Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Wo sind die Kinder von Breslau hin?
Kino In der Stadt lebte einst die drittgrößte jüdische Gemeinde Deutschlands. Karin Kaper hat die Geschichten von 14 Holocaust-überlebenden verfilmt. Nun sind sie in Augsburg zu sehen
Was den Überlebenden des Holocaust wohl durch den Kopf geht, während sie still in die Kamera blicken? Die Anfangssequenz des Dokumentarfilms „Wir sind Juden aus Breslau“zeigt 14 Protagonisten, die den Gedanken nachhängen, die ihnen nach den Gesprächen über ihre Vergangenheit durch den Kopf gehen. Auf eindrucksvolle Weise stellen die Filmemacher Karin Kaper und Dirk Szuszies gleich zu Beginn heraus, was diesen Film ausmacht, der am morgigen Donnerstag in Augsburg gezeigt wird: Er porträtiert die Zeitzeugen als individuelle Persönlichkeiten, statt sie als homogene Opfergruppe darzustellen. Auf einen Kommentar verzichtet der Film vollständig, die Geschichten stehen für sich.
Alle Protagonisten eint, dass sie der Judenverfolgung in Breslau ausgesetzt waren. Sie sind die letzten Zeitzeugen der damals drittgrößten jüdischen Gemeinde Deutschlands – umso wichtiger war es Regisseurin Karin Kaper, die Filmidee schnell in die Tat umzusetzen. Innerhalb eines Jahres reiste sie in die USA, nach England und Israel, um Interviews zu führen und besuchte mit Überlebenden ihre alte Heimat Breslau, das heutige Wroclaw in Polen.
Der nach Israel ausgewanderte Eli Heymann kam mit den Filmemachern erstmals wieder dorthin zurück und sprach zum ersten Mal vor seiner Familie deutsch. „Die sind schier umgekippt“, erinnert sich Kaper. Das Filmprojekt verbindet die Regisseurin mit vielen berührenden Momenten. Eli Heymann hatte vorher noch nie öffentlich über seine Vergangenheit gesprochen, sich nach vielen Gesprächen aber geöffnet und sogar der Reise nach Breslau zusagt.
Karin Kaper will mit ihrem Dokumentarfilm erreichen, dass die der Breslauer Juden nicht in Vergessenheit gerät und schuf deshalb eine Möglichkeit, um die immer weniger werdenden Zeitzeugen zu Wort kommen zu lassen. „Es gibt so viel Unwissen in Polen und in Deutschland“, sagt sie. Immerhin sei Breslau in den 1930er Jahren die viertgrößte deutsche Stadt gewesen und ein bedeutendes Zentrum jüdischer Kultur. Heute erinnert dort zwar eine prächtig restaurierte Synagoge an diese Zeit – Juden gibt es aber kaum noch. Umso wichtiger erscheint deshalb die Begegnung deutscher und polnischer Schüler mit den Zeitzeugen, die ebenfalls im Film thematisiert wird. Die Cellistin Anita Lesker-wallfisch erzählt den Schülern auf eindrückliche Weise von ihrem Fluchtversuch, bei dem sie im Alter der Jugendlichen war.
Immer wieder wird deutlich, wie erschreckend aktuell der Film „Wir sind Juden aus Breslau“ist. Die Zeitzeugen erzählen von der Radikalisierung, die sich innerhalb kürzester Zeit schleichend in der Gesellschaft ausbreitete. Was sich mit Spielverboten unter Schulkindern und Massenaufmärschen bemerkbar machte, endete mit der systematischen Verfolgung der Juden.
„Die Wirklichkeit in Europa ist nicht sehr optimistisch“, sagt einer von ihnen im Film. Bilder von nationalistischen Aufmärschen in Pogeschichte len im Jahr 2015 bestätigen diese Aussage. Doch es geht den Filmemachern nicht darum, Schwarzmalerei zu betreiben. Auch ein „Marsch der gegenseitigen Achtung“, der ebenfalls in Polen im Jahr 2015 stattgefunden hat, findet Beachtung. Auch die Zeitzeugen sprechen über Europa und dessen Bedeutung dafür, dass die Schrecken des Zweiten Weltkrieges sich nicht wiederholen.
Vorführung und Diskussion mit Re gisseurin Karin Kaper am Donnerstag, 19. Oktober, ab 19 Uhr im Liliom Kino; am Sonntag, 22. Oktober, um 12.30 Uhr wird der Film ein weiteres Mal im Liliom Kino gezeigt.