Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Boxtraining entpuppt sich als Volltreffer
Sport und Integration Weltmeisterin Tina Rupprecht entdeckt bei ihrem Angebot für junge Frauen verborgene Talente
Atefa Rahimi ist 19 Jahre jung, stammt aus Afghanistan, lebt seit zwei Jahren in Augsburg und bereitet sich am Bayernkolleg auf ihr Abitur vor. Früher, in ihrer Heimat, hat Atefa mit großer Begeisterung Karate betrieben. Das sieht man, wenn sie mit kraftvollen Schlägen auf den Sandsack eindrischt. Auch ihre Trainingspartnerin, die 18-jährige Rumänin Mihaela Caruta, hat bereits jede Menge Erfahrung im Kampfsport. Im Taekwondo etwa oder im Muay Thai, einer rauen Vollkontaktsportart aus Thailand.
Nun treffen die beiden jungen Frauen aus zwei völlig unterschiedlichen Kulturen beim Boxen aufeinander und trainieren gemeinsam. Beide eint ihr Ehrgeiz und ihre körperliche Fitness. Dabei ist das die erste Schnupperstunde, die die Augsburger Profiboxerin Tina Rupprecht und Wolfgang Taubert vom Freiwilligenzentrum Augsburg im Rahmen des Projekts „Sport und Integration“anbieten. In Rupprechts Trainingsstätte, im Boxclub Haan in Lechhausen, haben sich zum Auftakt neun junge Frauen aus verschiedenen Herkunftsländern eingefunden – aus dem Irak, Pakistan oder Afghanistan. Das Angebot richte sich im Speziellen an Mädchen aus Flüchtlings- und Migrationsfamilien, aber natürlich auch an deutsche Mädchen, betont Wolfgang Taubert. Nach den Schnuppertagen können die Teilnehmerinnen entscheiden, ob sie mit dem Sport weitermachen wollen. Wenn ja, biete das Freiwilligenzentrum über das Amt für soziale Leistungen oder den Fördertopf „Kleine Hilfen“Unterstützung bei der Finanzierung, der Antragstellung und der Organisation an.
Ein Fernsehbeitrag im „Weltspiegel“ über indische Frauen, die verstärkt Boxen oder andere Kampfsportarten erlernen wollen, um sich der Übergriffe von Männern zu erwehren, habe bei ihm die Idee reifen lassen, auch in Augsburg „Boxen für Mädchen“anzubieten, erzählt Taubert. In Tina Rupprecht fand er schnell die perfekte Kooperationspartnerin. Seit 2013 ist die heute 25-Jährige Profi-boxerin. 2016 holte sie ihren ersten Wm-titel und zuletzt im Mai 2017 den Titel der IBO Minimumweight Intercontinental Championships. „Das Boxen ist eine vielfältige Disziplin, es fordert einen körperlich und psychisch“, beschreibt Tina Rupprecht ihre Sportart und freut sich, dass die jungen Frauen ihr Schnupperangebot angenommen haben. „Aber natürlich fangen wir bei null an, wir haben da keine besonderen Erwartungen“, will Rupprecht niemanden überfordern. Zum Start absolviert die zierliche Gürtelträgerin der Boxverbände WBC und IBO gemeinsam mit den Teilnehmerinnen ein leichtes Aufwärmprogramm. Danach gibt sie eine Einführung in die Schlagtechniken. Rupprecht erklärt Begriffe wie Schlaghand, Führhand, Deckung, Beinarbeit. Da alle Mädchen bereits gutes Deutsch sprechen, macht die Verständigung kaum Probleme. Schnell fliegen die Fäuste. Erst mit 500 Gramm-hanteln, dann mit Boxhandschuhen.
Immer zu zweit geht es schließlich an die Sandsäcke, an denen die gelernten Schlagkombinationen ausprobiert werden. Atefa und Mihaela zeigen auch nach knapp einer Stunde keine Anzeichen von Müdigkeit. „Ich mag das sehr. Ich mache sehr gern Sport“, sagt die junge Afghanerin. Ihre Begeisterung entgeht auch Tina Rupprecht nicht. „Es sind wirklich ein paar Supertalente dabei“, lobt sie, als zum Abschluss der Übungseinheit alle eine erste Trainingsbilanz ziehen. Fast alle jungen Frauen wollen zur zweiten Stunde wiederkommen.
Entsprechend zufrieden ist Wolfgang Taubert. Es habe sich gezeigt, dass bei den jungen Frauen aus Flüchtlings- und Migrationsfamilien im Bereich Sport großes Interesse bestehe. So plant er schon Neues: für die Wintermonate etwa Schnupperkurse im Eiskunstlaufen.