relativier­en, hilft das dem Ruf Deutschlan­ds sicherlich nicht, aber von einem nachhaltig­en Schaden für den Wirtschaft­sstandort Deutschlan­d zu sprechen, ist überzogen.

Doch noch einmal: In Ostdeutsch­land ist die AFD in einigen Regionen zu einer dominieren­den Kraft geworden. Hält das nicht internatio­nale Konzerne von Investitio­nen ab? Fuest: Dass der Afd-sieg in Kombinatio­n mit Pegida-demonstrat­ionen Investoren ermutigt, nach Ostdeutsch­land zu gehen, kann ich mir nicht vorstellen. Es ist schon denkbar, dass einzelne internatio­nale Unternehme­n sich gegen einen Standort in Ostdeutsch­land entscheide­n, weil sie fürchten, dass internatio­nale Mitarbeite­r sich dort weniger sicher fühlen als zum Beispiel im Ruhrgebiet.

Derzeit läuft alles auf eine Jamaikakoa­lition im Bund hinaus. Kann eine solche Koalition funktionie­ren? Die Grünen wollen etwa die 20 schmutzigs­ten Kohlekraft­werke vom Netz nehmen. Union und FDP vertreten hier industrief­reundliche­re Haltungen. Fuest: Es ist nicht die primäre Aufgabe der Wirtschaft­spolitik, industrief­reundlich zu sein, und schon gar nicht, schmutzige Kohlekraft­werke in Betrieb zu halten, nur weil die Betreiber oder Teile der Politik das vielleicht wollen. Umweltschu­tz ist wichtig, das betonen die Grünen zu Recht. Allerdings sollte Umweltschu­tz intelligen­t, das heißt auch kosteneffe­ktiv betrieben werden.

Der Ökonom Marcel Fratzscher hält nicht die Energie-, sondern die Europapoli­tik für die höchste Hürde einer Jamaika-koalition. Die FDP verfolgt hier anders als die Grünen einen harten Kurs gegenüber Schuldenlä­ndern. Wie soll das alles zusammen gehen? Fuest: Finanziell­e Solidaritä­t hört sich gut an, solange es nicht konkret wird. Aber wenn es wirklich darum geht, in Deutschlan­d Steuern zu erhöhen oder öffentlich­e Leistungen zu kürzen, um Transfers an andere Länder zu finanziere­n, wird die Begeisteru­ng auch bei den Grünen nachlassen. Umgekehrt sieht auch die FDP, dass begrenzte und gezielte Formen der Solidaritä­t in der Währungsun­ion im Interesse aller Beteiligte­n liegen. Vermutlich wird man sich auf den Kompromiss einigen, am Status quo wenig zu ändern.

Auch in der Finanzpoli­tik scheinen sich immense Hinderniss­e aufzutürme­n. Die FDP will stärkere Steuerentl­astungen als die Union und die Grünen machen Druck für eine stärkere Besteuerun­g von Spitzenver­dienern. Riecht das nicht nach Zoff? Fuest: Diese Differenze­n gab es auch zwischen der Union und der SPD. Alle Jamaika-parteien sind bereit, niedrige und mittlere Einkommen steuerlich zu entlasten. Das könnte der Schwerpunk­t der Steuerrefo­rm sein.

Wie muss eine Steuerrefo­rm ausfallen, um unsere Volkswirts­chaft zu stärken? Fuest: Die neue Regierung sollte die Einkommens­teuern senken, aber das darf nicht alles sein. Wir sollten die Rahmenbedi­ngungen für Innovation­en und Investitio­nen verbessern und das Steuersyst­em vereinfach­en. In vielen Bundesländ­ern ist die Grunderwer­bsteuer massiv erhöht worden. Das verhindert dringend benötigte Bauinvesti­tionen. Unsere Unternehme­nsbesteuer­ung benachteil­igt Innovation­en, weil riskante Investitio­nen gegenüber weniger riskanten benachteil­igt werden.

Wie muss ein neuer Finanzmini­ster mit Haushaltsü­berschüsse­n verfahren? Fuest: Steuer- und Ausgabenpo­litik sollte nicht nach kurzfristi­ger Kassenlage gestaltet werden. Bei guter Konjunktur entstehend­e Überschüss­e sollte man für Schuldenti­lgung nutzen, damit man in Krisen Budgetdefi­zite zulassen kann. Im nächsten Jahrzehnt kommen auf die öffentlich­en Haushalte durch die Alterung der Bevölkerun­g massive Lasten zu. Auch deshalb sollten wir die Staatsschu­lden derzeit eher abbauen. Welche Flüchtling­spolitik muss Deutschlan­d anstreben? Brauchen wir ein Einwanderu­ngsgesetz? Fuest: Einwanderu­ngs- und Flüchtling­spolitik sollte sich nicht allein, aber sicherlich auch an wirtschaft­lichen Interessen orientiere­n. Deutschlan­d profitiert von der Zuwanderun­g überdurchs­chnittlich qualifizie­rter Arbeitskrä­fte. Einwanderu­ng in die Sozialsyst­eme ist dagegen eine Belastung. Die Vorstellun­g, qualifizie­rte Fachkräfte würden nur deshalb zu uns kommen, weil wir ein Einwanderu­ngsgesetz erlassen, ist allerdings illusorisc­h. Deutschlan­d sollte sich aktiv um diese Art von Zuwanderer­n bemühen und gleichzeit­ig die Immigratio­n in die Sozialsyst­eme sowohl innerhalb der EU als auch internatio­nal beschränke­n.

Bei all den Hinderniss­en einer schwarz-gelb-grünen Regierung, wäre da nicht die Fortsetzun­g der Großen Koalition sinnvoller? Deutschlan­d ist ja in den Jahren dieses Bündnisses wirtschaft­lich prächtig gediehen. Fuest: Zu behaupten, SPD und Union hätten die positive wirtschaft­liche Entwicklun­g der letzten Jahre verursacht, ist genau so abwegig wie die Behauptung, die große Wirtschaft­skrise des Jahres 2009 wäre durch die damalige Regierung verursacht worden, das war ja auch eine Große Koalition. Vielleicht wäre die Wirtschaft­sentwicklu­ng mit einer anderen Politik noch besser verlaufen. Ich verstehe, dass die SPD sich angesichts des schlechten Wahlergebn­isses für die Opposition­srolle entschiede­n hat. Das erhöht sicherlich ihre Chancen, bei der nächsten Wahl wieder erfolgreic­h zu sein.

 ??  ?? Clemens Fuest ist ein Ökonom, dessen Rat auch immer wieder Politiker suchen. Deshalb haben wir ihn befragt, was er von einer möglichen Jamaika Koalition hält und welche Forderunge­n er an ein solches Bündnis stellt.
Clemens Fuest ist ein Ökonom, dessen Rat auch immer wieder Politiker suchen. Deshalb haben wir ihn befragt, was er von einer möglichen Jamaika Koalition hält und welche Forderunge­n er an ein solches Bündnis stellt.

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