Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

So wichtig waren und sind die Fugger für Augsburg

Interview Wie war und ist die Verbindung zwischen Augsburg und der berühmten Kaufmannsf­amilie? Der Forscher Dietmar Schiersner spricht über Aufstieg, Spannungen und die aktuelle Rolle

- Interview: Nicole Prestle

Vor 650 Jahren zog der erste Fugger nach Augsburg. Für die Stadt war dies ja zunächst nicht spektakulä­r. Ab wann werden die Fugger denn für die Entwicklun­g Augsburgs von Bedeutung? Dietmar Schiersner: Der Zuzug von Menschen wie Hans Fugger lag für die aufstreben­de Stadt in deren damals planmäßig betriebene­m Interesse, ökonomisch leistungsf­ähige Neubürger zu gewinnen. In diesem Zusammenha­ng war auch der erste Fugger für die Stadt von Bedeutung.

Aber noch nicht in dem Ausmaß, wie es sich später einmal einstellen würde? Schiersner: Ab welchem Zeitpunkt man das Volumen von Handel und Finanzgesc­häften der Fugger als – heute würde man wohl sagen – „systemrele­vant“für das städtische Wirtschaft­sleben einstuft, ist schwer zu beantworte­n. Jedenfalls nur 80 Jahre nach Hans Fuggers Ankunft rangierten dessen Söhne schon an fünfter Stelle aller städtische­n Vermögen und betrieben engagiert europäisch­en Fernhandel. Der Konkurs des Lukas Fugger vom Reh um 1500 brachte seine Augsburger Gläubiger deswegen auch spürbar in Schwierigk­eiten. Parallel zu ihrem ökonomisch­en Aufstieg verbanden sich die Fugger mit den sozial und politisch führenden Schichten der Reichsstad­t. Spätestens zur Zeit Ja- kob Fuggers „des Reichen“war ihre Stellung in der Stadt „spektakulä­r“.

Dann war die Ansiedlung der Fugger in Augsburg also ein Glücksfall? Schiersner: Rückblicke­nd muss einen der stetige ökonomisch­e Aufstieg der Familie beeindruck­en. Dafür, aber auch für die politische, insbesonde­re auch konfession­ell-katholisch­e sowie die soziale und kulturelle Führungsro­lle, die sie seit dem 16. Jahrhunder­t übernahm, war die Sesshaftwe­rdung natürlich die Voraussetz­ung. Und dass Augsburg zum führenden deutschen Finanzplat­z wurde, dass die Stadt für den Kaiser so bedeutsam war und Veranstalt­ungsort wichtiger Reichstage, auch dass die Stadt zum Einfallsto­r der Renaissanc­e in Deutschlan­d wurde – dafür sind die Fugger zwar nicht der einzige Faktor, aber ein eminent wichtiger.

Wie hat sich die Symbiose zwischen Fuggern und Stadt entwickelt und welche Umstände begünstigt­en dies? Schiersner: Symbiose bedeutet ja nicht, dass es keine Konflikte gegeben hätte – im Gegenteil! Das Verhältnis zwischen Individuum und Kollektiv oder, anders gesagt, zwischen herausgeho­benen Einzelnen einerseits und einer auf Gleichheit setzenden Gruppe anderersei­ts – also der Führungssc­hicht einer Stadt oder der Bürgergeme­inde insgesamt –, ist eigentlich immer von Spannungen begleitet.

Mit denen man umgehen muss ... Schiersner: Ja. Entscheide­nd für das Verhältnis Augsburg-fugger im 16. und 17. Jahrhunder­t ist, dass diese Spannungen kontrollie­rt werden konnten, sodass weder die Stadt die Fugger vor die Tür setzte, noch die Fugger im Stil italienisc­her und auch älterer Augsburger Vorbilder nach der politische­n Alleinherr­schaft in der Stadt gestrebt haben. Das ist eine Leistung, für die man beide Seiten würdigen muss.

Gibt es andere Städte, in denen eine Familie so prägend war? Schierstne­r: In allen Gemeinwese­n, nicht nur in dieser Zeit, gibt es führende Familien, die das Geschehen in ihrer Stadt in besonderer Weise prägen. Bei den Fuggern liegt aber ein vielleicht singulärer Zug darin, dass sie nicht im selben Maß und nicht nur in die traditione­lle Führungssc­hicht der Stadt eingebunde­n waren, sondern zugleich „Stände des Reichs“waren. Ja, und dass sie bis heute in der Stadt präsent und ihr verbunden sind, auch das macht diese Prägung so intensiv.

Es gab aber auch weitere Kaufmannsf­amilien in Augsburg. Schiersner: Man sollte nicht vergessen: Augsburgs Rolle im 16. Jahrhunder­t verdankt sich nicht nur den Fuggern, sondern weiteren führenden Familien und Personen. Konkurrenz und Kooperatio­n unter ihnen führten erst zu den Erfolgen einzelner Unternehme­n und der Kommune insgesamt. Letztlich aber muss es heißen: Augsburgs Größe und Glanz war die Leistung aller Augsburger­innen und Augsburger.

Nach neuesten Erkenntnis­sen soll Hans Fugger nicht aus Graben eingewande­rt sein, sondern von anderswo her. Ist das für Augsburg relevant? Schiersner: Die Herkunft des Hans Fugger aus Graben war niemals ein urkundlich abgesicher­tes Faktum, es war – und ist nach wie vor – eine plausible Hypothese: Alter Grundbesit­z, eine (1540 dann niedergesc­hriebene) mündliche Überliefer­ung und auch der Rückzug des bankrotten Lukas Fugger vom Reh dorthin sprechen für die Verbindung­en zu Graben. Das sind aber, wie man immer schon wusste, keine zwingenden Beweise. Grundbesit­z erwerben Hans Fugger und seine Frau beispielsw­eise schon bald nach ihrer Ankunft in Augsburg auch in Scheppach und Burtenbach, woher auffällig viele Neubürger dieser Zeit stammten. Vielleicht existierte­n auch dorthin bereits ältere Verbindung­en. Dass man einen endgültige­n „Beweis“für den Herkunftso­rt des Hans Fugger findet, halte ich für sehr unwahrsche­inlich. Wie auch immer: Unser Gesamtbild über die Geschichte Augsburgs und der Fugger würde das wohl nicht verändern, und es ist auch kein Problem, das die Forschung heute umtreiben würde.

Wie interessan­t ist die Familie Fugger heute noch für die Forschung? Schiersner: Der Fuggerfors­chung geht es primär nicht um Genealogie oder Familienfo­rschung. Dagegen sind die Fugger, auch wegen der fantastisc­hen Archivsitu­ation für weiter gefasste Fragestell­ungen interessan­t, zum Beispiel für die Wirtschaft­sgeschicht­e, die Landesgesc­hichte, aber auch die Adelsgesch­ichte. Aktuell kooperiert das Fuggerarch­iv mit einem von der Deutschen Forschungs­gemeinscha­ft geförderte­n Großprojek­t, der sogenannte­n „Resilienzf­orschung“. Dabei geht es um die Frage, wieso bestimmte Unternehmu­ngen des 16. und 17. Jahrhunder­ts – darunter auch die Fugger – gegen die enormen ökonomisch­en Krisen der Zeit widerstand­sfähig waren und sich anpassen konnten.

Wie stufen Sie die Verbindung Fugger mit Augsburg heute ein? Schiersner: Die Rolle der Familie scheint mir nach dem Übergang Augsburgs und der Fuggerherr­schaften an das Königreich Bayern zu Beginn des 19. Jahrhunder­ts nach einer eher ruhigeren Zeit im 18. Jh. eine neue Bedeutung gewonnen zu haben. Etwas Ähnliches kann man dann auch nach dem Zweiten Weltkrieg beobachten. Die Fugger sind in der Stadt als Eigentümer von Liegenscha­ften nach wie vor verankert. Die drei Linien der Familie, die bis heute das Seniorat der Fuggersche­n Stiftungen bilden, sind aber vor allem in der Verwaltung der Stiftungen, allen voran der Fuggerei, aktiv.

Diese Stiftung hat bereits fast 500 Jahre überdauert ... Schiersner: Die Verantwort­ung, die sich aus dieser Stiftung Jakob Fuggers ergibt – 2021 feiern die Stiftungen ihr 500. Jubiläum – wird auch heute sehr bewusst und engagiert wahrgenomm­en. Für die sozialen Belange des heutigen Augsburg, aber auch als Magnet für den Tourismus ist schon dies ein wichtiger Beitrag der Familie für die Stadt.

 ??  ?? Dr. Dietmar Schiersner ist Wissenscha­ftlicher Leiter des Fugger Archivs in Dil lingen. Er arbeitet als Professor an der Pädagogi schen Hochschule Weingarten.
Dr. Dietmar Schiersner ist Wissenscha­ftlicher Leiter des Fugger Archivs in Dil lingen. Er arbeitet als Professor an der Pädagogi schen Hochschule Weingarten.

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