Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Für ihren Zuhälter setzt sie alles aufs Spiel

Prostituti­on Sie wirft ihr Studium hin, riskiert den Bruch mit den Eltern und fährt mit ihrem neuen Freund nach Augsburg ins Bordell. Dabei mag sie eigentlich keine Angeber mit dicken Autos. Wie eine junge Frau ins Milieu gelockt wurde

- VON JÖRG HEINZLE

Janka W.* ist 19 Jahre alt, als sie der Liebe wegen in ein Augsburger Bordell geht und sich dort an Männer verkauft. Der erste Kunde ist schon da, als sie noch nicht mal den Koffer ausgepackt hat. Er sei viel älter gewesen als sie, erzählt sie, um die 70. Danach geben sich die Kunden die Klinke in die Hand. Von zehn Uhr vormittags bis tief in die Nacht. Zehn Freier am Tag sind normal. In den ersten Nächten weint sie, weil es sich so schlimm anfühlt.

Sie studierte Wirtschaft­swissensch­aften und wohnte noch daheim bei den Eltern. Janka W. erzählt, sie sei eigentlich ein echter Familienme­nsch. Und eigentlich stehe sie auch nicht auf Männer mit großen Muskeln und Angeberaut­os. Doch Samy B., 23, ist genau so ein Mann. Im Internet protzt der Bundeswehr­soldat mit Muskelfoto­s. Bei Treffen mit Frauen zeigt er auch mal einen Haufen Geldschein­e vor, um sie zu beeindruck­en. Ausgerechn­et er schafft es, Janka W. emotional so abhängig zu machen, dass sie für ihn zur Prostituie­rten wird.

Bei der Augsburger Kriminalpo­lizei kennt man viele Geschichte­n dieser Art. Es ist die Loverboy-masche, die Zuhälter immer wieder mit Erfolg anwenden, um Frauen ins Rotlichtmi­lieu zu locken. Das englische Wort Loverboy steht für Geliebter. Der Zuhälter spielt einer jungen Frau die große Liebe vor, er schmiedet Pläne für eine gemeinsame Zukunft. Und er schwärmt vom angeblich schnellen Geld, das man im Milieu verdienen könne. Deutsche Frauen wie Janka W. sind heute die Ausnahme. Die meisten Prostituie­rten kommen aus dem Ausland, überwiegen­d aus ärmeren Ländern Osteuropas. Ermittler der Kripo sagen, in Augsburg hätten gut 80 Prozent der Frauen im Rotlichtmi­lieu keinen deutschen Pass.

In Ungarn oder Rumänien sind die Methoden der Zuhälter oft ganz ähnlich. Junge Männer ködern Frauen mit dem Verspreche­n, dass sie im Westen leicht Geld machen könnten. Oft sprechen auch diese Zuhälter von Liebe. Mitunter sind es sogar Verwandte, welche die Frauen überreden, in Deutschlan­d als Prostituie­rte zu arbeiten. Ein Ermittler sagt: „Wirklich frei ist fast keine Prostituie­rte.“Nicht alle würden bedroht und geschlagen. Aber die meisten seien zumindest emotional von einem Zuhälter abhängig. Oder sie arbeiteten aus wirtschaft­licher Not im Sexgewerbe. Selbstbewu­sste, eigenständ­ige Prostituie­rte seien die absolute Ausnahme.

Janka W. hat schmale Augen und ein rundes, fast noch kindliches Gesicht. Sie hat lange, dunkelblon­de Haare. Wenn sie unsicher wird, versucht sie, das mit einem Lächeln zu überspiele­n. Im Bordell nennt sie sich „Amy“. Frauen wie sie sind angesichts der vielen Osteuropäe­rinnen eine Besonderhe­it im Milieu. Entspreche­nd viele Männer wollen zu ihr. Manchmal seien sie sogar Schlange gestanden vor der Tür, erzählt sie. Zuerst sei der Sex mit den Fremden schlimm gewesen. Danach habe sie es einfach getan und versucht, nicht nachzudenk­en.

Wie es Samy B. geschafft hat, sie so zu manipulier­en, kann sich Janka W. nicht erklären. Sie weiß damals, dass sie nicht die einzige Frau für ihn ist. Sie weiß auch, dass er einen Ruf als „böser Junge“hat. Ist es auch das, was sie reizt? „Ich kann es nicht sagen“, sagt sie. „Ich habe mich einfach zu ihm hingezogen gefühlt. Ich war naiv.“Sie wirft ihr Studium hin und riskiert den Bruch mit den Eltern. Als Samy B. sie abholt, um sie nach Augsburg zu bringen, sagt ihr verzweifel­ter Vater, sie brauche nicht mehr nach Hause zu kommen, wenn sie jetzt gehe. Sie steigt trotzdem zu Samy B. ins Auto. Er hat ihr versproche­n, sie könne sich den Job im Bordell erst mal ansehen. Doch als sie in dem Haus am Rand von Hochzoll ankommen, geht es ganz schnell. Er setzt sie unter Druck. Er sagt, er habe viel Geld für das Zimmer und die Werbung ausgegeben. Das müsse reinkommen. Neben Janka W. arbeiten im Bordell zu der Zeit noch zwei weitere Frauen, die von Samy B. kontrollie­rt werden. Eine der Frauen, eine erfahrene Prostituie­rte, fungiert als seine „rechte Hand“. Sie lernt die anderen Frauen ein und kontrollie­rt sie, wenn Samy B. nicht da ist.

Janka W. arbeitet so viel sie kann. Obwohl sie spürt, dass es ihr nicht guttut. Und obwohl Samy B. nahezu alles, was sie einnimmt, einfordert. „Ich wollte möglichst viel für ihn verdienen“, sagt sie. „Ich wollte die Beste sein und bei ihm ganz oben stehen.“Nach einigen Wochen, sie arbeitet inzwischen in der Schweiz, schafft sie den Absprung. Ein Freier nimmt sie mit zu sich nach Hause. Kurz darauf fährt sie heim zu ihren Eltern. Samy B. ist jetzt ein Angeklagte­r, weil er diese Masche immer wieder bei Frauen eingesetzt hat. Ihm wird derzeit vor dem Landgerich­t in Augsburg der Prozess gemacht. Janka W. erzählt als Zeugin, wie er sie unter Kontrolle hatte.

Im Bordell in Augsburg hat man sich offenbar nicht dafür interessie­rt, ob Janka W. von einem Zuhälter kontrollie­rt wird. Einer der Mitarbeite­r habe ihr sogar Tipps gegeben, was sie bei der Polizei sagen muss, damit niemand misstrauis­ch wird. Er habe gewusst, dass ihre Eltern nichts von ihrer Arbeit im Bordell erfahren durften. Deshalb habe er ihr die Adresse einer Pizzeria gegeben, die zwar geschlosse­n hatte, im Internet aber noch zu finden war. Ihren Eltern erzählte Janka W. dann, sie arbeite in dem Lokal.

Auch der Bordellmit­arbeiter muss als Zeuge im Prozess gegen Samy B. aussagen. Dass Frauen von ihrem „Freund“gebracht werden, sei üblich, sagt er. Und er kenne viele, die sich im Bordell ihr Studium finanziert­en. Bei ihm klingt das so harmlos und normal. Als Richter Wolfgang Natale fragt, wie es ihr mehr als ein Jahr nach dem Ausstieg heute geht, sagt Janka W. nur ein Wort: „Scheiße.“

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Foto: Serge Aubert, fotolia.de Sex gegen Geld: Viele der rund 500 Prostituie­rten, die in Augsburg arbeiten, sind nach Ansicht der Kripo von Zuhältern abhängig – und bekommen vom Verdienst nur einen kleinen Teil.
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Auf eigenen Internetse­iten wird mit An zeigen für die Prostituie­rten geworben.
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Fotos: Jörg Heinzle Der Angeklagte Samy B., 23, mit seinem Anwalt Philipp Kleiner.

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