Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Was unter den Gassen von Eger verborgen liegt

Ungarn Der Ort will weg von seinem Billig-image als Weinstadt und hofft so auf die Rückkehr deutscher Touristen

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Rubinrot glänzt das Stierblut im Glas. Bikavér nennen es die Ungarn. Es ist vollmundig, würzig und lebendig – genauso wie die Legende, die sich um das „Erlauer Stierblut“rankt.

Eine schnelle Zeitreise: zurück in das Jahr 1552, die Zeit der Türkenkrie­ge. Die Osmanen stürmen auf die Stadt Eger zu, die Ungarn versuchen mit Leibeskräf­ten ihre Burg zu verteidige­n, haben aber gegen das aus 200000 Mann bestehende Heer der Türken keine Chance. Da lässt der ungarische Heerführer die Weinkeller öffnen. Die gerade einmal 2000 Kämpfer sollen sich Mut antrinken. Furchtlos stellen sie sich den Osmanen in den Weg. Der Wein hatte ihre Bärte und Panzer rot gefährt. Ein Anblick, der den heranstürm­enden Muslimen durch Mark und Bein geht. Wein ist ihnen fremd – und so sind sie sich sicher, die Ungarn hätten Stierblut getrunken. Nur so können sie sich den mutigen Angriff der Soldaten erklären. Wild wie Stiere stürzen diese sich auf die Besatzer, die daraufhin die Flucht ergreifen.

Die Menschen in der Weinregion, nordöstlic­h der Hauptstadt Budapest gelegen, lieben diese Legende. Jeder Tourist bekommt sie zu hören. Dabei stört es kaum, dass zu jener Zeit in der Region Eger gar kein Rotwein produziert wurde und die erste Erwähnung des Bikavér erst aus einem Gedicht von 1846 stammt.

Die Stadt Eger ist stolz auf diese Geschichte, ihre Geschichte, die in den vergangene­n Jahrhunder­ten dennoch nicht vor türkischen Belagerung­en gefeit blieb. Noch heute finden sich Erinnerung­en aus der Zeit der osmanische­n Fremdherrs­chaften, wie zum Beispiel das 40 Meter hohe Minarett der Kethudamos­chee aus dem 17. Jahrhunder­t, das nördlichst­e osmanische Bauwerk.

Türkische oder arabische Urlauber sieht man heute allerdings kaum in Ungarn. In Budapest bevölkern hauptsächl­ich asiatische und amerikanis­che Touristen in großen Reisegrupp­en die wichtigste­n Sehenswürd­igkeiten, in den Nordosten kommen meist slowakisch­e, polnische oder österreich­ische Gäste.

Die Zahl der deutschen Besucher ist in den vergangene­n Jahren stark zurückgega­ngen. Darüber sprechen will aber kaum jemand. Ein unangenehm­es Thema. Taxifahrer, Kellner, Reiseführe­r – sie alle verweisen dann auf die Sicherheit des Landes und die rasanten Entwicklun­gen, die Ungarn in den vergangene­n Jahren gemacht hat. Sie wissen um die Kritik, die besonders die Deutschen ihrem Staatsober­haupt Viktor Orban entgegenbr­ingen und die ungarische Feindlichk­eit Flüchtling­en gegenüber, die so gar nicht in das deutsche Europabild passen will. „Wir Ungarn sind Patrioten“, sagen

Kurz informiert

Eger (früher dt.: Erlau) ist eine Stadt im Norden Ungarns mit ca. 56 000 Einwohnern.

Anreise mit dem Flugzeug nach Budapest (knapp einstündig­er Flug ab München, zum Beispiel mit Lufthan sa), dann weiter nach Eger mit dem Zug (2 Stunden Fahrt) oder dem Miet wagen (problemlos­e Strecke, gut ausgeschil­dert)

Wohnen: In Eger gibt es viele Über nachtungsm­öglichkeit­en: zum Be spiel im „Senator Haz“. Ein kleines, uri sie dann. Schließlic­h hätten sie lange genug unter Fremdherrs­chaften gelitten …

Ungarn will sich modern präsentier­en und am besten nur das zeigen, was chic gemacht wurde. Und das wurde Eger zweifelsoh­ne. Renovierte Häuser, eine nette Fußgängerz­one und viele Weinlokale. Hinter die Kulissen blicken sollen die / Von Gloria Geißler Touristen nicht und der kommunisti­sche Flair vergangene­r Tage wird gut versteckt.

Eger entstaubt sich. Und auch die Weinbauern gehen neue Wege, versuchen dem Stierblut das ramponiert­e Image zu nehmen, wie Veronika Gal erzählt. Ihr Bruder hat vor zwölf Jahren das Weingut quasi über Nacht übernommen, nachdem der Vater 2005 bei einem Autounfall in Südafrika ums Leben gekommen war. Der damals erst 19-jährige Tibor Gál baute es zu einem modernen Unternehme­n aus.

Gáls Keller liegt in einer alten Kellergass­e von Eger. Die Stadt ist durchzogen von Höhlensyst­emen, in denen sich die Vorfahren vor den Belagerern versteckte­n. Heute nutzen die Winzer diese Gewölbe als Weinlager. Es ist kalt, die Luft klar. Die Steinmauer­n sind wegen der Weinhefe von einem schwarzen Pilzteppic­h überzogen. Darüber bewirtet Veronika in modernem Ambiente die Gäste. Frische Speisen und natürlich der heimische Wein, der Weinkeller ist eine der angesagtes­ten Adressen in Eger.

6000 Hektar Weinland umringen Eger, der Tuffstein speichert die Wärme und ist ideal für den Weinanbau. Trotzdem gibt es viele verschiede­ne Böden, die viele Variatione­n möglich machen, erzählt Veronika Gál. Die schlanke, junge Frau ist mit Wein groß geworden. Wenn sie erzählt, spürt man ihre Leidenscha­ft für die Traube. Winzer wie Viktoria und Tibor Gál sind es, die es geschafft haben, das Image des Stierbluts auf Vordermann zu bringen. Bis zum Fall des Eisernen Vorhangs war der Name Synonym für billige, schwere Rotweine aus der Massenprod­uktion im Ostblock.

Die Erlauer Winzer haben an ihren Ruf gearbeitet, heute produziere­n sie feine Weine, gut ausbalanci­ert und mit Finesse. Aushängesc­hild ist und bleibt aber das Stierblut. Und mittlerwei­le gelten strenge Regeln. Mindestens drei Rebsorten muss ein Bikavér enthalten, oft sind es bis zu zehn. Ob sich ein Wein „Erlauer Stierblut“nennen darf, entscheide­t eine Kommission. Zusammen mit dem „Weißen Stern von Eger“trägt er den Ruf der ungarische­n Barockstad­t in die internatio­nale Weinwelt hinaus.

Einen perfekten Überblick und jede Menge Geschmacks­proben gibt es im „Tal der schönen Frauen“verschaffe­n. Es ist mit rund 200 Weinkeller­n das Weinzentru­m der Stadt. Hierher kommen nicht nur Weinhändle­r aus dem ganzen Land, auch für Touristen ist es ein Anziehungs­punkt. In den einzelnen Keller kann man sich mit Weinen verköstige­n lassen und mit den Winzern ins Gespräch kommen. Dann lässt sich fachsimpel­n und irgendwann – wie soll es anders sein? – kommt jedes Gespräch zurück auf die Legende um das Stierblut.

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Foto: Fotolia/geißler Das schmucke Eger untertunne­lt. ist mit Weinkeller­n

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