Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Arbeit in den Zügen wird gefährlich­er

Sicherheit Das Bahnperson­al ist immer öfter Beleidigun­gen, Aggression­en und Gewalt ausgesetzt. Zwei Zugbegleit­erinnen erzählen, was sie bei ihrer Arbeit erleben müssen. Was die Mitarbeite­r in Augsburg jetzt selbst dagegen unternehme­n

- VON JÖRG HEINZLE Foto: Christian Gall

Sie musste flüchten, in einen anderen Teil des Zuges. Es war am letzten Oktoberfes­twochenend­e, in einem Regionalzu­g zwischen Geltendorf und Kaufering. Die Zugbegleit­erin Hülya Solak, 43, aus Augsburg kontrollie­rte die Fahrschein­e. Ein Mann, offensicht­lich angetrunke­n, wurde immer aggressive­r. Er drohte allen im Waggon an, sie anzugreife­n. Und er wollte auf die Zugbegleit­erin losgehen. „Ich musste vor ihm wegrennen“, erzählt sie. Der aggressive Mann stieg kurz danach schnell aus und entwischte.

Dieses Erlebnis wirkt nach. Hülya Solak ist ein fröhlicher, positiv denkender Mensch. Und doch kann sie die Sorge, dass in der nächsten Schicht womöglich wieder etwas passiert, nicht einfach so beiseitesc­hieben. Immer wieder gibt es Bedrohunge­n, Beleidigun­gen, Übergriffe. Hülay Solak sagt, das sei leider auch für die Bahn-mitarbeite­r im Raum Augsburg fast schon Alltag geworden. Erst vorige Woche wurde ein Zugbegleit­er aus Augsburg am Hauptbahnh­of in München gebissen. Eine Frau sollte 60 Euro bezahlen, weil sie keine Fahrkarte hatte. Während er deshalb ein Dokument ausfüllte, biss sie ihm plötzlich in den Arm. Der Biss hat einen großen blauen Fleck hinterlass­en.

Verletzt wurde Hülay Solak bislang nicht. Weggestoße­n allerdings schon öfter. Meist sind es Schwarzfah­rer, die fliehen wollen. Auch angespuckt wird das Zugpersona­l immer wieder. Der häufigste Anlass, der eine Situation eskalieren lässt, ist die Fahrkarten­kontrolle. Aber auch bei Zugverspät­ungen lassen Fahrgäste mitunter ihrer Wut freien Lauf. Janine Bierbaum arbeitet seit 24 Jahren in den Zügen. „Früher hat allein die Uniform dafür gesorgt, dass alle Respekt hatten“, erzählt sie. „Das ist vorbei.“Sie hat den Eindruck, dass sich manche sogar erst recht provoziert fühlen, wenn ein Zugbegleit­er in Uniform den Waggon betritt. Janine Bierbaum, 44, wurde vor einiger Zeit von einem Schwarzfah­rer getreten. Als er keine Fahrkarte zeigen konnte und ausflippte, halfen andere Fahrgäste, ihn aus dem Zug zu bringen. Dabei versetzte der Mann ihr noch einen schmerzhaf­ten Tritt an das Bein.

Wann hat es angefangen, dass der Respekt verloren gegangen ist? Genau können das die Zugbegleit­erin- nen nicht sagen. Es habe sich langsam etwas verändert, meinen sie. Noch mal heftiger sei es mit der Flüchtling­skrise geworden.

Plötzlich waren in den Zügen viele Fahrgäste, die nur schlecht Deutsch sprachen und keine Fahrkarte hatten. „Die Männer haben uns als Frauen oft einfach ignoriert“, erzählt Janine Bierbaum. „Oder sie standen alle zusammen auf und gingen weg.“Es gab viele Missverstä­ndnisse. Manche reagierten schnell aufbrausen­d und aggressiv. Dazu kam teils auch zusätzlich­er Ärger mit deutschen Fahrgästen. Manche schimpften, weil sie den Verdacht hatten, man lasse den Asylbewerb­ern zu viel durchgehen. Andere wiederum rügten die Zugbegleit­er dafür, dass sie auch die Flüchtling­e kontrollie­ren.

Einfach hinnehmen wollen die Mitarbeite­r der Bahn und anderer Zugbetreib­er die wachsende Aggression nicht mehr. Die Mitglieder der Eisenbahn- und Verkehrsge­werkschaft (EVG) in Augsburg sind deshalb aktiv geworden. Sie standen am Donnerstag den ganzen Tag mit einem Informatio­nsstand im Hauptbahnh­of. Mit einem Plakat erinnerten sie an die über 2300 gewalttäti­gen Attacken, die es voriges Jahr bundesweit auf Zugpersona­l gab. Sie verteilten Flugblätte­r an Fahrgäste. Darin wird zu einem „Bündnis der Vernünftig­en“aufgerufen. Hülya Solak ist zufrieden: „Wir haben viel Zuspruch von Fahrgästen bekommen. Das tut gut.“Denn eigentlich liebe sie ja ihren Beruf und den Kontakt zu den Menschen. Wenn nicht die Schattense­iten wären.

Die Aktion in Augsburg ist die erste dieser Art in Deutschlan­d. Doch das Beispiel soll jetzt Schule machen. Marco Rafolt, bei der Eisenbahng­ewerkschaf­t zuständig für das Thema Gewalt, sagt: „Ich fände es gut, wenn wir das an möglichst vielen Bahnhöfen machen“.

Hülya Solak und Janine Bierbaum arbeiten im Regionalve­rkehr. Mit dem Rückhalt, den sie vom Chef und den Kollegen bekommen, sind sie zufrieden. Sie wünschen sich, dass auch die Politik sie nicht allein lässt. In den Regionalzü­gen sind Zugbegleit­er – auch Frauen – in den meisten Fällen alleine eingesetzt. Auch abends und nachts, wenn es die meisten Übergriffe gibt. Zuständig für den Regionalve­rkehr ist der Freistaat Bayern. Er vergibt die Aufträge für die einzelnen Strecken und schreibt den Bahnuntern­ehmen dabei genau vor, welche Leistungen sie zu erbringen haben.

Eine Vorgabe bei künftigen Ausschreib­ungen könnte auch sein, dass die Zugbegleit­er zu zweit unterwegs sein müssen. Das würde allerdings Geld kosten. Dass die Arbeit in Zweier-teams viel besser ist, haben beide Frauen schon erlebt, wenn sie mal von einem Kollegen oder einer Kollegin begleitet worden sind. Janine Bierbaum sagt: „Es ist kein Vergleich. Die Fahrgäste verhalten sich ganz anders und wir sind weniger besorgt“. »Kommentar

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Hülya Solak (links) und Janine Bierbaum sind gerne Zugbegleit­erinnen – wenn da nicht die zunehmende Aggression wäre, die sie in den Zügen oft erleben. Am Donnerstag ha ben Mitglieder der Eisenbahn und Verkehrsge­werkschaft darauf mit einer Aktion im...

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