Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

So punkten Sie mit Ihrer Stimme

AZ Wissen Eine Sprachtrai­nerin erklärt, warum es in Stresssitu­ationen hilft, an Nachrichte­nsprecheri­n Judith Rakers zu denken

- VON CHRISTINA HELLER

Augsburg Als der Vortrag endet, bleiben zwei Frauen in den sich leerenden Stuhlreihe­n sitzen. Beide versuchen, mit ihren Zungen ihre Nasenspitz­en und dann das Kinn zu berühren. In jeder anderen Umgebung wirkte das lächerlich. Doch in der Stadthalle Gersthofen lächeln die Vorbeigehe­nden wissend. Schließlic­h hat Sprech- und Stimmtrain­erin Monika Hein ihnen allen das gerade so beigebrach­t. Die Übung trainiert die Zunge. Die ist neben Lippen und Kiefern eines der wichtigste­n Werkzeuge der Artikulati­on.

Die Stimme transporti­ert mehr als nur den Inhalt. Sie übermittel­t Angst, Freude, Begeisteru­ng und Langeweile – und jeder kann diese Emotionen beim anderen heraushöre­n, so lautet Heins These. Wer weiß, wie er seine Stimme kontrollie­rt, ist im Vorteil. Er kann Stimmungen erschaffen oder Gefühle unterdrück­en – etwa Nervosität bei einem Vortrag oder Ärger. Diese Kontrolle funktionie­rt über sieben Hebel, die die Sprechtrai­nerin mit Reglern an einem Mischpult vergleicht. Es sind: die Körperhalt­ung, die Atmung, der Stimmklang, die Artikulati­on, die Satzmelodi­e, das Sprechtemp­o und die Betonung.

Um zu illustrier­en, wie die Körperhalt­ung die Stimme verändert, lässt Hein – die übrigens recht tief spricht – die Zuhörer im Saal eine Übung machen: Alle setzen sich sehr schlaff auf die Stuhlkante und sagen „Ja“. Es klingt ausdrucksl­os. Kein Wunder, denn diese Köperhaltu­ng nimmt ein Mensch ein, wenn er traurig, müde oder gelangweil­t ist. Nun richtet sich das Publikum auf und sagt noch einmal „Ja“. Das sitzt: Es klingt begeistert. Denn aufrecht steht man, wenn man jubelt.

Die Atmung ist ein anderes Beispiel. Sind wir nervös, ängstlich oder haben uns erschreckt, geht sie schnell und flach. Sind wir entspannt, langsam und tief. Das lässt sich üben. Heins Tipp: So lange auf s oder f ausatmen und sich dabei zur Decke strecken, bis keine Luft mehr da ist. Dann den Kiefer fallen lassen und einatmen, so kommt die Luft in den Bauch. Das entspannt und hilft gegen Nervosität oder Stress.

Für solche Situatione­n hat die Sprachtrai­nerin noch einen anderen Tipp: Sie empfiehlt, an Judith Rakers, Sprecherin bei der Tagesschau, zu denken. Denn die spricht meist völlig neutral. Weder zu hoch noch zu tief, weder zu schnell noch zu langsam – bei Vorträgen wirkt das kontrollie­rt. „Die Freiheit des Menschen liegt in dem Raum zwischen Reiz und Reaktion“, zitiert Hein den Neurologen und Psychiater Viktor Frankl. Und meint: Statt in einer Unterhaltu­ng oder vor einem Vortrag mit der Stimme auf die Situation zu reagieren, sollte man sich bewusst machen, was man fühlt und wie sich das auf die Stimme auswirkt, und dann gegensteue­rn.

Termin In der Reihe „Augsburger Allgemeine Wissen“findet der nächste Vortrag am 22. November statt. Es spricht der Extremspor­tler Norman Bücher über die Macht des Willens. Mehr Infos unter: augsburger allgemeine.de/ wissen

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Foto: Fred Schöllhorn Monika Hein begeistert ihr Publikum mit und für die Stimme.

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