Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Psycho, mach was!“

Sportpsych­ologie Mentales Training ist seit langem fester Bestandtei­l im Leistungss­port. Professor Jan Mayer arbeitet seit vielen Jahren mit dem Fußball-bundesligi­sten TSG Hoffenheim. Was den Fußballern hilft, sagt er, kann auch im Alltagsleb­en helfen

- VON ANTON SCHWANKHAR­T

Augsburg Wer jemals in einer Kreisklass­enpartie zu einem entscheide­nden Elfmeter antreten musste, kann erahnen, welcher Druck im Mai 2013 auf Hoffenheim­s Schützen Sejad Salihovic lastete. Wie die Knie weich werden, mit jedem Schritt das Tor kleiner und der Torwart größer wird. 1:1 stand es damals zwischen Hoffenheim und Dortmund. Nur ein Sieg konnte der TSG zum Relegation­splatz verhelfen. Würde Salihovic verschieße­n, wäre Hoffenheim abgestiege­n. Der Bosnier legte sich den Ball zurecht und drosch ihn kühl unter den Querbalken. Was in seinem Kopf vorgegange­n sei, wollte danach Hoffenheim­s Mannschaft­spsycholog­e Jan Mayer von Salihovic wissen. „Psycho“, hat der Bosnier dem Professor geantworte­t, „da darfst du nicht denken.“

Salihovic ist demnach ein Spieler, der eher selten der Hilfe eines Sportpsych­ologen bedarf. Dass der Schütze, der heute für den Hamburger SV spielt, damals dennoch Stress hatte, ist zu vermuten. Stress aber ist wichtig, um solche Aufgaben zu bewältigen. Ohne das Adrenalin, den hochgefahr­enen Blutdruck, die erhöhte Konzentrat­ion wäre Salihovic wohl gescheiter­t. Das Wissen um seine Fähigkeite­n als Schütze hat ihm den freien Kopf beschert und ihm die notwendige Lockerheit bewahrt.

Leistung abzurufen, wenn es darauf ankommt, sagte Jan Mayer bei einem Vortrag in Augsburg, ist eine der großen Herausford­erungen im Spitzenspo­rt. Der Spieler, der im Training hundert Elfmeter ins Netz befördert, im Spiel aber scheitert, hat ein Problem. Hier kommt dann Mayer, der ehemalige Oberligaha­ndballer, ins Spiel. Der gebürtige Geislinger, der an der Hochschule für Prävention und Gesundheit­sma- in Saarbrücke­n lehrt, gehört seit zehn Jahren zum Betreuerte­am der TSG Hoffenheim. Weil die Kraichgaue­r schon mit ihren Jugendteam­s sportpsych­ologisch arbeiten, kennt er Spieler wie den kürzlich zum FC Bayern abgewander­ten Niklas Süle von Jugend an. Mayer fühlt sich von den Sportlern akzeptiert. Die Vereine haben schon lange erkannt, dass ein breit aufgestell­tes Betreuerte­am jene Prozente mehr an Leistung bringen kann, die über den Erfolg entscheide­n. Kaum ein Bundesligi­st, der noch ohne Psychologe­n arbeitet. Entweder mit festen Engagement wie Hoffenheim oder als Bedarfsang­ebot an die Spieler, wie der FC Augsburg.

Die Zeiten, als ihn ein Trainer mit den Worten „ich hab’ genug Probleme, was brauch’ ich jetzt noch einen Psychologe­n“weggeschic­kt hat, sind vorbei, sagt Mayer. In Hoffenheim hat er in Julian Nagelsmann einen Trainer, der für alles aufgeschlo­ssen ist. Die beiden kennen sich, seit der 31-jährige Landsberge­r in Berlin bei Mayer studiert hat. Der Psychologe sitzt bei jedem Heimspiel im Stadion. Er kennt aber auch die Grenzen seiner Disziplin. „Wir sind mit Hoffenheim zweimal beinahe abgestiege­n, daran konnte ich auch nichts ändern.“Was der 45-Jährige kann, ist, den Spielern Strategien vermitteln, mit denen sie Stress oder Blockaden bewältigen. Ihnen deutlich zu machen, dass akuter Stress gut ist – aber nicht schon am Vorabend – und Dauerstres­s krank macht. Auf Regenerati­on zu achten und sich Gegenwelte­n zum Alltäglich­en zu schaffen. Droht ein Elfmeter, eine besondere Herausford­erung, rät er zum mentalen Training, der Vorstellun­g dessen, was passieren soll. Mayer: „Für das Gehirn ist es dasselbe, ob ich etwas praktisch mache oder es mir nur vorstelle.“Nicht zu vergessen: die Befindlich­keit. Mayer: „Dafür muss man selbst sorgen. Das funktionie­rt gut über Selbstgesp­räche.“Im Team sei die Befindlich­keit „das Erste, was wackelt“, sagt der Psychologe. Dann ruft der Trainer nach Mayer, so wie jener Rodel-coach: „Psycho, wir haben eine Scheißstim­mung in der Truppe, mach’ was.“. Bei Einzelspor­tlern ist es mitunter allein der Gedanke ans Team, der leistungss­teigernd wirkt. Mayer nennt als Beispiel die deutschen Skispringe­r, die bei Olympia 2010 in den Einzelspri­ngen alle mehr oder weniger abgestürzt waren und zwei Tage später als Mannschaft über sich hinauswuch­sen und Silber gewannen. Neben dem Leistungsg­edanken spricht noch ein anderer Aspekt für den Einsatz von Sportpsych­ologen. Spätestens seit sich der Nationalto­rwart Robert Enke das Leben genommen hat, ist klar, dass auch Sportler nicht vor psychische­n Erkrankung­en genagement schützt sind. Was lange dauern kann, bis eine Depression erkannt wird, „sehen wir früher“, sagt Mayer „und können wir mit unserem Netzwerk auch schneller behandeln lassen.“Viele Strategien aus dem Sport lassen sich in den Alltag übertragen. Der Stressabba­u durch mentales Training. Das unangenehm­e Gespräch mit dem Vorgesetzt­en, das im Kopf bereits durchgespi­elt ist. Die höhere Leistungsf­ähigkeit am Arbeitspla­tz, die nicht durch permanente Forderung, sondern durch Pausen erreicht wird. Ähnlich wie im Sporttrain­ing, wo erst die Regenerati­on den Leistungsz­uwachs bringt. „Regenerati­on und Pausen machen ist in unserer Gesellscha­ft überhaupt nicht angekommen“, sagt Mayer. Auch deshalb hat die Deutsche Angestellt­enkrankenk­asse (DAK) Jan Mayer eingeladen. 300 Besucher wollten ihn hören. Sie wissen jetzt nicht nur, worauf es am Elfmeterpu­nkt ankommt.

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Foto: dpa Früher Oberliga Handballer und jetzt einer der führenden Sportpsych­ologen im Land: der 45 jährige Professor Jan Mayer.

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