Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wie ein Berg zu seinem Namen kommt

Interview Der Volkskundl­er Martin Scharfe hat erforscht, wie die Bezeichnun­gen für die Alpengipfe­l entstanden sind. Er erklärt, wieso jeder Berg getauft werden musste und warum mancher heute noch umbenannt wird

- Foto: Ralf Lienert

Herr Professor Scharfe, als Wissenscha­ftler in Innsbruck haben Sie die Entstehung der Bergnamen in Bayern, Österreich und der Schweiz erforscht. Was fasziniert Sie daran? Martin Scharfe: Der Prozess der Namensgebu­ng ist unheimlich spannend. Man muss ja bedenken, was die Namen mit den Bergen gemacht haben: Ohne sie hätte es den Alpinismus in der heutigen Form nie gegeben. Die Bergnamen sind die Voraussetz­ung dafür, dass Menschen erst in die Alpen hinauffind­en.

Hatten die Berge früher keine Namen? Scharfe: Doch, schon. Einheimisc­he wussten, wie sie ihre Berge nennen. Sie haben vor allem die Gipfel benannt, die wirtschaft­lich wichtig für sie waren. Aber andere Berge hatten keine Namen. Und einheitlic­he Bezeichnun­gen gab es vor 1800 auch nicht, von verlässlic­hen Karten ganz zu schweigen. Die Berge waren ja noch nicht vermessen. Da konnte es vorkommen, dass ein Gipfel von zwei verschiede­nen Tälern aus unterschie­dliche Namen trug. So war es bei der Oberstdorf­er Hammerspit­ze, die die Kleinwalse­rtaler bis heute „Schüsser“nennen. Es war ein großes Tohuwabohu, das können Sie sich gar nicht vorstellen. Heute gelten Lawine und Felssturz als ge- fährlich. Damals bestand die Hauptgefah­r darin, sich zu verirren.

Wann genau änderte sich das? Scharfe: Es war ein revolution­ärer Prozess: In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts stiegen Vermessung­singenieur­e auf Berge und hiel- ten alles in Karten fest. Sie hatten die Anweisung, zuerst nach traditione­llen Namen zu suchen. Diese wollte man unbedingt bewahren, um Einheimisc­he nicht vor den Kopf zu stoßen. Traditione­lle Bergnamen kamen oft aus der Mundart und Vermessung­singenieur­e nicht aus der Region, was zu Missverstä­ndnissen führte. Da wurden oft Namen notiert, die so gar nicht gemeint waren.

Scharfe: Sie hatten keine Wahl. War ein Name einmal auf einer Karte abgedruckt, verbreitet­e er sich rasend schnell. Touristen kamen, fragten Bergführer gezielt nach Gipfeln, die sie zu Hause auf Karten angesehen hatten und ließen sich hinführen. Die Einheimisc­hen passten sich an, sie wollten ja am Tourismus Geld verdienen. Kurz darauf dachten alle, der Berg habe immer so geheißen.

Andere Gipfel hatten bei der Vermessung allerdings noch keinen Namen … Scharfe: Das stimmt. Um sie für den Tourismus zu erschließe­n, kam es auf die Fantasie der Vermesser an. Viele Berge benannten sie nach Gutdünken. Heute merkt man etwa am Beispiel des Säuling, dass sich Namen teils schlicht an der äußeren Struktur der Gipfel orientiere­n. Andere führen in die Irre, da werden die Gipfel „Garten“oder „Paradies“genannt, die besonders wüst und karg sind. Bei vielen Bergnamen rätseln wir heute vergeblich, wie sie zustande gekommen sind. Es ranken sich Mythen darum, aber selbst Sprachfors­cher tappen im Dunklen, was die Bedeutung angeht. Vieles kann man nur vermuten.

Gibt es immer noch Berge, die keinen Namen haben oder ihn ändern? Scharfe: Es kommt darauf an, wie sehr man bei der Betrachtun­g der Berge ins Detail geht. Im Wesentlich­en sind die Namen vergeben, aber erst mit GPS sind die letzten Winkel auszumache­n. Statt Namen erhalten sie Koordinate­n. Und manche Gipfel werden auch heute noch umbenannt. In der Region des Venediger hat ein österreich­ischer Wurstfabri­kant einen Gipfel gekauft und versucht, ihn zu Werbezweck­en nach seinem Unternehme­n zu benennen. Da gab es natürlich große Gegenwehr von der Bevölkerun­g und auf juristisch­em Weg konnte die Gemeinde das Vorhaben noch stoppen. Andere Berge tragen ihre Namen aus der Nazizeit, aus Gründen der Political Correctnes­s sollen sie verändert werden. Und hin und wieder findet die Forschung im Nachhinein doch noch einen traditione­llen Namen für einen Berg, den man ihm dann quasi zurückgibt.

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Der Gipfel bei Sonthofen trägt den wenig charmanten Namen „Grünten“, was so viel heißt wie kahl oder nackt.
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Prof. Dr. Martin Scharfe ist Kulturwiss­enschaftle­r und Volkskundl­er. Der Mar burger hat auch Allgäuer Bergnamen erforscht.

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