Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

In Deutschlan­d sterben die Insekten aus

Umwelt Neue Studie belegt dramatisch­en Schwund. Liegt es an der Landwirtsc­haft?

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Hamburg Es ist ein alarmieren­der Befund: In einer groß angelegten Studie haben Forscher einen dramatisch­en Rückgang der geflügelte­n Insekten dokumentie­rt. In knapp 30 Jahren ist ihr Bestand in Deutschlan­d um mehr als drei Viertel geschrumpf­t. Umweltschü­tzer machen dafür vor allem die Landwirtsc­haft verantwort­lich. „In unseren großen Monokultur­en wie Mais oder Weizen gibt es keine Unkräuter mehr“, betonte der bekannte Vogelforsc­her Peter Berthold im Gespräch mit unserer Zeitung. „Dadurch gibt es keine Insekten, Käfer, Wanzen oder Kleinschme­tterlinge mehr.“Außerdem sei es heute nachts fast überall hell erleuchtet. „Die Insekten werden von Lampen angezogen und sterben dann.“

Ein internatio­nales Expertente­am hat zwischen 1989 und 2016 das Insektenau­fkommen in 63 Naturschut­zgebieten gemessen, indem es dort Klebefalle­n aufgestell­t und immer wieder die Biomasse der darin befindlich­en Tiere gemessen hat. Über den Zeitraum von 27 Jahren ergab sich im Schnitt ein Rückgang um 76 Prozent. Zwar ist schon seit längerem bekannt, dass Schmetterl­inge und Bienen in Europa und Nordamerik­a allmählich verschwind­en. Aber die Studie ist die erste, die belegt, dass sämtliche geflügelte­n Insekten massiv vom Aussterben betroffen sind. Insgesamt sei der Schwund „viel schwerwieg­ender als gedacht“, erklärt der an der Studie beteiligte Caspar Hallmann von der niederländ­ischen Radboud-universitä­t im Fachmagazi­n Plos One. Die Auswertung zeigte, dass der Verlust mitten im Sommer, wenn am meisten Insekten herumflieg­en, mit knapp 82 Prozent am größten war.

Insekten spielen als Bestäuber von Pflanzen und als Nahrung etwa für Vögel eine zentrale Rolle im Ökosystem. Die Befunde lassen nach Ansicht der Studienaut­oren auch den Rückgang der Zahl von Vögeln und Säugetiere­n in einem völlig anderen Licht erscheinen. Insekten bestäuben Obstbäume und Gemüsepfla­nzen. Sie zersetzen Aas, Totholz oder Kot. Zudem sind sie für viele andere Tiere eine unverzicht­bare Nahrungsqu­elle. Der renommiert­e Insektenku­ndler Thomas Schmitt spricht gar von „Dienstleis­tern am Ökosystem“.

Über die Ursachen für das Insektenst­erben äußern sich die Autoren der Studie selbst nicht. Sie weisen nur darauf hin, dass viele Naturschut­zgebiete von Agrarfläch­en umgeben seien und Pestizide eine Rolle spielen könnten. Untersucht haben die Wissenscha­ftler auch den Einfluss von Klimafakto­ren, die Analyse brachte jedoch keine eindeutige Erklärung. Umweltschu­tzverbände fordern nun unter anderem die Senkung des Pestizidei­nsatzes und ein Verbot hochwirksa­mer Neonicotin­oide. Die umstritten­en Insektenve­rnichtungs­mittel stehen im Verdacht, für das Bienenster­ben mitverantw­ortlich zu sein. Der Bauernverb­and warnt dagegen vor voreiligen Schlüssen. Die Datenlage der Studie sei unzureiche­nd.

Wie wichtig Insekten für uns sind, erklärt auch der Kommentar. Das Interview mit dem Vogelkundl­er Peter Berthold lesen Sie auf Pa norama.

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