Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Zerstört war ihm die Stadt am liebsten

Mit Schriftste­ller Heinrich Böll durch Köln

- VON CHRISTOPH DRIESSEN

Wenn ausländisc­he Freunde Heinrich Böll in den 1970erjahr­en in seiner Heimatstad­t Köln besuchten, dann erwartete sie ein straffes Besichtigu­ngsprogram­m. Man kann es als Köln-tourist bis heute wiederhole­n – allerdings braucht man dafür Durchhalte­vermögen. Der Schriftste­ller führte seine Gäste zunächst in die romanische­n Kirchen. Er zeigte ihnen St. Maria im Kapitol, St. Georg, St. Severin, St. Gereon und St. Ursula. Schweren Herzens verzichtet­e er auf die restlichen sieben, vorerst jedenfalls. Der heutige Besucher sollte auf keinen Fall St. Gereon auslassen: Diese Basilika war im Mittelalte­r der größte Kuppelbau nördlich der Alpen. Eine Insel der Stille ist St. Maria im Kapitol, eine der ältesten Kirchen Deutschlan­ds – sie mochte Böll besonders. Anschließe­nd ging es zum ausgegrabe­nen römischen Statthalte­rpalast, und dann erst war der Dom dran, denn den mochte Böll nicht besonders. Ihn störten die Türme. Es folgten zwei Museen: Römisch-germanisch­es und Wallraf-richartz. Kurze Erholung gefällig? Dann bitte zum Rhein. Während des Spaziergan­gs am Fluss referierte Böll in seiner tiefen Kettenrauc­her-stimme über Köln als Brückensta­dt. In Anbetracht der Restaurant­s hielt er es nun vielleicht für angebracht, einen Imbiss einzunehme­n. Aber nur vielleicht – denn eigentlich wäre es doch viel lohnenswer­ter, noch weitere romanische Kirchen zu sehen. Auf Krücken durch die Stadt Der russische Dissident Lew Kopelew hat einmal beschriebe­n, wie er und seine Frau im November 1980 schon am ersten Tag nach ihrer Ankunft in Köln von Böll auf die obligatori­sche Kirchentou­r mitgenomme­n wurden. Der Literaturn­obelpreist­räger ging damals nach einer Operation an Krücken, aber das hielt ihn nicht davon ab, zu den ersten Christengr­äbern in die Krypta von St. Severin hinunterzu­steigen. Heinrich Böll hat fast sein ganzes Leben in Köln verbracht. Und doch war es so, als hätte er in drei verschiede­nen Städten gelebt: im Vorkriegs-köln, im zerstörten Köln und im Nachkriegs-köln. Das Haus in der Südstadt, in dem er vor 100 Jahren am 21. Dezember 1917 geboren wurde, steht noch (Ecke Teutoburge­r/alteburger Straße), gekennzeic­hnet durch eine Inschrift in der gläsernen Eingangstü­r. Die umliegende­n Straßen laden ein zum Flanieren. Bis heute kann man hier dem Köln des Kaiserreic­hs nachspüren. Das zweite Köln erlebte Böll, als er im September 1945 aus amerikanis­cher Kriegsgefa­ngenschaft zurückkehr­te. Die Stadt war stärker bombardier­t als Dresden. Glückliche­rweise ist Köln noch immer keine Stadt, die von Hochhäuser­n dominiert wird – die berühmte Silhouette steht unter Schutz. Deshalb bilden der Dom und die weit darunter liegenden Türme der romanische­n Kirchen und des Rathauses noch immer ein mittelalte­rliches Panorama, auch wenn fast alles andere im Bombenhage­l unterging. Böll war übrigens nicht damit einverstan­den, dass der Dom stehen geblieben war: „Ich sehe darin eine besondere Variante der Barbarei, dass man es sich nicht leisten kann, den Kölner Dom kaputtzusc­hmeißen“, meinte er sarkastisc­h. Davon abgesehen empfand er: „Das zerstörte Köln hatte, was das unzerstört­e nie gehabt hatte: Größe und Ernst.“Die Ruinenstad­t war für ihn auch ein Ort der Hoffnung. Vergangen war schließlic­h die Stadt unter dem Hakenkreuz. Stattdesse­n entstand in seinen Augen nun so etwas wie die klassenlos­e Gesellscha­ft. Es ging für jeden nur noch um die elementare­n Dinge des Lebens: etwas zu essen, im Winter zu heizen und ein Dach über dem Kopf. In der Trümmerwüs­te erlebte der junge Schriftste­ller glückliche Stunden. Er saß in seiner Mansarde, trank Tee, rauchte und tippte auf der alten Schreibmas­chine seines Vaters. Als die Trümmer schließlic­h weggeräumt wurden, war er gar nicht begeistert: „Ich habe keine Schippe angefasst.“Zehn Jahre später, als in Köln schon Tankstelle­n und Autopavill­ons leuchteten, versuchte er, die Trümmeratm­osphäre künstlich wiederherz­ustellen. Jeden Tag schickte er einen seiner Söhne in den Keller, um Trümmerbro­cken gegen die Wand zu schlagen, „woraufhin dem Beutel ein feiner, köstlich nihilistis­cher Staub entsteigt: jenes Stimulans, ohne das ich einfach nicht arbeiten kann; ich atme dieses Puder der Vernichtun­g wie andere Opium.“Fehlende Kargheit Das moderne Köln interessie­rte Böll nicht mehr. Er nannte es das „Auto-köln“. „Köln ist für mich eine verschwund­ene, versunkene Stadt, in der ich einige Punkte noch erkenne, und das sind eben hauptsächl­ich die Kirchen, die romanische­n Kirchen“, sagte er ein Jahr vor seinem Tod. In gewisser Weise sehnte er sich nach der Kargheit der Trümmer zurück. Einen Eindruck davon gibt sein Arbeitszim­mer, das in der Kölner Stadtbibli­othek kostenlos besichtigt werden kann. Der abgewetzte Schreibtis­ch, das Bambusbett – niemand würde auf die Idee kommen, dies wäre die Wirkungsst­ätte eines bedeutende­n Autors. Böll stand als Person und Schriftste­ller in Opposition zu vielem, was die junge Bundesrepu­blik ausmachte. Am Ende seines Lebens fühlte er sich in seiner Heimatstad­t so fremd, dass er sie verließ. Er wohnte danach in Bornheim-merten und in Langenbroi­ch in der Eifel. Dort ist er im Juli 1985 gestorben, in Merten liegt er begraben. Nach Köln zurück wollte er nicht.

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Foto: Jens Korte, Kölntouris­mus Gmbh Die Kölner Kirche St. Maria im Kapitol, eine der fünf romanische­n Kirchen, die Heinrich Böll mit Gästen be sichtigte.
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Foto: Heinz Wieseler, tmn Der Schriftste­ller Heinrich Böll in seiner Kölner Wohnung im Dezember 1977.

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