Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Die Arbeit in den Zügen wird gefährlicher
Sicherheit Das Bahnpersonal ist immer öfter Beleidigungen, Aggressionen und Gewalt ausgesetzt. Zwei Zugbegleiterinnen erzählen, was sie bei ihrer Arbeit erleben müssen. Was die Mitarbeiter in Augsburg jetzt selbst dagegen unternehmen
Sie musste flüchten, in einen anderen Teil des Zuges. Es war am letzten Oktoberfestwochenende, in einem Regionalzug zwischen Geltendorf und Kaufering. Die Zugbegleiterin Hülya Solak, 43, aus Augsburg kontrollierte die Fahrscheine. Ein Mann, offensichtlich angetrunken, wurde immer aggressiver. Er drohte allen im Waggon an, sie anzugreifen. Und er wollte auf die Zugbegleiterin losgehen. „Ich musste vor ihm wegrennen“, erzählt sie. Der aggressive Mann stieg kurz danach schnell aus und entwischte.
Dieses Erlebnis wirkt nach. Hülya Solak ist ein fröhlicher, positiv denkender Mensch. Und doch kann sie die Sorge, dass in der nächsten Schicht womöglich wieder etwas passiert, nicht einfach so beiseiteschieben. Immer wieder gibt es Bedrohungen, Beleidigungen, Übergriffe. Hülay Solak sagt, das sei leider auch für die Bahn-mitarbeiter im Raum Augsburg fast schon Alltag geworden. Erst vorige Woche wurde ein Zugbegleiter aus Augsburg am Hauptbahnhof in München gebissen. Eine Frau sollte 60 Euro bezahlen, weil sie keine Fahrkarte hatte. Während er deshalb ein Dokument ausfüllte, biss sie ihm plötzlich in den Arm. Der Biss hat einen großen blauen Fleck hinterlassen.
Verletzt wurde Hülay Solak bislang nicht. Weggestoßen allerdings schon öfter. Meist sind es Schwarzfahrer, die fliehen wollen. Auch angespuckt wird das Zugpersonal immer wieder. Der häufigste Anlass, der eine Situation eskalieren lässt, ist die Fahrkartenkontrolle. Aber auch bei Zugverspätungen lassen Fahrgäste mitunter ihrer Wut freien Lauf. Janine Bierbaum arbeitet seit 24 Jahren in den Zügen. „Früher hat allein die Uniform dafür gesorgt, dass alle Respekt hatten“, erzählt sie. „Das ist vorbei.“Sie hat den Eindruck, dass sich manche sogar erst recht provoziert fühlen, wenn ein Zugbegleiter in Uniform den Waggon betritt. Janine Bierbaum, 44, wurde vor einiger Zeit von einem Schwarzfahrer getreten. Als er keine Fahrkarte zeigen konnte und ausflippte, halfen andere Fahrgäste, ihn aus dem Zug zu bringen. Dabei versetzte der Mann ihr noch einen schmerzhaften Tritt an das Bein.
Wann hat es angefangen, dass der Respekt verloren gegangen ist? Genau können das die Zugbegleiterin- nen nicht sagen. Es habe sich langsam etwas verändert, meinen sie. Noch mal heftiger sei es mit der Flüchtlingskrise geworden.
Plötzlich waren in den Zügen viele Fahrgäste, die nur schlecht Deutsch sprachen und keine Fahrkarte hatten. „Die Männer haben uns als Frauen oft einfach ignoriert“, erzählt Janine Bierbaum. „Oder sie standen alle zusammen auf und gingen weg.“Es gab viele Missverständnisse. Manche reagierten schnell aufbrausend und aggressiv. Dazu kam teils auch zusätzlicher Ärger mit deutschen Fahrgästen. Manche schimpften, weil sie den Verdacht hatten, man lasse den Asylbewerbern zu viel durchgehen. Andere wiederum rügten die Zugbegleiter dafür, dass sie auch die Flüchtlinge kontrollieren.
Einfach hinnehmen wollen die Mitarbeiter der Bahn und anderer Zugbetreiber die wachsende Aggression nicht mehr. Die Mitglieder der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) in Augsburg sind deshalb aktiv geworden. Sie standen am Donnerstag den ganzen Tag mit einem Informationsstand im Hauptbahnhof. Mit einem Plakat erinnerten sie an die über 2300 gewalttätigen Attacken, die es voriges Jahr bundesweit auf Zugpersonal gab. Sie verteilten Flugblätter an Fahrgäste. Darin wird zu einem „Bündnis der Vernünftigen“aufgerufen. Hülya Solak ist zufrieden: „Wir haben viel Zuspruch von Fahrgästen bekommen. Das tut gut.“Denn eigentlich liebe sie ja ihren Beruf und den Kontakt zu den Menschen. Wenn nicht die Schattenseiten wären.
Die Aktion in Augsburg ist die erste dieser Art in Deutschland. Doch das Beispiel soll jetzt Schule machen. Marco Rafolt, bei der Eisenbahngewerkschaft zuständig für das Thema Gewalt, sagt: „Ich fände es gut, wenn wir das an möglichst vielen Bahnhöfen machen“.
Hülya Solak und Janine Bierbaum arbeiten im Regionalverkehr. Mit dem Rückhalt, den sie vom Chef und den Kollegen bekommen, sind sie zufrieden. Sie wünschen sich, dass auch die Politik sie nicht allein lässt. In den Regionalzügen sind Zugbegleiter – auch Frauen – in den meisten Fällen alleine eingesetzt. Auch abends und nachts, wenn es die meisten Übergriffe gibt. Zuständig für den Regionalverkehr ist der Freistaat Bayern. Er vergibt die Aufträge für die einzelnen Strecken und schreibt den Bahnunternehmen dabei genau vor, welche Leistungen sie zu erbringen haben.
Eine Vorgabe bei künftigen Ausschreibungen könnte auch sein, dass die Zugbegleiter zu zweit unterwegs sein müssen. Das würde allerdings Geld kosten. Dass die Arbeit in Zweier-teams viel besser ist, haben beide Frauen schon erlebt, wenn sie mal von einem Kollegen oder einer Kollegin begleitet worden sind. Janine Bierbaum sagt: „Es ist kein Vergleich. Die Fahrgäste verhalten sich ganz anders und wir sind weniger besorgt“. »Kommentar