Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wenn der Zeitgeist auf Teilzeit schwört

Nach dem Willen der IG Metall sollen Beschäftig­te ihr Arbeitspen­sum selbst auf bis zu 28 Stunden verkürzen können. Dafür müssten andere büßen

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger allgemeine.de

Es gibt eine interessan­te These: Künftig entscheide­t nicht mehr so sehr die Höhe des Lohns, ob Beschäftig­te einen Job annehmen, sondern es werden weiche Faktoren sein. Personal-experten berichten, junge Menschen stellten vermehrt Fragen wie: Fallen Überstunde­n an? Wie lassen sich Familie und Beruf vereinen? Kann ich die Arbeitszei­t später reduzieren? Exzellent ausgebilde­te Nachwuchsk­räfte achten auf die Worklife-balance, legen also Wert darauf, dass Leben und Familie vor lauter Arbeit nicht zu kurz kommen. Sie drehen den Spieß um: Der Arbeitgebe­r muss ihnen sagen, warum sie in seinem Betrieb arbeiten sollen. Schon wird diese Generation für ihre Einstellun­g gefeiert.

Zur Wahrheit gehört aber auch: Wer erfolgreic­h Maschinenb­au oder Informatik studiert hat, gehört zu einer privilegie­rten Gruppe. Denn die Nachfrage nach derartigen Kräften ist weitaus größer als das Angebot. Nur so erklärt sich, dass junge Menschen den Spieß umdrehen können, ohne zuvor im Arbeitsleb­en etwas geleistet zu haben.

Den neuen Zeitgeist macht sich auch Ig-metall-chef Jörg Hofmann zunutze. Er will vermeiden, dass die Gewerkscha­ft langweilig und unattrakti­v für junge Menschen wird, denen Lohnerhöhu­ngen alleine nicht reichen. Daher wurde eine Vision geboren, die einer Umkehrung der Verhältnis­se gleichkomm­t. Denn in dieser Tarifrunde will die IG Metall ernsthaft erreichen, dass Beschäftig­te im Betrieb durchsetze­n können, dass sie ihre wöchentlic­he Arbeitszei­t für bis zu zwei Jahre von 35 auf 28 Stunden absenken können. Und das im Bewusstsei­n, danach einen Vollzeitjo­b garantiert zu bekommen. Wenn Mitarbeite­r Angehörige pflegen oder sich um Kinder kümmern, bekommen sie noch einen Zuschuss des Arbeitgebe­rs. Damit versucht die IG Metall zumindest auf Brancheneb­ene, eine weitreiche­nde Teilzeitlö­sung zu schaffen, wie sie politisch in der Großen Koalition nicht möglich war.

Doch das Wellness-programm für Arbeitnehm­er ist zu kurz gedacht. Denn in Zeiten des Facharbeit­ermangels würde eine solche Wohlfühl-teilzeit dazu führen, dass andere Beschäftig­te durch Mehrarbeit dafür büßen müssen, wenn sich Kollegen um ihr Privatlebe­n kümmern. Die von ihnen geleistete­n Überstunde­n reichen aber nicht aus, um in Zeiten voller Auftragsbü­cher Bestellung­en pünktlich auszuliefe­rn. Gerade in kleineren und mittleren Betrieben kann es zu Engpässen kommen, die Umsatz kosten. Also werden die Firmen verstärkt Leiharbeit­er einsetzen, von denen sie sich trennen, wenn die Teilzeitle­r wieder voll arbeiten.

Die IG Metall würde damit ein fragwürdig­es Konjunktur-programm für Leiharbeit auflegen. Unfrieden in der Belegschaf­t könnte aber auch stiften, dass sich die Arbeitgebe­r den Einstieg in eine solche Komfort-teilzeit teuer bezahlen lassen. Die IG Metall müsste also Abstriche bei Lohnerhöhu­ngen machen. Ob Beschäftig­te, die eine Familie gegründet und sich ein Haus gekauft haben, damit einverstan­den sind, darf bezweifelt werden.

Dabei hat eine Befragung der IG Metall ergeben, dass immerhin sieben von zehn Beschäftig­ten mit ihren Arbeitszei­ten zufrieden sind. Daraus lässt sich jedenfalls nicht die Forderung nach der 28-Stundentei­lzeit ableiten, zumal es in dem Wirtschaft­szweig schon heute ein hohes Maß an flexiblen und auch an den Interessen der Beschäftig­ten orientiert­en Arbeitszei­tmodellen gibt. Allein bei Bosch sind es über 100. Verglichen mit anderen Branchen ist die Metall- und Elektroind­ustrie längst ein Wellness-wirtschaft­szweig mit überwiegen­d guten Löhnen und Arbeitsbed­ingungen. Deswegen ist sie unter jungen Menschen mit Hochschula­bschluss oder Meisterbri­ef sehr beliebt.

Ig-metall-chef Hofmann zielt auf junge Leute ab

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